Gesammelte Werke. Джек ЛондонЧитать онлайн книгу.
erfuhr, waren es die Robbenjäger, die sich hoch erhaben über die gewöhnlichen Matrosen fühlten.
„Johansen!" rief Wolf Larsen. Ein Matrose trat gehorsam vor. „Hol dir Nadel und Garn und näh den Schuft ein. Altes Leinen findest du in der Schiffstruhe. Los!"
„Was sollen wir ihm an die Füße hängen?" fragte der Mann nach dem üblichen „Jawohl, Herr!"
„Wird sich schon finden", sagte Wolf Larsen. Dann hob er die Stimme und rief: „Köchlein!"
Thomas Mugridge sprang wie ein Stehaufmännchen aus seiner Kombüse.
„Geh nach unten und füll einen Sack mit Kohlen."
„Hat einer von euch eine Bibel oder ein Gebetbuch, Leute?" lautete die nächste Frage, die der Kapitän diesmal an die bei der Luke herumlungernden Jäger richtete.
Sie schüttelten die Köpfe, und einer von ihnen machte einen Witz, den ich nicht verstand, der aber allgemeines Gelächter hervorrief.
Wolf Larsen stellte die gleiche Frage an die Matrosen. Bibeln und Gebetbücher schienen ein seltener Artikel an Bord zu sein. Keines von beiden war vorhanden. Der Kapitän zuckte die Achseln. „Dann lassen wir ihn ohne Geschwätz verschwinden, wenn unser schiffbrüchiger Pastor nicht den Begräbnisgottesdienst auf See auswendig weiß." Bei diesen Worten wandte er sich um und sah mich an. „Sie sind doch Pastor, nicht wahr?" fragte er.
Die Jäger drehten sich wie ein Mann um und betrachteten mich. Ich hatte das peinliche Gefühl, einer Vogelscheuche zu gleichen. Mein Aussehen verursachte ein schallendes Gelächter, das der Anblick des Toten, der grinsend an Deck ausgestreckt lag, in keiner Weise dämpfte, ein Gelächter, so rauh und barsch wie das Meer selbst, aus der Kehle von Männern, die weder Schliff noch Zartgefühl kannten.
Wolf Larsen lachte nicht, wenn seine grauen Augen auch leicht aufleuchteten. Ich war dicht an ihn herangetreten, und jetzt erhielt ich, abgesehen von seiner äußeren Erscheinung und seinem Strom von Flüchen, den ersten Eindruck von dem Manne. Die markanten festen Züge verliehen seinem Gesicht trotz der Vierschrötigkeit gute Formen. Bei näherer Betrachtung gewann man unweigerlich die Überzeugung, daß in der Tiefe seines Wesens eine ungeheure, entsetzliche Kraft schlummerte. Mund, Kinn, die hohe Stirn, die sich schwer über den Augen wölbte, alles dies, jedes für sich schon ungewöhnliche Stärke verratend, zeugte zusammen von einer unbeugsamen Männlichkeit.
Eine solche Seele ließ sich nicht ausloten, nicht ermessen; sie duldete keinen Vergleich.
Die Augen - sie betrachtete ich besonders eingehend - waren groß und ausdrucksvoll und von dichten schwarzen Brauen überwölbt. Sie waren von jenem veränderlichen Grau, das nie gleichbleibt, das wie Seide in der Sonne spielt und zahllose Schattierungen annimmt, die dunkel- und hellgrau und graugrün und manchmal azurblau wie die Tiefsee sein können. Es waren Augen, die die Seele hinter tausend Verkleidungen bargen und die sich nur selten öffneten, um sie unverschleiert auf wunderbare Abenteuer in die Welt fahren zu lassen - Augen, die mit der hoffnungslosen Düsterkeit eines bleiernen Himmels brüten und dann wieder Feuerfunken wie von einem geschwungenen Schwert sprühen, die frostig wie eine arktische Landschaft werden, aber auch sanft wärmen konnten, und die, intensiv und männlich - lockend und bittend - in feuriger Liebe blitzend, Frauen bezaubern und zugleich beherrschen mochten, daß sie sich in einem Schauer von Freude und Erleichterung hingaben.
Doch zurück zu meinem Bericht: Ich erklärte, daß ich kein Geistlicher sei, also den Gottesdienst bei dem Begräbnis leider nicht übernehmen könne.
„Was für einen Beruf haben Sie denn?"
Ich gestehe, daß man noch nie eine solche Frage an mich gerichtet und daß auch ich selbst noch nie darüber nachgedacht hatte. Ich war wie vor den Kopf geschlagen, und ehe ich mich besonnen hatte, stotterte ich: „Ich - bin ein Gentleman."
Seine Lippen kräuselten sich zu einem verächtlichen Lächeln.
„Ich habe gearbeitet, ich arbeite wirklich!" rief ich eifrig, als wäre er mein Richter, der Rechenschaft von mir forderte, während ich mir gleichzeitig ganz klar darüber wurde, wie dumm ich war, überhaupt auf die Frage einzugehen.
