Viva l'Italia. Gerhard TotschingerЧитать онлайн книгу.
ITALIANA
DELLA CUCINA
Mitten im Zweiten Weltkrieg und in ihrer Tendenz gegen die absolut herrschende Ideologie und ihre Kriegsverherrlichung wurde in Berlin 1940 die Komödie »Kirschen für Rom« uraufgeführt, ihr Autor war Hans Hömberg. Die Hauptrolle spielte einer der großen Theaterstars dieser Jahre und Jahrzehnte – Gustaf Gründgens. Er gab einen reichen, römischen Patrizier, der zwar als Feldherr siegreich, aber am eigenen militärischen Ruhm nicht mehr interessiert war. Als Gastgeber jedoch war er schon zu seiner Zeit berühmt, er ist es bis heute – Lukullus.
Der Name ist zum Synonym für die Küche des alten Rom geworden, ja er steht ganz allgemein für Tafelfreude. Das »lukullische Gastmahl« hat den Ruf des Lucius Licinius Lucullus ebenso die Jahrhunderte überdauern lassen wie seine Großtat, die ersten Kirschen aus dem Lande Pontus, aus der Stadt Giresun, nach Rom zu bringen. Die neu entdeckte Delikatesse eroberte in knapp hundert Jahren ganz Europa.
Ein Gastropreis trägt seinen Namen, auch Hotelbetriebe in der halben Welt schmücken sich mit ihm. Ein spezieller Kundenkreis begegnet dem großen Feldherrn immer wieder, wiewohl er sich beim besten Willen nicht für seine wirklichen Leistungen begeistern kann. Es gibt sogar ein Hundefutter Lukullus, weiters auch eine Saatbaufirma und in die Literatur ist der große Genießer nicht nur mit Hilfe von Hömberg und Gründgens eingegangen.
Bertolt Brecht hat das Hörspiel verfasst »Das Verhör des Lukullus«, einen Prozess im Jenseits über die Frage, ob die menschlichen Verdienste oder die militärischen Taten zählen.
Paul Dessau hat aus dem Text Brechts die Oper »Die Verurteilung des Lukullus« geschaffen.
Den bedeutendsten militärischen Gegner des Lucius Licinius Lucullus, Mithridates, kennt die Opernwelt – »Mitridate, re di Ponto«, Libretto von Vittorio Amedeo Cigna-Santi, Musik von W. A. Mozart, Uraufführung am Teatro Regio Ducale in Mailand 1770. Die Handlung basiert auf dem Drama »Mithridate« von Jean Racine und hat nichts mit dem realen Leben des großen Feindes der Römer zu tun. Lucullus hat ihn in mehreren Feldzügen besiegt, hat sein Land erobert und dabei auch die Verwaltung der römischen Provinz Asia reformiert. Er war in seinen Maßnahmen dem besiegten Feind gegenüber maßvoll und menschlich, allerdings brachte er es in diesen Kriegsjahren zu legendärem Reichtum. In Roms Umgebung errichtete er sich nach dem letzten, dem dritten Feldzug gegen Mithridates mehrere Villen und einen Palast im Zentrum, auf einem der sieben Hügel Roms, auf dem Palatin. Die Gastmähler, die Lucullus in diesen Villen gab, brachten ihm seinen Ruf als Feinschmecker ein und die Tat, aus Asien die bis dahin in Rom unbekannte Kirsche mitgebracht zu haben, führte ihn zweitausend Jahre später in die deutsche Literatur. Hömbergs Komödie »Kirschen für Rom« war noch Jahre nach der Uraufführung beliebt und erfolgreich, 1954 spielte man das Stück in Düsseldorf, wieder mit Gustaf Gründgens, und in einer eigenen Inszenierung zum siebzigsten Geburtstag des Bundespräsidenten von Deutschland, Theodor Heuss, der ein besonderer Verehrer von Hans Hömberg war.
Und warum das alles an dieser Stelle? Weil man auch an der Tafel beim Mahl am Mittelmeer ein gutes Tischgespräch braucht. Und weil die alles durchdringende Kultur Italiens im Laufe von fast dreitausend Jahren auch der Küche nicht nur Ideen und Rezepte, sondern auch zahllose Geschichten und Anekdoten gebracht hat.
Zu den berühmtesten Kochbüchern der Küchengeschichte gehören eines aus der Antike und eines aus dem 19. Jahrhundert, beide aus Italien, beide geprägt vom hohen Fachwissensstand ihrer Zeit.
Das Kochbuch des Apicius ist das älteste erhaltene Kochbuch der Antike – »De re coquinaria – Über die Kochkunst«. In zwei Exemplaren ist es erhalten, eines ist im Besitz der Academy of Medicine in New York, das zweite befindet sich in der Bibliothek des Vatikan.
Der Name Apicius bedeutet nicht den tatsächlichen Autor. Es gab im Rom der Antike mehrere Feinschmecker dieses Namens, das Buch ist eine Sammlung von Rezepten aus verschiedenen Quellen. Wer das »Gastmahl des Trimalchio« oder den Film Fellinis nach diesem Buch kennt, wird sich unter einem römischen Gastmahl eine opulente dekadente Orgie vorstellen. Der Text aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. umfasst das bekannteste und längste Kapitel des Romans »Satyricon«, sein Autor war Petronius Arbiter. Das ist eben eine Satire, in der ein zu großem Reichtum gekommener freigelassener Sklave, Trimalchio, als ein klassischer Neureicher verspottet wird.
