Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie MarlittЧитать онлайн книгу.
habe allerdings,« entgegnete Ferber ruhig, »bis jetzt die Seele meines Kindes allein in den Händen gehabt und bin, wie es meine Pflicht war, eifrig besorgt gewesen, jeden Keim zu wecken, jedes Pflänzchen, das ausbiegen wollte, zu stützen. Nichtsdestoweniger ist es mir nie eingefallen, eine kraftlose Treibhauspflanze erziehen zu wollen, und wehe mir und ihr, wenn das, was ich seit achtzehn Jahren unermüdlich gehegt und gepflegt habe, wurzellos im Boden hinge, um von dem ersten Windhauche des Lebens hinweggerissen zu werden . . : Ich habe meine Tochter für das Leben erzogen; denn sie wird den Kampf mit demselben so gut beginnen müssen, wie jedes andere Menschenkind auch. Und wenn ich heute meine Augen schließe, so muß sie das Steuer selbst ergreifen können, das ich bisher für sie geführt habe … Sind die Leute drunten im Schlosse in der That kein Umgang für sie, nun, dann wird sich das sehr bald herausstellen. Entweder es fühlen beide Teile sofort, daß sie nicht für einander passen, und das Verhältnis löst sich von selbst wieder, oder aber Elisabeth geht an dem vorüber, was ihren Grundsätzen widerspricht, und es bleibt deshalb nicht an ihr haften … Du gehörst ja selbst zu denen, die nie einer Gefahr ausweichen, sondern stets ihre Kraft, ihren Wert an ihr erproben.«
»Alle Wetter, dafür bin ich auch ein Mann, der für sich selbst einstehen muß!«
»Weißt du denn, ob Elisabeth in späteren Jahren je eine andere Stütze haben wird, als sich selbst, je eine fremde Kraft, die die Verantwortlichkeit für sie mit übernimmt?«
Der Oberförster warf einen schnellen Blick auf das junge Mädchen, das seine Augen feurig auf den Vater geheftet hielt. Er sprach ihr aus der Seele, der für sie der Inbegriff des Unfehlbaren und der Weisheit war – das lag sprechend in ihren Zügen.
»Vater,« sagte sie, »du sollst sehen, daß du dich nicht geirrt hast, daß ich nicht schwach bin … Ich habe von jeher das abgenutzte Bild vom Epheu und der Eiche nicht leiden mögen und werde es am allerwenigsten an mir wahr machen … Lasse mich getrost ins Schloß hinuntergehen, Onkelchen,« wandte sie sich schelmisch lächelnd an den Oberförster, dem die grimmige Falte in möglichster Entwickelung zwischen den Augenbrauen erschienen war. »Sind die Bewohner herzlos, ei, so setzt das noch lange nicht voraus, daß ich sofort zum Kannibalen werden und mein eigenes Herz unter dem Mühlsteine der Grausamkeit zermalmen muß. Wollen sie mich treten und verletzen durch Hochmut, dann setze ich mich innerlich auf einen so hohen Standpunkt, daß alle Pfeile umsonst nach mir verschossen werden, und sind sie Heuchler, nun, so sehe ich der Wahrheit um so fester ins sonnige Angesicht und weiß dann desto klarer, wie häßlich jene schwarzen Masken sind.«
»Schön gesagt, unvergleichliche Elfe, und wäre auch wunderleicht durchzuführen, wenn nur die Leute die Freundlichkeit haben wollten, ihre Masken so handgreiflich zur Schau zu tragen … Wirst dich schon wundern, wenn du eines Tages Spreu da findest, wo du so und so lange auf Gold geschworen hast.«
»Aber, lieber Onkel, ich werde doch nicht so thöricht sein, mich lediglich Illusionen hinzugeben … Bedenke nur, wie viel Trübes in meine Kinderzeit gefallen ist; und das ist durchaus nicht so unverstanden an mir vorübergegangen … Allein, ein wenig Vertrauen auf seinen guten Stern und auf sich selbst muß das Menschenkind auch haben; und deshalb verzweifle ich noch gar lange nicht, selbst wenn ich gleich beim Eintritt in die fremde Welt in einen Abgrund von ägyptischer Finsternis und greulicher Molche fallen sollte … Siehst du, liebes Onkelchen, das hast du nun von deinem Eifer für mein Seelenheil – deine Tasse sieht aus, als solle eine Eisbahn darauf eröffnet werden und dein unglücklicher Meerschaumkopf liegt in den letzten Zügen.«
Der Oberförster lachte, wenn auch, wie es schien, wider Willen. Dann aber sagte er zu Elisabeth, die geschäftig seine Tasse frisch füllte und einen brennenden Fidibus herbeibrachte, »du brauchst nicht etwa zu denken, daß ich all mein Pulver verschossen habe, wenn ich sage. ›na meinetwegen, da gehe hin und versuch’s‹ – Ich will mir lediglich die Genugtuung verschaffen, eines schönen Tages das heldenmütige Küchlein eilig und verscheucht unter den schützenden Flügel des Daheim kriechen zu sehen.«
»Ach!« lachte Frau Ferber, »da kannst du warten, du kennst unsern kleinen Eisenkopf schlecht! … Aber laßt uns einen Entschluß fassen. Meiner Ansicht nach wäre es passend, wenn Elisabeth sich morgen den Damen vorstellte.« –
Tags darauf, und zwar nachmittags gegen fünf Uhr, stieg Elisabeth den Berg hinab. Ein schön gehaltener Weg führte durch den Wald, der in dem Parke gewissermaßen aufging. Kein Gitter trennte den ersten, herrlich gepflegten Rasenplan, der mit seinen feinen, elastisch auf und ab wehenden Gräsern wie ein duftiges grünes Gefieder dalag, von dem mit knorrigen Wurzeln bedeckten Waldboden.
