Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie MarlittЧитать онлайн книгу.
doch bitten, ein klein wenig zu eilen, denn Fräulein Ferber ist zur Stunde gekommen und hat schon ungebührlich lange warten müssen.«
»Nun, dann wollen wir gleich gehen, aber ich mache eine Bedingung, Helene.«
»Und die ist?«
»Daß ich zuhören darf.«
»Nein, nein, das geht wirklich nicht . . : Ich bin noch zu weit zurück, deine Ohren würden die mangelhafte Stümperei nicht ertragen!«
»Armer Emil! … Er ahnet sicher nicht, daß er die Gunst, zuhören zu dürfen, seinen ungebildeten Ohren verdankt!«
Helene wurde dunkelrot. Sie hatte ihrem Bruder bisher nichts von Hollfelds Besuchen gesagt, aus leicht erklärlichen Gründen. Uebrigens war sie auch der Meinung gewesen, daß er darüber gleichgültig denken würde, und nun legte er, wie es schien, Gewicht darauf. Sie kam sich vor, wie eine ertappte Lügnerin, und war im ersten Augenblick sprachlos. Elisabeth ahnte, was in ihr vorging; sie wurde mit ihr verlegen und fühlte, wie ihr plötzlich eine Purpurglut in das Gesicht stieg. In diesem Momente wandte Herr von Walde den Kopf nach ihr; ein forschender, scharfer Blick flog über ihr Gesicht, und zugleich erschien eine finstere Falte zwischen den Augenbrauen.
»Spielt Fräulein Ferber auch ihre Phantasien in diesen sogenannten Uebungsstunden?« fragte er rascher als gewöhnlich seine Schwester.
»O nein,« entgegnen diese, froh, ihre Fassung wiedergewonnen zu haben, »dann würde ich doch wahrhaftig nicht von Stümperei sprechen … Ich habe Emil auch nur den Zutritt gestattet, weil ich denke, man müsse die erwachende Liebe zur Musik pflegen, wo man sie finde.«
Ein leises Lächeln glitt über Herrn von Waldes Gesicht, aber es war nicht jenes Lächeln, das neulich einen so eigentümlichen Reiz für Elisabeth gehabt hatte. Die finstere Falte verschwand nicht, und auch sein Auge hatte etwas Düsteres, als er das junge Mädchen abermals durchdringend ansah.
»Du hast recht, Helene,« sagte er endlich kalt und nicht ohne einen Anflug von Spott. »Aber welcher Magnet muß in diesen musikalischen Uebungen liegen, daß solche Wunder geschehen … Noch vor ganz kurzer Zeit hörte Emil das Gebell seiner Diana lieber, als die Beethovenschen Sonaten.«
Helene schwieg und senkte die Augen.
»Da fällt mir eben die arme Miß Mertens ein,« nahm ihr Bruder plötzlich in gänzlich verändertem Tone wieder das Wort. »Wäre es nicht zweckmäßig, wenn Fräulein Ferber vor allem diese Angelegenheit in Ordnung brächte?«
»Ei freilich,« entgegnete Helene, den Gedanken mit Hast ergreifend, denn er gab ja dem peinlichen Gespräche eine andere Wendung. »Wir wollen lieber die Stunde für heute streichen, damit Sie, liebes Kind,« wendete sie sich an Elisabeth, »die nötigen Schritte thun können … Gehen Sie also jetzt zu Ihren Eltern und bitten Sie auch in meinem Namen um Aufnahme der armen Miß.«
Elisabeth erhob sich. Zu gleicher Zeit stand auch Helene auf. Als ihr Bruder bemerkte, daß sie den Pavillon verlassen wolle, schlang er rasch seine Arme um die kleine Gestalt, hob sie wie eine Feder vom Boden auf und trug sie hinaus auf den Rollstuhl, der vor der Thür stand. Nachdem er die Kissen stützend hinter ihrem Rücken geordnet und ihre kleinen Füße sorgsam mit einem Shawl bedeckt hatte, lüftete er den Hut leicht vor Elisabeth, wobei sie bemerken mußte, daß sich die Wolke zwischen den Brauen noch nicht verzogen hatte, und schob den Rollstuhl auf den nächsten Weg, der nach dem Schlosse führte. –
»Sie muß doch seine ganze Seele ausfüllen,« dachte Elisabeth, als sie den Berg hinaufstieg, »und Miß Mertens irrt sich bedeutend, wenn sie glaubt, er werde ein anderes weibliches Wesen je neben oder wohl gar über seine Schwester stellen … Er ist eifersüchtig auf seinen Vetter, und leider mit vollem Rechte … Wie ist es nur möglich,« hier stand sie still, denn zwei Männer gestalten erhoben sich vor ihrem inneren Auge, »daß ein Mensch wie Hollfeld neben Herrn von Walde Bedeutung gewinnen konnte für Helene?« … Jener, der sich hinter einer bedeutungsvoll scheinenden Schweigsamkeit verschanzt, weil er in der That nichts zu sagen weiß, und dieser, durch dessen edle äußere Ruhe ein Feuergeist blitzt, ein unerschöpflicher Quell von Gedanken, der jedoch gebändigt und geleitet wird durch einen mächtigen Willen … Daher diese maßvolle äußere Haltung, die gewöhnlichen Naturen stets unverständlich bleiben wird.«
Es fiel ihr wieder ein, daß Herr von Walde sie ganz besonders fixiert hatte, als sein Verdacht wach geworden war … Hielt er sie für eine Mitschuldige, für eine Vertraute seiner Schwester? und warf er nun auch seinen Groll auf sie, die doch am lebhaftesten wünschte, Herr von Hollfeld möge seiner plötzlich erwachten Passion für die Musik so schnell wie möglich wieder untreu werden? … Das konnte sie freilich niemand, am allerwenigsten aber Herrn von Walde sagen, und mußte somit schmerzlich büßen für das abscheuliche Erröten, das gerade in einem verhängnisvollen Augenblicke, so ganz zur Unzeit und ohne jeglichen vernünftigen Grund, ihr Gesicht überflammt hatte.