»De re coquinaria« aber zeigt eine ganz andere römische Küche, in der Groteskes wie »Pfau in Honig« oder »gefüllte Haselmäuse« nicht vorkommen. Rund ein Viertel der Rezepte betrifft Soßen, die für Vielfalt des Geschmacks sorgen.
Das zweite zum Klassiker gewordene Kochbuch hat Pellegrino Artusi verfasst. Er kam 1820 zur Welt und starb mit fast einundneunzig Jahren, was viele Feinschmecker mit Beruhigung zur Kenntnis nehmen werden. Zur Welt ist er in Forlimpopoli gekommen, einer kleinen Stadt nahe der adriatischen Küste, in der Provinz Forli-Cesena. Sein Lebensweg lässt an einen anderen Italiener von Weltruf denken, an Rossini. Hat dieser als Musiker seinen Lebensweg begonnen, bis er sich fast ausschließlich den Freuden von Küche und Keller widmete, so war jener zuerst Kaufmann, dann Dichter und endlich ein ungemein erfolgreicher Gastrosoph. Das Wort gibt es zwar, aber die dazugehörige Wissenschaft wird nicht als solche anerkannt. Ihr erster Vertreter von Bedeutung war Jean Anthelme Brillat-Savarin, vor allem mit seinem Buch »Die Physiologie des Geschmacks«. Und nun erschien, rund ein halbes Jahrhundert später, Artusi. Er hatte als Seidenfabrikant ein Vermögen teils geerbt, teils selbst erworben. Auf weiten Geschäftsreisen kreuz und quer durch die italienische Halbinsel hatte er große Erfahrung, auch im Gastronomischen, gesammelt. Und er war ein Patriot.
So brachte er nun sein Wissen von den verschiedenen regionalen und lokalen Küchen zu Papier und das in Verbindung mit einem zweiten Projekt – der Sprache. Er suchte neue, den Regionen Italiens entsprechende Ausdrücke und ersetzte mit ihnen das vorherrschende Gastro-Französisch. Dass seine Familie schon 1851 – er war erst einunddreißig Jahre alt – mit ihrer Firma nach Florenz übersiedelt war, in das Land der edelsten Form der Heimatsprache, hatte ihn natürlich beeinflusst. Jahre später schrieb er: »Nach der Einigung Italiens erschien es mir als logische Konsequenz, an die Einheit der gesprochenen Sprache zu denken.«
Warum seine Familie die Heimatstadt verlassen hatte und unter welch schrecklichen Umständen, das hatte Artusis Sehnsucht nach einem geordneten Staat nicht nur geweckt, das Erlebnis hatte ihn geprägt.
Ein Bandit namens Stefano Pelloni, geboren 1824, war zuerst zum Mythos der armen Leute geworden – ein Robin Hood der Emilia. Tatsächlich aber war der Brigant, sein nom de guerre war »Il Passatore«, ein blutrünstiger, nur auf materiellen Vorteil bedachter Räuber. In der Nacht des 25. Jänner 1851 überfiel er mit seiner Bande das Theater von Forlimpopoli. Die Gangster bedrohten die Zuschauer, hielten sie in Schach, raubten einen reichen Logenbesitzer nach dem anderen aus – auch die Familie Artusi. Schließlich vergewaltigten sie mehrere Frauen – vor allen Augen. Eines der Opfer war Pellegrino Artusis Schwester, Gertrude. Sie überlebte, aber sie wurde durch das furchtbare Erlebnis verrückt. Die Familie verließ den Ort des Geschehens wenige Wochen später für immer.
Einige Wochen danach entdeckte die päpstliche Gendarmerie den Bandenchef in einer Jagdhütte, er war von einem Komplizen verraten worden. Beim folgenden Schusswechsel wurde Il Passatore getötet. Sein Leichnam wurde auf einem Wagen durch die ganze Romagna geführt und auf allen großen Plätzen ausgestellt, zum Zeichen, dass die Bedrohung ein Ende gefunden hatte. Noch eine Fußnote – der berühmte italienische Fernsehstar Raffaella Carrà hatte den Passatore zum Ahnen, sie hieß mit bürgerlichem Namen Pelloni.
Artusi und die Seinen hatten Forlimpopoli also verlassen. Doch die kleine Stadt hat den großen Mitbürger nicht vergessen. Hier gibt es die Casa Artusi, die sein Andenken hochhält und seiner Idee dient, über hundert Jahre nach seinem Tod. Man hat den hundertfünfzigsten Jahrestag der italienischen Einheit gemeinsam mit dem hundertsten Todestag des großen Küchenweisen begangen. Das Haus, das seinen Namen trägt, ist offen für »Köche und Köchinnen, Amateure, Gastwirte, Feinschmecker, Kinder …«. Die Casa Artusi ist Restaurant, Kochschule, Museum, Veranstaltungszentrum, Weinkeller, Bibliothek. Vierzigtausend Bücher warten hier auf ihre Leser!