Das Dekameron. Giovanni BoccaccioЧитать онлайн книгу.
und zeigte ihnen an, dass Ciappelletto ein heiliger Mann gewesen sei, wie er aus seiner Beichte schließen müsse. Da er nun hoffe, dass unser Herr Gott durch ihn viele Wunder tun würde, so ermahnte er sie, seinen Leichnam mit der größten Verehrung und Devotion aufzunehmen. Der Prior und die übrigen Mönche glaubten alles, stimmten ihm bei und begaben sich sämtlich des Abends nach dem Hause, wo die Leiche des Ciappelletto aufgebahrt lag. Sie hielten bei ihm eine große und feierliche Vigilie. Des Morgens kamen sie alle, in ihren Chorhemden und Messgewändern feierlich gekleidet, mit ihren Büchern in der Hand und mit vorgetragenen Kreuzen, um den Leichnam abzuholen, und brachten ihn mit vielem Gepränge und Feierlichkeit nach ihrem Kloster, wobei viele Leute der Stadt, Männer und Weiber, nachfolgten. Als man die Leiche im Kloster niedersetzte, bestieg der Pater, dem Ciappelletto gebeichtet hatte, die Kanzel und hielt eine lange Rede, in welcher er von seinem Lebenswandel, von seinem Fasten, von seiner Keuschheit, von seiner Unschuld und Einfalt Wunder erzählte. Wie er unter anderem dasjenige anführte, was ihm Ciappelletto als seine größte Sünde gebeichtet hätte, und er ihm kaum habe begreiflich machen können, dass Gott ihm dieses vergeben würde, sagte er mit strafender Miene und Rede zu seinen Zuhörern: „Und ihr, von Gott Verworfenen, lästert Gott und seine Mutter und alle Heiligen im Paradiese um eines jeden Strohhalms willen, der euch unter die Füße gerät!“ So sprach er noch vieles von seiner Aufrichtigkeit, Rechtlichkeit und von der Reinheit seiner Sitten; kurz, seine Worte, denen alle Menschen in der Gegend völligen Glauben beimaßen, erfüllten die Köpfe der ganzen Gemeinde mit so vieler Ehrfurcht für den Verstorbenen, dass nach dem Gottesdienst alles haufenweise hinzulief, um ihm Hände und Füße zu küssen; alles Gewand ward ihm vom Leibe gerissen, und ein jeder schätzte sich glücklich, der einen Fetzen davon erwischen konnte. Man musste den Sarg den ganzen Tag offen lassen, damit jeder ihn besuchen und sehen konnte, und wie der Abend kam, ward er in einer marmornen Lade sehr pompös in einer Kapelle beigesetzt. Am andern Tage kamen schon Leute, um zu ihm zu wallfahrten und ihn anzubeten, ihm Gelübde darzubringen und wächserne Bilder zu opfern. Ja, so sehr verbreitete sich der Geruch seiner Heiligkeit und die Andacht seiner Verehrer, dass fast niemand, der sich in irgendeiner Widerwärtigkeit befand, sich einem andern Heiligen empfahl als ihm, und man nannte ihn (und nennt ihn noch diese Stunde) Sankt Ciappelletto und versichert, dass Gott durch ihn manches Wunderwerk verrichtet habe und noch jeden Tag an denen wirke, die gläubig sich ihm empfehlen!
ZWEITE NOVELLE
Der Jude Abraham reist auf Antrieb des Jeannot de Sevigny nach Rom. Als er das Lasterleben der Geistlichkeit sieht, kehrt er zurück nach Paris und wird – Christ.
Die Erzählung des Pamfilo wurde von den Damen im Einzelnen belacht, im Ganzen fand sie einmütigen Beifall. Nachdem man sie aufmerksam bis zu Ende angehört hatte, befahl die Königin, dass Neifile, die neben ihr saß, durch Erzählung einer neuen Geschichte die Unterhaltung fortsetze. Diese, nicht minder einnehmend durch ihr gefälliges Wesen als durch ihre Schönheit, gab willig zur Antwort: „Sehr gerne“, und begann folgendermaßen:
Pamfilo hat in seiner Erzählung gezeigt, dass die Güte Gottes nicht auf unseren Irrtum sieht, wenn dieser durch Dinge veranlasst wird, die wir nicht wissen können. Und ich will in der meinigen dartun, wie sehr eben dieselbe Güte, dadurch, dass sie geduldig die Fehler derer erträgt, die uns durch ihre Worte und Werke ein kräftiges Zeugnis von ihr geben sollten, und das Gegenteil tun, sich selbst untrüglich offenbart, damit wir uns desto ernstlicher bestreben, unseren Glauben in die Tat umzusetzen.
