Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie MarlittЧитать онлайн книгу.
Rache entrückt. Sie stieß sich den Dolch ins eigene Fleisch, wenn sie das Rachewerk auch auf die Unschuldige erstreckte, auf die einzige, mit welcher sie von jenen Tagen reden konnte, in denen sie geliebt und deshalb in Wirklichkeit gelebt hatte ... War es nicht hohe Zeit, die Sonnenwärme der Liebe wieder aufzusuchen, wo sich die Schatten des Alters schon so breit und kältend über den Lebensweg hinstreckten ...
Während so der Schicksalssturm das Klosterhaus reinigend und sühnend durchbrauste, war es im ersten Stock des nachbarlichen Schillingshofes schwül und gewitterhaft.
Die Herrin des Hauses war noch immer leidend, und die Dienstboten, die droben verkehren durften, meinten, Fräulein von Riedt, die sie pflege, habe einen sehr schweren Posten. Sie verliere jedoch nie die Geduld und nähme die bösesten Worte, die ihr oft in das Gesicht geschleudert würden, mit so viel Gemütsruhe hin, als habe sie gar kein Ohr dafür. Dazwischen sei es aber auch hie und da für einen oder mehrere Tage stiller droben, und die Frau Baronin wisse dann gar nicht, was sie alles ersinnen solle, um Fräulein von Riedt Liebes und Gutes zu erzeigen, es fehle nicht viel daran, daß sie vor ihr auf die Kniee falle. Diese Umwandlung vollziehe sich aber stets, wenn Briefe mit einem gewissen Poststempel ankämen.
Die Baronin hatte noch immer die Gewohnheit, ruhelos durch die Zimmer und Säle zu laufen; dafür verließ sie aber auch ihre Gemächer nicht. Nur einmal wollte der Gärtner Zeuge gewesen sein, wie sie gegen Mitternacht immer und immer wieder das Atelier umkreist habe, bis ihr Fräulein von Riedt auf die Spur gekommen sei und nach einem heftigen Wortwechsel, wobei die Gnädige mit den Füßen gestampft, die Entwischte in das Säulenhaus zurückgebracht habe.
Am meisten wurde sie auf der Terrasse gesehen. Auch da wandelte sie oft unruhig durch die Orangenbäume, aber immer nur an dem Geländer hin, das die Plattform auf der Ostseite begrenzte. Von da konnte sie ziemlich die ganze Linie der Platanenallee übersehen, und über das Gebüsch hinweg war auch der kleine Oberbau des Ateliers sichtbar, in dem Baron Schilling seine Wohnung hatte. Da, unter einem Zeltdach, nahm sie mit Fräulein von Riedt die Mahlzeiten ein, hielt auch manchmal ein Buch oder eine Stickerei in den Händen, hauptsächlich aber war das der Beobachtungsposten, von dem aus sie den Verkehr zwischen Säulenhaus und Atelier verfolgte. Kein Gericht, keine Flasche Wein, die in das Atelier getragen wurden, entgingen ihren scharfen Augen, noch weniger aber ein lebendes Wesen, das die Kiesbahn der Allee beschritt.
So hatte sie auch eines Tages ihren Mann – zum erstenmal seit ihrer Rückkehr – unter den Platanen herkommen sehen. In diesem Augenblick des freudigen Erschreckens war es ihr nicht in den Sinn gekommen, daß ja auch das Erdgeschoß Bewohner habe – ein unbeschreibliches Siegesgefühl hatte sie durchstürmt – er gab nach, er beugte sich endlich, endlich, und kam zu ihr! ... Sie hatte mit einem langen, höhnisch triumphierenden Blick das leichterblaßte, über die Arbeit geneigte Gesicht der Stiftsdame fixiert, war aber unbeweglich unter dem Zeltdach sitzen geblieben und hatte den Oberkörper steif und unnahbar emporgereckt – so hatte sie gesessen und gewartet, äußerlich eine Statue an Kälte und strenger Haltung und im Innern fiebernd vor Ungeduld und Erwartung; aber der wohlbekannte Schritt war nicht laut geworden auf der Treppe, der »Bereuende« war nicht in die Glastür getreten, an der zuletzt ihre Blicke wahrhaft verzehrend gehangen hatten; nur der Bediente Robert war mit dem Eßzeug gekommen und hatte dabei über das Ereignis in der unteren Wohnung und den »gnädigen Herrn« berichtet, der »eben auch in den Salon gegangen sei«.
Seitdem hatte sie ihren Mann wiederholt brieflich aufgefordert, sich mit ihr über die Erneuerung im Holzsalon, die der stattgehabte Skandal nötig mache, zu verständigen, da ja auch ihr Interesse damit nahe berührt werde; und die Antwort hatte kurz und bündig gelautet, daß man anständigerweise erst die Beerdigung im Nachbarhause abwarten müsse, ehe man mit dem Handwerkerlärm beginne.
In das Säulenhaus war Baron Schilling nicht wieder gekommen, aber auf dem Klostergute war er gewesen. Er hatte lange in der Amtsstube gesessen und eine eingehende Besprechung mit der Majorin gehabt, und bei seinem Nachhausekommen hatte der Gärtner mit Beihilfe des Hausknechtes sofort vor seinen Augen einen schmalen Durchgang in den Zaun hauen müssen, der das Schillingsche Gebiet vom Klostergarten trennte.
