Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie MarlittЧитать онлайн книгу.
durchaus nicht befähigt, das Ideal einer schönen weiblichen Seele verwirklichen zu können. Er besaß weder Geist noch Witz. Bei alledem war er maßlos eitel und wollte nicht allein durch seine schöne Gestalt Interesse erwecken; er wußte recht gut, daß die meisten Frauen eher ein häßliches Aeußere, als den Mangel an innerem Fond verzeihen. Es blieb ihm mithin nichts anderes übrig, als jene Verschlossenheit und Schroffheit des Wesens anzunehmen, hinter denen die Welt sehr leicht geneigt ist, durchdringenden Verstand, Originalität und Strenge der Ansichten zu vermuten. Es gab keinen Mann in der Welt, der sich rühmen konnte, auf vertrautem Fuße mit Herrn von Hollfeld zu stehen; er war schlau genug, jeden Einblick in sein Inneres abzuwehren, und vermied streng jedes eingehende Gespräch mit Männern; den Damen genügte jene rauhe Schale vollkommen, um hier das Sprichwort vom »desto süßeren Kern« in Anwendung zu bringen. Herr von Hollfeld verstand zu rechnen. Er wurde der Gegenstand stiller Wünsche und Sehnsucht, wie ja das Eroberungsgelüst in der Schwierigkeit den Sporn findet. Was indes Hollfelds Geiste an Kraft und Feuer gebrach, das wurde vollkommen ausgeglichen im Gebiete der niederen Leidenschaften, unter denen die Habsucht und die sinnliche Liebe die Hauptstimme hatten. Um seine Stellung in der Welt zu einer glänzenden und angenehmen zu machen, scheute er keine Intrige; er hatte den ergiebigsten Boden für dieselbe unter den Füßen, denn er war Kammerjunker am Hofe zu L. Er log und trog und war um so gefährlicher, als hinter seinem geraden, trockenen Wesen niemand, nicht einmal die Männer, einen solchen Feind vermuteten, so wenig, wie die Frauen zugegeben haben würden, daß da, wo ihrer Ueberzeugung nach die köstliche Perle, die Liebe, noch unberührt schlief, eine unreine Flamme verheerend lodere.
Elisabeth war froh, als sie den Onkel um die Ecke biegen und auf das Haus zukommen sah. Tief aufatmend saß sie endlich an seiner Seite im Wagen. Sie hatte den Hut abgenommen und badete die heiße Stirn in einem köstlich frischen Abendlüftchen, das leise vorüberstrich. Aus den schwach zitternden Blättern der Pappeln zu beiden Seiten der Fahrstraße glänzte der letzte Sonnenstrahl; auch über die blühenden Kartoffelfelder flog noch ein goldener Hauch, aber der Wald, der mit seinen Armen Elisabeths trautes Heim umschloß, lag dunkel und düster da drüben, als habe er bereits das sonnige Leben vergessen, das ihm doch heute bis in das innerste Herz geschlüpft war.
Der Oberförster hatte das schweigende junge Mädchen einige Male von der Seite angesehen. Plötzlich nahm er Zügel und Peitsche in eine Hand, faßte mit der anderen Elisabeths Kinn und bog ihr Gesicht zu sich herüber.
»He, laß mal sehen, Else!« sagte er. »Was, zum Henker, hast ja zwei Runzeln auf der Stirn, so tief, wie der Sabine ihre Ackerfurchen! … Hat’s was gegeben da drin? Heraus mit der Sprache – du hast dich geärgert, nicht?«
»Nein, Onkel, Aerger war’s nicht, aber geschmerzt hat es mich, daß du so recht gehabt hast hinsichtlich deiner Ansicht über Fräulein von Walde,« entgegnete Elisabeth, indem ein tiefes Rot der Erregung über ihre Züge flog.
»Geschmerzt, weil ich recht behielt, oder weil Fräulein von Walde unrecht gethan hat?«
»Nun eigentlich, weil es böses war, was du prophezeit hast.« –
»So solltest du mir auch nun von Rechts wegen gram sein, gelt? Dürftest an einem Hofe gelebt haben, wo derjenige der Strafbare ist, der sich unterfängt, über einen nichtsnutzigen Bevorzugten die Wahrheit zu sagen … Na, und welcher Vorfall verschafft denn meiner geschmähten Lebensweisheit den Sieg?«
Sie schilderte ihm Helenes Benehmen und teilte ihm auch die Vermutungen der Damen mit. Der Oberförster lächelte vor sich hin.
»Ja, die Weiber, die Weiber – und die da drinnen vollends!« sagte er. »Die lassen die Leute schon miteinander verheiratet sein, wenn sie zum erstenmal in ihrem Leben guten Tag zu einander sagen … Na, in dem Falle können sie übrigens recht haben, was ich bis jetzt nicht begriffen habe.«
»Um einer solchen Neigung willen, Kind, sind schon ganz andere Dinge geschehen, und wenn ich auch Fräulein von Waldes Schwäche und Nachgiebigkeit durchaus nicht billige, weit entfernt! so beurteile ich sie doch jetzt milder … Das ist die Macht, die uns selbst Vater und Mutter vergessen läßt um eines anderen willen.«
»Ja, das eben kann ich mir ganz und gar nicht vorstellen, Onkel, wie man einen fremden Menschen lieber haben kann als die eigenen Eltern,« entgegnete Elisabeth eifrig.