„Leben Sie davon?"
So herrisch und gebieterisch wirkte er, daß ich wie ein zitterndes Kind vor dem gestrengen Lehrer dastand.
„Wer unterhält Sie?" lautete seine nächste Frage.
„Ich bin vermögend", antwortete ich keck und hätte mir im nächsten Augenblick die Zunge abbeißen mögen. „Aber das hat doch alles nichts mit der Angelegenheit zu tun, über die ich mit Ihnen zu sprechen habe."
„Wer hat das Vermögen verdient? Nun? Dacht ich's doch. Ihr Vater. Sie stehen auf den Füßen eines toten Mannes. Sie selbst haben nie etwas gehabt. Sie wären nicht imstande, Ihrem hungrigen Magen von einem Sonnenaufgang zum andern drei Mahlzeiten zu verschaffen. Zeigen Sie mal Ihre Hände!"
Seine entsetzliche schlummernde Kraft muß sich in diesem Augenblick geregt oder ich muß geschlafen haben, denn ehe ich es wußte, war er zwei Schritte vorgetreten, hatte meine rechte Hand gepackt und untersuchte sie. Ich wollte sie zurückziehen, aber seine Finger umschlossen sie ohne sichtbare Anstrengung so fest, daß ich glaubte, er zermalme sie. Unter solchen Umständen ist es schwer, Würde zu bewahren. Ich konnte doch nicht wie ein Schuljunge mich winden und zappeln. Und ich konnte auch ein Geschöpf nicht angreifen, das meine Hand mit einem einzigen Druck zu zerbrechen imstande war. So blieb mir nichts übrig, als stillzuhalten und die Schmach hinzunehmen. Ich hatte Zeit zu beobachten, daß die Taschen des Toten entleert und sein Körper und sein Grinsen dem Blick durch ein Stück Segeltuch entzogen worden waren, dessen Falten Johansen, der Matrose, mit grobem Bindfaden zusammennähte, indem er die Nadel mit einem in seiner Handfläche befestigten Lederwerkzeug durchtrieb.
Wolf Larsen schleuderte meine Hand verächtlich von sich: „Die Hände eines Toten haben die Ihren weich erhalten. Zu nichts nütze als zum Aufwaschen und Küchenjungendienst."
„Ich wünsche, an Land gesetzt zu werden", sagte ich fest, denn ich hatte mich wieder in der Gewalt. „Ich werde Ihnen zahlen, was Sie für Ihre Verspätung und Ihre Mühe verlangen." Er sah mich mit einem seltsamen Blick an. Seine Augen leuchteten spöttisch.
„Ich habe Ihnen einen Gegenvorschlag zu machen. Mein Steuermann ist tot, und es sind daher einige Beförderungen vorzunehmen. Ein Matrose wird den Platz des Steuermanns einnehmen, der Kajütsjunge wird Matrose, und Sie rücken an seine Stelle, unterschreiben einen Kontrakt für die Fahrt und bekommen zwanzig Dollar monatlich und freie Verpflegung. Was meinen Sie dazu? Denken Sie daran, daß es zu Ihrem eigenen Besten ist. Es wird etwas aus Ihnen. Sie lernen vielleicht, auf eigenen Füßen zu stehen und sogar ein bißchen auf ihnen zu laufen."
Aber ich achtete nicht auf seine Worte. Die Segel des Schiffes, das ich in Südwest gesehen hatte, waren immer größer und deutlicher geworden. Es war ein schöner Anblick, wie es jetzt mit ausgebreiteten Flügeln auf uns zuflog und augenscheinlich seinen Kurs ganz dicht an uns vorbei nahm. Der Wind hatte plötzlich zugenommen.
Wir fuhren schneller und krängten stärker. Eine Bö tauchte die Reling ganz unter Wasser, so daß es das Deck überspülte und ein paar von den Jägern veranlaßte, schnell die Beine hochzuziehen.
„Das Schiff fährt bald an uns vorbei", sagte ich nach einer kleinen Pause. „Da es uns entgegenkommt, ist anzunehmen, daß es nach San Franzisko will."
„Sehr wahrscheinlich", lautete Wolf Larsens Antwort. Dann wandte er sich halb um und rief: „Köchlein, he, Köchlein!"
Der Koch fuhr aus der Kombüse.
„Wo ist der Junge? Sag ihm, daß ich ihn brauche."
„Jawohl, Herr", und Thomas Mugridge eilte nach achtern und verschwand über eine Treppe in der Nähe des Rades. Gleich darauf tauchte er wieder auf, gefolgt von einem kräftigen, finster blickenden Burschen von achtzehn bis neunzehn Jahren. Aber Wolf Larsen ignorierte den Ehrenmann und wandte sich sofort an den Kajütsjungen: „Wie heißt du, Junge?"
„George Leach, Herr", lautete die verdrossene