Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie MarlittЧитать онлайн книгу.
schätzt ihn hoch als einen durchaus rechtlichen Mann mit bedeutendem Wissen,« erwiderte Helene.
»Das ist alles recht schön und gut, aber er weiß sicher nicht, daß dieser Mensch gegenwärtig sehr übel angeschrieben ist an unserem Hofe. Denken Sie sich, er hat die unbegreifliche Kühnheit gehabt, unserer allgeliebten Prinzessin Katharina –«
»Ja, ich kenne diese Geschichte,« unterbrach Fräulein von Walde die Entrüstete, »mein Bruder hat sie mir vor einigen Tagen selbst mitgeteilt.«
»Wie, er weiß das und berücksichtigt so wenig die Stimmung des Hofes, der ihn stets ausgezeichnet hat? … Unglaublich! … Ich versichere Ihnen, liebes Kind, mir schlägt schon jetzt das Gewissen, und ich werde bei Ankunft unserer Herrschaften sicher die Augen nicht aufschlagen können, in dem schuldigen Bewußtsein, daß ich mit diesem unmanierlichen Menschen hier zusammengekommen bin.«
Helene zuckte mit den Achseln und überließ die Oberhofmeisterin ihren Gewissensbissen und einem frisch gefüllten Glase Champagner, mit welchem sie sich ohne Zweifel jetzt schon für jenen großen, gefürchteten Auskunftsmoment Mut und Fassung einzuflößen suchte.
Fräulein von Walde litt neben der Dame alle jene Qualen, die uns so manchmal die Konvenienz auferlegt; sie mußte mit zuvorkommender Aufmerksamkeit auf tausend Nichtigkeiten hören und antworten, während ein heißer Schmerz ihr Inneres zerriß. Aber auch nur eine Frau, wie die Oberhofmeisterin, die das höchste Erdenglück in einem Gnadenblicke aus fürstlichen Augen suchte und fand, eine Person, deren ganze Seelenthätigkeit sich darauf beschränkte, Schildwache vor dem Reiche der Etikette zu stehen und den Nimbus ihrer sauer genug errungenen Exzellenz ängstlich zu behüten, nur sie konnte wiederholt in das Gesicht der jungen Dame sehen, ohne die tiefe innere Erregung in den Zügen zu bemerken.
Hollfeld war nicht allein so unaufmerksam gewesen, Helene bei ihrer Ankunft auf dem Festplatze der Fürsorge des Grafen Wildenau zu überlassen, er hatte auch, als er endlich erschienen war, kein Wort der Entschuldigung für seine Säumnis gehabt, und mürrisch und zerstreut hatte er sich endlich an ihre Seite gesetzt. Sie fand ihn seltsam verändert, und ihr unruhiges Herz, ihr Kopf zermarterten sich in Vermutungen. Zuerst folgte ihr argwöhnisches Auge Cornelie, die ihrer Quecksilbernatur gemäß wie ein Irrwisch von Gruppe zu Gruppe flatterte und unaufhörlich plauderte und lachte. Ueber diesen Punkt war sie jedoch bald beruhigt; denn es gelang ihr nicht ein einziges Mal, einen Blick Hollfelds auf dem Wege nach der koketten, aber anmutigen Hofdame aufzufangen. Ihre besorgten Fragen wurden einsilbig beantwortet. Sie ließ durch einen Diener Speisen herbeitragen und legte Hollfeld selbst vor, aber er rührte keinen Bissen an und trank nur rasch hintereinander einige Gläser starken Weines, den er sich am Marketenderzelte einschenken ließ. Dies nachlässige Benehmen, das sie zum erstenmal an ihm bemerkte, that ihr unbeschreiblich wehe. Sie schwieg endlich und ließ ermüdet die Lider über die Augen sinken – niemand bemerkte die zwei hellen Tropfen, die an ihren Wimpern hingen.
Mitten in den Toastjubel hinein, der augenscheinlich bedeutend erhöht wurde dadurch, daß der sonst so ernste, schweigsame Schloßherr ihn veranlaßt hatte, fiel plötzlich ein Schatten; wenigstens schien es Elisabeth, als verkünde das Gesicht des Hausverwalters Lorenz, das auf einmal zwischen den Baumstämmen in der Nähe auftauchte, nichts Gutes. Der alte Mann gab sich die größtmöglichste Mühe, um die Aufmerksamkeit seines Herrn auf sich zu lenken, ohne daß es die anderen bemerken sollten. Endlich gelang es ihm. Herr von Walde warf einen raschen Blick hinüber, stand auf und ging mit dem alten Dienen tiefer in das Gestrüpp, während die anderen Herren ihre früheren Plätze wieder aufsuchten. Er kehrte sehr bald mit bleichem Gesichte zurück.