Elisabeth hatte ein frischgewaschenes, helles Musselinkleid angezogen, und ein weißer, runder Strohhut bog sich leicht über ihre Stirn. Der Vater gab ihr das Geleite bis an die erste Wiese, dann schritt sie allein mutig vorwärts. Keine menschliche Seele begegnete ihr auf dem langen Wege durch die reizenden Anlagen; ja, es schien, als flüsterte es hier im Laube der Bosketts tiefer, als droben im Walde, und als hüteten sich selbst die Vögel, allzu laut zu werden. Sie erschrak vor dem Knirschen des Sandes unter ihren Füßen, als sie in die Nähe des Schlosses kam, und wunderte sich über sich selbst, wie diese bängliche Stille sie mit einemmal so verzagt mache.
Endlich hatte sie den Hauptflügel erreicht und erblickte das erste Menschenangesicht. Es war ein Bedienter, der in einem imposanten Vestibüle geschäftig, aber möglichst geräuschlos hantierte. Auf ihre Bitte, sie bei der Baronin zu melden, schlüpfte er die breite, gegenüberliegende Treppe hinauf, an deren Fuß zwei hohe Statuen standen, die ihre weißen Glieder halb unter dem dunklen Laube mehrerer Orangenbäume versteckten. Sehr bald zurückkehrend, meldete er, daß sie willkommen sei, und eilte flüchtigen Fußes wieder voraus, kaum mit der Fußspitze die Stufen berührend.
Beklommenen Herzens folgte ihm Elisabeth. Nicht der sie umgebende Glanz war es, der sie niederdrückte, nein, es war das Gefühl des Alleinstehens in dieser neuen, ungekannten Sphäre. Der Diener führte sie durch einen langen Korridor, an den sich mehrere Zimmer anschlossen, die, außerordentlich reich und elegant ausgestattet, jene tausend Kleinigkeiten in sich schlossen, welche ein unbefangenes und unverwöhntes Menschenkind auf die Vermutung bringen müssen, es sei in eine Warenausstellung geraten.
Der Bediente öffnete leise und behutsam eine Flügelthür und ließ das junge Mädchen eintreten.
In der Nähe des Fensters, Elisabeth gegenüber, lag auf einem Ruhebette eine dem Anscheine nach sehr leidende Dame. Ihr Kopf ruhte auf einem weißen Kissen, warme Decken verhüllten fast die ganze Gestalt, die jedoch – so viel ließ sich trotz der Umhüllung beurteilen – von beträchtlichem Embonpoint sein mußte. In der Hand hielt sie ein Flakon.
Die Dame richtete sich ein wenig in die Höhe, so daß Elisabeth vollständig ihr Gesicht sehen konnte; es war voll und blaß und erschien im ersten Augenblicke nicht unangenehm. Bei schärferer Beobachtung jedoch mußte man finden, daß die großen blauen Augen, von weißblonden Wimpern umrahmt und unter ebenso hellen, in die Höhe gezogenen Brauen liegend, kalt wie Gletschereis blickten, ein Ausdruck, den ein Zug von Hochmut um Lippen und Nasenflügel und ein stark hervortretendes, breites Kinn keineswegs milderte.
»Ach, es ist sehr freundlich von Ihnen, mein Fräulein, daß Sie kommen!« rief die Baronin mit schwacher, aber trotzdem hart und spröde klingender Stimme, indem sie mittels einer Handbewegung nach einem ihr nahe stehenden Fauteuil deutete und das sich höflich verbeugende junge Mädchen aufforderte, sich zu setzen. »Ich habe,« fuhr sie fort, »meine Kousine bitten lassen, sich bei mir mit Ihnen zu verständigen, da ich leider zu unwohl bin, Sie hinüberführen zu können.«
Der Empfang war jedenfalls höflich und zuvorkommend, obgleich sich in Ton und Bewegung der Dame eine bedeutende Dosis Herablassung nicht verkennen ließ.
Elisabeth setzte sich und wollte eben auf die Frage, wie es ihr in Thüringen gefalle, antworten, als die Thür heftig aufgerissen wurde. Ein kleines, ungefähr achtjähriges Mädchen mit fliegenden, etwas rötlichen Locken stürzte herein, in ihren Armen einen niedlichen, zappelnden und quiekenden Hund an sich drückend.
»Ali ist so unartig, Mama, er will gar nicht bei mir bleiben!« rief die Kleine fast atemlos, indem sie den Hund auf den Teppich warf.