Dr. Norden Jubiläumsbox 9 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
»Kuchenstücke unter 300 Gramm sind Kekse für mich«, erklärte sie im Brustton der Überzeugung und ließ zum Beweis gleich ein ganzes Stück mit zwei Bissen in ihrem Mund verschwinden. Dann endlich ließ sie sich willig von Danny in die Arme schließen.
»Solange du mich nicht verlässt, bin ich ganz deiner Meinung«, raunte er ihr zu und küsste die Kuchenbrösel aus ihrem Mundwinkel.
»Ehrlich gesagt hatte ich genau das Gegenteil vor«, gluckste Tatjana im Überschwang der Gefühle. Für einen Augenblick hatte sie die Gründe für ihre Angst vor einer Ehe vergessen. »Vielleicht heirate ich dich ja doch! Aber zuerst muss ich noch mehr essen.«
*
In dieser Nacht schlief Daniel Norden tief und fest neben seiner Frau und träumte vom vergangenen Urlaub, als ihn die Wirklichkeit schneller als erwartet wieder einholte.
»Daniel, du musst sofort kommen!«, erklärte Jenny Behnisch entschieden in den Hörer, nachdem er sich schlaftrunken gemeldet hatte. »Carl Herweg geht es wieder schlechter. Vor allem die Muskeln auf der rechten Körperseite bereiten Beschwerden.«
»Gut. Ich bin sofort da!« In Windeseile zog sich Daniel an. Er beugte sich über seine verschlafene Frau, die nicht recht begriff, was passierte, und verabschiedete sich mit einem Kuss von ihr. »Wir sehen uns später in der Klinik«, raunte er ihr zu, ehe er das Haus verließ.
Nur eine Viertelstunde später saß er wieder mit Jenny Behnisch am Tisch und starrte gemeinsam mit einem Kollegen von der Neurologie in den Bildschirm des Computers.
»Was haben wir übersehen?«, murmelte er vor sich hin, als der Neurologe Andreas Brenner den entscheidenden Hinweis gab.
»Diese Bilder sehen aus wie die eines Parkinson-Patienten«, bemerkte er und deutete auf den veränderten Bereich in der Hirnmitte.
Nachdenklich wiegte Daniel den Kopf. Er behandelte Carl Herweg, seit die seltsamen Beschwerden aufgetaucht waren, und hatte das genaue Krankheitsbild vor Augen.
»Die Muskelsteife, die Bewegungsstarre der rechten Seite, eine instabile Körperhaltung …« In plötzlicher Erkenntnis hob er die Augen und sah den Kollegen an. »Sie haben recht, die Symptome sind eindeutig. Herr Herweg muss an Parkinson leiden. Aber das ist ja schrecklich!« Schlagartig waren ihm die Folgen dieser unheilbaren Krankheit bewusst.
Obwohl der Unternehmer nicht gerade ein Sympathieträger war, empfand Dr. Norden sofort tiefes Mitgefühl für den Patienten.
Allerdings war der Neurologe nicht mit der Interpretation seiner Worte einverstanden.
»Nein, nein, das wollte ich nicht damit sagen«, korrigierte er Daniels Ansicht. »Ich denke, dass Ihre Diagnose der Gehirnentzündung durchaus richtig ist. Daraus sind diese Symptome entstanden, die denen von Parkinsonpatienten ähneln. Das heißt aber nicht, dass sie tatsächlich an dieser Krankheit leiden.«
Jenny Behnisch und ihr langjähriger Freund und Kollege tauschten erstaunte Blicke.
»Ich habe ja schon viel erlebt im Laufe meiner Karriere als Arzt«, gestand Daniel offen ein. »Aber so was hab ich noch nie gehört.«
Dr. Brenner lächelte.
»Das wundert mich nicht. Der Parkinsonismus nach einer Hirnentzündung ist zwar selten, doch nach der Infektion mit unterschiedlichen Erregern in der medizinischen Literatur durchaus bekannt. Dabei sterben teilweise oder ganz die Zellen ab, die für die Produktion von Dopamin zuständig sind«, erklärte er bereitwillig. »Bei manchen Patienten treten die Beschwerden noch während der akuten Entzündung auf und bessern sich anschließend. Andere Betroffene wie der Patient Herweg erkranken erst nach der eigentlichen Infektion.«
Aufmerksam hatte die Klinikchefin der Einschätzung ihres Mitarbeiters zugehört. Wieder einmal war sie stolz darauf, so viele kompetente Fachleute um sich versammelt zu haben. Ihnen allen verdankte die Behnisch-Klinik ihren ausgezeichneten Ruf.
»Und wie sieht Ihrer Ansicht nach die richtige Behandlung aus?«, stellte sie die alles entscheidende Frage.