»Ich habe eine erschütternde Nachricht erhalten, infolge deren ich sofort abreisen muß,« sagte er mit gedämpfter Stimme zu dem Doktor »Herr von Hartwig in Thalleben, ein alter Freund von mir, ist auf einer Spazierfahrt verunglückt, die Verletzung ist tödlich; wie man mir schreibt, kann er höchstens noch einen Tag leben … er beruft mich zu sich, um die Sorge für seine unmündigen Kinder in meine Hände zu legen … Teilen Sie der Baronin Lessen meine Abreise und deren Veranlassung mit; sie soll dafür Sorge tragen, daß das Fest nicht gestört werde. Meine Schwester und die Gesellschaft sollen in dem Wahne bleiben, daß ich in einer Geschäftsangelegenheit abberufen worden bin und möglicherweise bald wieder nach dem Festplatze zurückkehre. Man wird mich nicht mehr vermissen, sobald der Tanz begonnen hat.«
Der Doktor entfernte sich sogleich, um die Baronin aufzusuchen. Seine Frau war schon vor einer Weile nach dem Büffett gegangen, und so stand Elisabeth in diesem Augenblicke Herrn von Walde allein gegenüber. Er näherte sich ihr rasch.
»Ich hatte geglaubt, wir würden heute nicht auseinandergehen, ohne daß der Schluß des Glückwunsches ausgesprochen worden wäre,« sagte er, während sein Auge ihren ausweichenden Blick aufzufangen suchte. »Ich gehöre nun schon einmal zu jenen Glückspilzen, denen noch in der letzten Stunde ein Unstern das gelobte Land verschließt.« Er bemühte sich, diesen Worten einen humoristischen Anstrich zu geben, aber sie klangen deshalb nur um so bitterer. »Diesmal soll er mich jedoch zähe finden,« sprach er in entschlossenem Tone weiter, »fort muß ich, das läßt sich nicht ändern, aber die Erfüllung dieser schweren Pflicht kann nur sehr erleichtert und versüßt werden durch ein Versprechen Ihrerseits … Wissen Sie noch die Worte, die Sie mir vorhin nachgesprochen haben?«
»Ich vergesse nicht so schnell.«
»Ah, das klingt schon bedeutend ermutigend für mich! … Es existiert ein Märchen, in welchem ein einziges Wort ein Reich voll unermeßlicher Schätze und lieblicher Wunder erschließt; der Schluß jenes Glückwunsches ist auch ein solches Wort … Wollen Sie mir behilflich sein, daß es ausgesprochen werde?«
»Wie könnte ich Ihnen zu Schätzen und Reichtümern verhelfen?«
»Das ist meine Sache … Ich bitte Sie ernstlich, in diesem Augenblicke keinen weiteren Ausweichungsversuch zu machen; denn die Zeit drängt … Ich frage Sie also, wollen Sie in den Tagen, die ich ausbleiben werde, sich bestreben, den Anfang des Glückwunsches in Erinnerung zu behalten?«
»Ja.«
»Und Sie werden bereit sein, wenn ich zurückkehre, das Ende zu hören?«
»Ja.«
»Gut, ich werde mitten in Trübsal und Leiden ein Stück blauen Himmels über mir behalten, und Ihnen – möge unterdes mein guter Engel den Namen jenes Wunderreiches zuflüstern … Leben Sie wohl!«
Er reichte ihr die Hand und schritt hinter dem Turme weg auf den nächsten Weg, der nach dem Schlosse führte.
Elisabeth blieb eine Weile in einer Art süßer Betäubung stehen, aus welcher sie erst durch die Doktorin geweckt wurde, die mit Tellern und Schüsseln beladen zurückkehrte und nun sehr erstaunt war, keinen der Herren vorzufinden. Das junge Mädchen teilte ihr das Geschehene mit. Bald darauf kam auch der Doktor und erzählte, die Frau Baronin sei sehr pikiert gewesen, daß ihr Kousin es nicht der Mühe wert gehalten habe, sie persönlich von dem Vorfalle in Kenntnis zu setzen. Der unglückliche Doktor hatte einige Bitterkeiten der gereizten Dame in den Kauf nehmen müssen, aber er war so unhöflich, sich dadurch ganz und gar nicht in seiner Gemütsruhe stören zu lassen. Er setzte sich behaglich hinter die vollen Schüsseln und aß mit vortrefflichem Appetit.
Währenddem ging Elisabeth hinüber zu Fräulein von Walde, um sich zu beurlauben. Es hielt sie ja hier nichts mehr zurück. Sie hatte das lebhafte Verlangen, mit ihren Gedanken allein zu sein, jedes Wort, das er zu ihr gesprochen, sich noch einmal ungestört zurückrufen und über den Sinn desselben nachdenken zu können.
»Sie wollen gehen?« fragte Helene, als das junge Mädchen hinter ihren Stuhl trat und sich empfahl. »Was meint mein Bruder dazu?«
»Rudolf ist in einer dringenden Geschäftssache nach dem Schlosse gerufen worden,« antwortete die Baronin, die eben erschien, schnell an Elisabeths Stelle, »Fräulein Ferber ist mithin der Verpflichtung des Hierbleibens enthoben.«
Helene warf der Sprecherin einen mißbilligenden Blick zu. »Das sehe ich doch nicht ein,« sagte sie, »die Geschäfte werden doch wahrhaftig nicht derart sein, daß er gar nicht wieder hierher zurückkehrt.«