Wie man mir erzählt hat, meine liebenswürdigen Zuhörerinnen, wohnte einst in Paris ein begüterter, reicher Kaufherr namens Jeannot de Sevigny, ein braver, rechtschaffener Mann, der einen großen Tuchhandel führte und in vertrauter Freundschaft mit einem sehr reichen Juden lebte, der Abraham hieß und auch als rechtlicher und ehrlicher Kaufmann bekannt war. Wenn Jeannot bisweilen die Rechtschaffenheit und Redlichkeit dieses Juden betrachtete, so schmerzte es ihn sehr, dass die Seele eines so wertvollen, guten und weisen Mannes verlorengehen solle, weil er des wahren Glaubens ermangle. Deswegen trat er freundschaftlichst an ihn heran, er möge doch die Irrtümer der jüdischen Lehre verlassen und sich zur christlichen Wahrheit bekehren, die, wie er ja selbst sehen könne, wegen ihrer Heiligkeit und Vortrefflichkeit immer wüchse und zunehme, hingegen seine Religion sichtlich abnähme und sich dem Ende nähere. Der Jude gab ihm aber zur Antwort: Er hielte keinen Glauben außer dem jüdischen weder für heilig noch für gut; in diesem wolle er leben und sterben, und nichts könne ihn von seiner Überzeugung abbringen. Jeannot ließ indessen nicht nach, sondern brachte nach einigen Tagen das gleiche Thema wieder aufs Tapet und bewies ihm mehr schlecht als recht, soweit ein Kaufmann fähig ist, dergleichen zu beweisen, aus welchen Ursachen unsere Religion besser wäre als die jüdische. Und obwohl der Jude in den mosaischen Gesetzen trefflich bewandert war, so geschah es doch, entweder weil ihn seine große Freundschaft für Jeannot bewegte, oder weil ihn vielleicht die Worte überredeten, die der Heilige Geist dem ungelehrten Manne in den Mund legte, dass die Beweise des Jeannot anfingen, dem Juden sehr einzuleuchten, wiewohl er noch immer hartnäckig dabei blieb, sich von seinem Glauben nicht abwenden zu lassen. So eigensinnig der Jude blieb, so beharrlich fuhr Jeannot fort, ihm zuzureden, bis er endlich, von dieser Beharrlichkeit überwunden, zu ihm sagte: „Höre, Jeannot, du willst durchaus, dass ich ein Christ werden soll, und ich bin nicht abgeneigt, dir zu willfahren, doch ich will erst nach Rom reisen und will den sehen, von dem du sagst, er sei der Statthalter Gottes auf Erden. Ich will seinen Wandel und seine Sitten kennenlernen und auch den Lebenswandel seiner Brüder, der Kardinäle, und wenn ich an ihren Werken wie aus deinen Worten merke, dass eure Religion besser ist als die meinige, wie du dich bemühst, mir zu beweisen, so will ich tun, was du verlangst; wenn ich es aber anders finde, so bleibe ich ein Jude, wie ich bin.“
Als Jeannot dies hörte, ward er in seiner Seele betrübt und dachte bei sich: All meine Mühe ist verloren, die ich glaubte so gut angewandt zu haben, weil ich dachte, ich hätte ihn schon bekehrt. Wenn er aber nach Rom kommt und sieht das Lotter- und Lasterleben der Geistlichen, so wird er nicht nur aus einem Juden kein Christ werden, sondern wenn er schon ein Christ wäre, er würde unfehlbar wieder zum Juden. Darum sprach er zu Abraham: „Lieber Freund, warum willst du dir die vielen Strapazen und Unkosten machen, die mit einer Reise nach Rom verknüpft sind, zumal einen reichen Mann wie dich tausend Gefahren zu Wasser und Land bedrohen? Meinst du, du findest niemanden hier, der dich taufen kann? Und wenn dir ja gegen den Glauben, den ich dir erkläre, noch einige Zweifel aufstoßen, wo gibt es denn größere Meister in ihm und weisere Leute als hier, bei denen du dich über alles befragen und dir Rat holen kannst? Ich bin der Meinung, deine Reise ist überflüssig. Denke dir die Prälaten in Rom als ebensolche Männer, wie du sie hier gesehen hast und noch um so viel frömmer, als sie dem obersten Hirten näher stehen, und erspare dir die Beschwerlichkeit einer Reise, wenn ich dir raten darf. Vielleicht findet sich einmal später Gelegenheit, etwa ein Ablass, nach Rom zu wallfahrten, dann werde ich dir sogar gern Gesellschaft leisten.“
Der Jude antwortete: „Zugegeben, Jeannot, es sei so, wie du sagst, so bin ich, ein Wort statt vieler, dennoch fest entschlossen zu reisen, wofern ich das tun soll, worum du mich so sehr bittest, sonst kann nichts daraus werden.“ Da Jeannot ihn so entschlossen fand, blieb ihm nichts anderes übrig, als mit säuerlicher Miene zu sagen: „So reise denn glücklich!“ Allein, er dachte bei sich, er würde nimmermehr ein Christ werden, sobald er den römischen Hof gesehen hätte; doch da er selbst nichts dabei verlor, gab er sich zufrieden. Der Jude stieg zu Pferd und zog nach Rom, so eilig er konnte, wo ihn seine Glaubensgenossen bei seiner Ankunft mit vielen Ehrenbezeigungen aufnahmen. Während seines Aufenthaltes daselbst beobachtete er, ohne seine Absicht zu verraten, sehr aufmerksam den Lebenswandel des Papstes und seiner Kardinäle sowie der übrigen Prälaten und aller Herren am Hofe, und nach allem, was er als ein scharfsichtiger Mann selbst bemerkte und was ihm andere berichteten, fand er bald, dass sie vom Größten bis zum Kleinsten durchgängig auf die schändlichste Weise der Wollust frönten und sich nicht nur den natürlichen, sondern auch den widernatürlichsten sodomitischen und anderen Lüsten ohne Scham und Scheu überließen, sodass man durch den Einfluss der Buhlerinnen und unzüchtigen Knaben bei ihnen die wichtigsten Dinge erlangen und durchsetzen konnte. Übrigens fand er sie alle dem Fressen und Saufen, der Schlemmerei und Völlerei ergeben und überzeugte sich, dass sie in ihren Begierden wie unvernünftige Tiere nur