»Hm,« meinte der Oberförster und ließ die Peitsche leicht auf den Rücken des Braunen fallen, um ihn ein wenig anzutreiben. Diesem »Hm« folgte ein leichtes Räuspern, und dabei ließ er es bewenden; denn er dachte ganz richtig. »Steht es so, dann wird meine Definition der Liebe nicht verstanden, und wenn ich mit Engelszungen spräche« – und er selbst! … Die Zeit lag fern, da er den Namen der Geliebten in die Baumrinde geschnitten, und seine Stimme gezwungen hatte, in zarten Liebesliedern hinzuschmelzen; da er stundenweit gelaufen war, um einen einzigen Blick zu erhaschen, und denjenigen als seinen bittersten Feind gehaßt hatte, der es wagte, die Angebetete beifällig anzusehen. Jetzt blickte er beschaulich zurück und freute sich jener tollen Zeit; sie aber, mit ihrem Wogengebrause aufgeregter Gefühle, mit ihrem Lachen und Weinen, Hoffen und Verzagen zu schildern, das vermochte er nicht mehr.
»Siehst du dort den schwarzen Strich über dem Waldeck?« fragte er dann nach einem längeren Schweigen, indem er mit der Peitsche nach den immer näher rückenden Bergen zeigte.
»Jawohl, das ist die Fahnenstange auf Schloß Gnadeck. Ich habe sie schon vorhin entdeckt und bin in diesem Augenblicke unsäglich froh in dem Gedanken, daß dort ein Stückchen Erde ist, auf welchem wir heimisch sind, eine Stätte, von der niemand in der Welt das Recht hat, uns zu vertreiben. Gott sei Dank, wir haben eine Heimat!«
»Und was für eine!« sagte der Oberförster, während sein leuchtender Blick über die Gegend flog. »Als ich noch ein kleiner Junge war, da lebte schon die Sehnsucht nach den Thüringer Wäldern in mir, und daran war der Großvater schuld mit seinen Erzählungen. Er hatte seine Jugendzeit in Thüringen verlebt und schüttelte Sagen und Märchen seiner Heimat förmlich aus dem Aermel. Nachdem ich denn meine Sache gelernt hatte, wanderte ich hierher. Damals gehörte noch der ganze Forst, den wir hier vor uns sehen, den Gnadewitzen; aber denen mochte ich nicht dienstbar sein, ich kannte diese Menschenkinder genug von meinem Vater her. Ich war der erste Ferber seit undenklichen Zeiten, der darauf verzichtete, in ihren Diensten zu stehen, und ließ mich beim Fürsten von L. anstellen. Der Universalerbe des letzten Gnadewitz hat die großen Waldungen geteilt, weil der Fürst von L. seinen Waldbesitz zu vergrößern wünschte und sich diese Liebhaberei ein tüchtiges Stück Geld kosten ließ. So kam es, daß ein lebhafter Wunsch meiner Jugend erfüllt wurde, denn ich wohne jetzt in dem Hause, das eigentlich die Wiege der Ferber ist. – Du weißt doch, daß wir aus Thüringen stammen?«
»Jawohl, schon seit meiner Kinderzeit.«
»Weißt auch, was es für Bewandtnis mit unserer Herkunft hat?«
»Nein.«
»Nun, es ist freilich schon ein wenig lange her, und ich bin vielleicht noch der einzige, der die Geschichte kennt; aber ganz verlieren soll sie sich doch nicht, das Andenken ist ja der einzige Dank, den wir Nachkommen für eine brave That haben können; drum sollst du die Geschichte jetzt hören, und später einmal erzählst du sie weiter … Vor etwa zweihundert Jahren – du siehst, wir können unsere Stammbaum auch ein gutes Stück zurückleiten, nur schade, daß wir nicht zu sagen wissen, wer unsere Ahnenmutter war; solltest du indes einmal gefragt werden, vielleicht von der Frau Baronin Lessen und dergleichen, so kannst du getrost sagen, daß wir vermuten, es sei – wenn auch nicht gerade die Gustel von Blasewitz, denn die Geschichte spielt im Dreißigjährigen Krieg – so doch eine Marketenderfrau gewesen … Vielleicht war es auch eine rechtschaffene, brave Frau, die bei ihrem Manne in allen Bedrängnissen des Krieges treu ausgehalten hat; aber verzeihen kann ich’s ihr doch nicht, daß sie ihr Kind verlassen konnte … Nun also, vor etwa zweihundert Jahren sieht die Frau des Jägers Ferber, als sie in der Morgenfrühe die Hausthür aufmacht – dieselbe, die jetzt auch mein Hab und Gut verschließt – ein Kindlein auf der Schwelle liegen. Heisa, die hat die Thür wacker zugeschlagen, denn damals hat sich viel Zigeunergesindel in den Wäldern umhergetrieben, und sie hat gemeint, es sei solch ein unreines Wesen. Ihr Mann aber war christlicher, er hat das Kind hereingeholt, es