»Ganz einfach.« Andreas Brenner hatte genug gesehen und stand auf. Es wurde Zeit, in die Neurologie zurückzukehren. »Die Gabe eines Parkinson-Medikaments müsste eine schnelle Linderung des Leidens bringen. Im Anschluss gibt es mehrere Behandlungsmöglichkeiten, um die Sache dauerhaft in den Griff zu bekommen. Es ist nicht einfach, aber einen Versuch wert. Ich schicke Ihnen gleich eine Schwester mit entsprechenden Informationen«, erwiderte er, ehe er sich verabschiedete und zwei erstaunte Ärzte zurückließ.
»Manchmal ist mir die Medizin trotz aller Erfahrung immer noch ein Rätsel«, seufzte Dr. Norden. »Wochenlang haben wir Herrn Herweg auf den Kopf gestellt und nach allen möglichen Ursachen gesucht.«
»Dabei ist die Lösung des Problems offenbar gar nicht so schwer«, stellte Jenny Behnisch erleichtert fest. »Wenn es gelingt, Herrn Herweg gut auf die Medikamente einzustellen, wird er hoffentlich bald wieder ganz normal leben können«, erklärte sie zuversichtlich.
Das war lediglich der theoretische Behandlungsansatz. Doch die praktische Umsetzung sollte sich als viel schwieriger erweisen, als alle Beteiligten gedacht hatten.
*
»Sie schon wieder?« Der Ärger stand Carl Herweg deutlich ins Gesicht geschrieben, als Dr. Daniel Norden ins Zimmer trat. »Dass Sie sich noch in meine Nähe wagen! Schauen Sie mich an! Mit Ihren Tabletten ist alles nur noch viel schlimmer geworden.« Hilflos lag er im Bett und deutete auf seine linke Seite, deren Muskeln fast völlig versteift waren. Obwohl ihm das Sprechen schwer fiel, machte er seinem Zorn Luft. »Gehen Sie mir aus den Augen, Sie Scharlatan! Verklagen sollte ich Sie!«
Daniel Norden war durchaus bewusst gewesen, dass sein Patient nicht gerade begeistert sein würde über den unerwarteten Rückfall. Mit so herber Kritik hatte er aber nicht gerechnet.
»Es war nicht abzusehen, dass das passieren würde«, versuchte er, den alten Patriarchen zu besänftigen.
»Und was wollen Sie jetzt von mir?« Carl Herweg dachte nicht dran, sich versöhnlich zu zeigen. »Kommen Sie endlich zur Sache. Lange genug doktern Sie ja schon an mir rum.«
»Also schön.« Dr. Norden unterdrückte ein Seufzen. »Aller Wahrscheinlichkeit nach leiden Sie an den Folgen einer Gehirnentzündung …«
»Was soll denn das schon wieder heißen? Aller Wahrscheinlichkeit nach?«, unterbrach Herweg seinen Arzt ungeduldig. »Wissen Sie’s oder wissen Sie’s nicht?«
»Wir haben einen Fachmann aus der Neurologie zu Rate gezogen«, erklärte Daniel geduldig. Er stand neben Carl Herwegs Bett und blickte auf ihn hinab. »Er ist sicher, dass Sie aufgrund der Hirnentzündung an einer Krankheit namens Parkinsonismus leiden.«
Carl Herwegs Augen weiteten sich vor Schreck. Er schluckte und krächzte und räusperte sich, ehe er wieder sprechen konnte.
»Parkinson? Ich habe Parkinson?«
»Nein«, widersprach Dr. Norden energisch. »Aber Ihre Symptome ähneln denen der Parkinson-Erkrankung. Daher der Name. Die Gehirnentzündung ist für den Untergang wichtiger Zellen verantwortlich, die für die Produktion von Dopamin zuständig sind. Dopamin ist ein Hormon, das als Botenstoff fungiert und wichtige körperliche und geistige Funktionen steuert.«
»Hören Sie schon auf. Das interessiert mich alles nicht!« Abwehrend wollte Carl Herweg die Arme heben. Doch seine linke Seite tat nicht das, was er wollte und mit verzerrtem Gesicht ließ er auch den rechten Arm wieder sinken.
»Keine Angst, wir haben verschiedene Möglichkeiten, dieseAusfälle dauerhaft in den Griff zu bekommen«, versuchte Dr. Norden, seinen Patienten zu beruhigen. Gleichzeitig wusste er, dass Carl Herweg einen langen Weg vor sich hatte, der von einem Parkinson-Medikament über eine Stammzellentherapie und einem Dopaminersatzstoff bis hin zur Homöopathie führte. Es gehörte eine gute Portion Glück dazu, die richtige Kombination zu finden.
Doch davon wollte der Patriarch ohnehin nichts wissen.
»Ach, mal wieder ein paar