Tief gereizt hatte die Baronin von der Terrasse aus dem Beginnen zugesehen; sie war ja doch die eigentliche Besitzerin des Schillingshofes, ohne ihre Genehmigung durfte kein Strauch versetzt, kein Beet verändert werden. Und nun gab er sich dort als alleiniger Besitzer – unerträglich!... Er durchbrach eigenmächtig die wohltätige Schranke, die das »Bauernelement« von dem vornehmen Boden geschieden, und suchte offenbar einen intimen nachbarlichen Verkehr einzuleiten, und das in einem Augenblick, wo es offenbar geworden war, daß »die Menschen da drüben« in ehrloser Weise die Schillings um eine wertvolle Erwerbung bestohlen hatten ... »Er ist verrückt!« hatte sie in ihrer gewohnten, stillzornmütigen Art gemurmelt und hastig nach Hut und Handschuhen gegriffen, um hinunter zu gehen und auf Grund ihrer Rechte energisch Einsprache zu erheben; allein die Stiftsdame war ihr zuvorgekommen. Sie hatte sich an die Glastür gestellt und mit unerschütterlicher Ruhe erklärt, sie gebe es nicht zu, daß sich ihre »Schutzbefohlene« einer Beschämung vor der Dienerschaft aussetze; denn daß ihr sofort eine scharfe Zurückweisung da unten entgegengeschleudert werde, lasse sich nach dem neulichen Auftreten und Vorgehen des rücksichtslosen Mannes im Atelier ohne Mühe voraussagen.
So war die Baronin voll kochenden Ärgers geblieben und hatte noch an demselben Abend sehen müssen, wie die Majorin durch die Bresche im Zaun herübergekommen und in das Säulenhaus gegangen war.
Die Versöhnung hatte sich also, wie der Augenschein lehrte, vollzogen; das Ziel war erreicht worden, trotzdem die Frau Baronin sich von jeder Mitwirkung losgesagt und durch ihre Abreise die Durchführung des Planes boshaft zu vereiteln gesucht hatte. Sie war nicht vermißt worden, man hatte ihr nicht ein einziges Mal reuevoll geschrieben, daß sie zurückkehren möge – sie hatte immer noch an starren Trotz geglaubt, nun sah sie, daß man ihrer in Wirklichkeit gar nicht gedacht hatte. Sie hätte weinen mögen vor Groll und Ingrimm! ...
37.
Der Rat Wolfram und sein kleiner Sohn ruhten seit gestern im Erbbegräbnis an der Seite der »armen stillen Frau Rätin«. Die beiden Verstorbenen waren am frühen Morgen in aller Stille beigesetzt worden.
Auf den Höfen des Klostergutes herrschte wieder der Wirtschaftslärm, als sei er nie unterbrochen gewesen. Das große Mauertor stand tagsüber weit offen, die Knechte fuhren unermüdlich aus und ein – denn die Ernte hatte begonnen – und die Mägde hantierten mit arbeiterhitzten Gesichtern in den Ställen und Bodenräumen und am Kochherd, auf dem in mächtigen Kesseln das Essen für die Erntearbeiter bereitet wurde.
Die Majorin überwachte alles, wie sie es seit vielen Jahren getan. Es war unmöglich, eine so große Wirtschaft, die bisher wie ein pünktliches Uhrwerk gegangen war, mit einem Ruck zum Stillstehen zu bringen; da hieß es geduldig den Faden abwickeln, und die aus allen Fugen gerüttelte Frauenseele bedurfte ihrer ganzen Willensstärke, um diese Aufgabe durchzuführen. Nur vom Milchverkauf hatte sie sich freigemacht; das besorgten jetzt die Mägde in der Gesindestube; ebenso hatte sie alles Geschäftliche bezüglich der Hinterlassenschaft des Rates vorläufig in Baron Schillings Hände gelegt, der ihr in diesen Tagen des Schreckens und der namenlosen Bedrängnis wie ein Sohn näher getreten war. Sie hatte auch mit ihm vereinbart, daß der verhängnisvolle Gang vom Schillingshofe aus zugemauert werde; die Amtsstube und das Eßzimmer standen verschlossen – sie mied die zwei Schwellen wie glühendes Eisen. Nun kam Baron Schilling am Tage nach der Beisetzung behufs einer vorläufigen Untersuchung mit zwei Handwerkern, einem Kunsttischler und einem Maurer, in den Holzsalon. Er hatte Donna Mercedes vorher benachrichtigt und fand deshalb den Salon leer, aber die Türen nach Josés ehemaligem Krankenzimmer und der anstoßenden Kinderstube waren nicht fest geschlossen, man hörte das Geplauder der spielenden Kinder herüber.
Der Tischler schlug die Hände zusammen über das zerstörte kostbare Kunstwerk der Holzschnitzerei, und der Maurer untersuchte die dahinterliegende glatte, braune Tür an der Innenseite. Die alten Mönche seien Schlauköpfe gewesen, meinte er und zeigte