12.
Die Eltern erklärten sich sofort mit Elisabeths Bitte und Vorschlag einverstanden, und diese eilte unverweilt wieder hinunter ins Schloß, Miß Mertens im Namen der Eltern einzuladen. Als sie in das Zimmer der Erzieherin trat, lehnte diese mit gefalteten Händen an der Wand. Zu ihren Füßen stand ein halb gepackter Koffer, Schränke und Kommoden standen offen, und die Stühle lagen voll Bücher, Kleidungsstücke und Wäsche. Das junge Mädchen eilte auf die Gouvernante zu, schloß sie in ihre Arme und hob das von Thränen überströmte Gesicht in die Höhe, aber unter den hellen Tropfen strahlte das Glück.
»Ich bin durch die plötzliche Wendung meines Geschickes so überrascht,« sagte Miß Mertens, nachdem Elisabeth ihren Glückwunsch ausgesprochen hatte, »daß ich für Momente meine Augen schließen muß, um mich zu sammeln … Heute morgen war es dunkel über mir und ich wußte buchstäblich nicht, wohin ich meine Schritte lenken sollte … der Boden schwankte unter meinen Füßen … und nun mitten in dieser Bedrängnis thut sich plötzlich eine Heimat vor mir auf. Ein Herz, das ich hochachte, dessen Neigung für diese arme Gouvernante mir aber bis dahin völlig unbekannt geblieben war, will mir treu zur Seite stehen und der heißeste Wunsch meines Lebens erfüllt sich, denn ich darf nun das gute alte Mütterchen selbst hegen und pflegen … Was wird sie nur sagen, wenn sie die Nachricht erhält, sie, die mit der schmerzlichsten Mutterangst mich draußen wußte in Sturm und Wetter und mich doch nicht zurückrufen durfte an ihr Herz!«
Sie erzählte Elisabeth, daß Reinhard in einigen Wochen selbst nach England gehen und die Mutter holen werde. Sein Gebieter habe es also bestimmt und trage die Reisekosten. So oft Miß Mertens Herrn von Walde erwähnte, flossen ihre Augen über, und sie versicherte wiederholt, alles, was die Baronin an ihr verschuldet, sei tausendfach ausgeglichen durch ihn, der es nicht ertragen könne, daß in seinem Hause irgend eine Ungerechtigkeit ungesühnt bleibe. Mit ihrer Einladung machte Elisabeth das Maß der Freude voll. Miß Mertens hatte für den ersten Augenblick in das kleine Lindhofer Gasthaus gehen wollen, bis sich ein Unterkommen im Dorfe selbst für sie finden würde.
»Nun wollen wir aber auch so bald wie möglich auf den Berg,« rief sie freudestrahlend. »Die Baronin hat mir vorhin meinen Gehalt herübergeschickt und sich jegliche Annäherung meinerseits verbitten lassen … Bella ist durch mein Zimmer gegangen, ohne mich eines Blickes zu würdigen; das thut wehe, schmerzlich wehe, denn ich habe sie gepflegt und behütet, wie meinen Augapfel. Sie war früher sehr kränklich, und während die Mutter die Hoffeste besuchte, saß ich daheim viele Nächte hindurch und bewachte die Fieberträume des Kindes … Nun, das soll alles vergessen sein … Ich wollte eigentlich auch nur sagen, daß ich des Abschiedes von beiden überhoben bin.«
Während Miß Mertens, um sich zu verabschieden, zu Fräulein von Walde und einigen Leuten im Hause ging, die sie liebgewonnen hatte, packte Elisabeth ein. Die neue Bewohnerin von Gnadeck nahm nur das Nötigste mit, alles übrige wurde hinab in die Wohnung des zukünftigen Ehepaares geschafft.
Es amüsierte Elisabeth, unten in einem Glasschranke – denn Herr