Dr. Norden (ab 600) Staffel 1 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
sie dann auch wieder zu Hause waren, würden sie sie dann abholen und auch zur Baronin bringen.
»Aber jetzt werden wir ihr mitteilen, daß Sie gefunden sind und bald bei ihr sein werden. Setzen wir uns ins Auto, wenn wir Glück haben, kommt über das Autotelefon eine Verbindung zustande.«
Sie hatten Glück, so schnell meldete sich die Baronin, daß man vermuten konnte, sie hätte das Telefon ganz nahe bei sich und auf den Anruf gewartet.
Ihre Stimme zitterte, als sie fragte: »Ist das wirklich wahr, was Sie eben gesagt haben?«
»Es ist wahr, Michelle sitzt neben mir und ist sehr glücklich, eine Großmama zu haben.«
»Ich möchte so gern ihre Stimme hören.«
»Dann gebe ich das Telefon gleich weiter.«
Michelle war blaß und aufgeregt, aber auch die Baronin war ihrer Stimme kaum noch mächtig.
»Darf ich gleich Großmama sagen? Es ist ein so wundervolles Gefühl, daß ich dich kennenlernen darf.«
»Kannst du sofort kommen?«
»Leider erst in zwei Wochen, wenn Ersatz für mich gefunden ist.«
»Wenn es um Geld geht, ich zahle jeden Preis, wenn du früher freikommen kannst. Dr. Norden kann über ausreichende Mittel verfügen. Ich sehne die Stunde herbei, dich endlich bei mir zu haben und in die Arme schließen zu können.«
»Ich komme, sobald ich kann, Großmama«, sagte Michelle unter Tränen, dann umarmte sie Fee, weil sie einfach jemand umarmen mußte.
*
Wie es im Leben so war, daß ein Ereignis andere nach sich zog, so war es auch bei Michelle.
Am nächsten Tag machte sie ihre Arbeit wie immer, bemühte sich sogar besonders freundlich zu den Gästen zu sein, wenn auch ein paar aufdringliche Männer mit vernichtenden Blicken bedacht wurden. Dann stand plötzlich einer vor ihr, den sie jetzt schon gar nicht sehen wollte, so umwerfend er auch lächelte.
»Michelle«, sagte er, »endlich habe ich dich gefunden.«
»Dazu hast du zwei Jahre gebraucht?« fragte sie schnippisch.
»Ich werde es dir erklären, wann hast du Zeit? Ich kann das nicht zwischen Tür und Angel tun.«
»Ich habe überhaupt keine Zeit, und ich möchte nicht von der Arbeit abgehalten werden.«
Mit einer solchen Abfuhr hatte Denis Lebrun nicht gerechnet. Er war momentan tatsächlich sprachlos.
Er konnte sich beherrschen, aber so wollte er sich nicht abfertigen lassen.
»Wir müssen miteinander reden, unsere gemeinsame Zeit ist doch nicht so einfach wegzuwischen «, sagte er eindringlich.
»Was war denn an unserer gemeinsamen Zeit? Ich war naiv und habe dich angehimmelt, und das mag dir gefallen haben, aber sonst hast du doch weiterhin so gelebt, wie du es gewohnt warst. Als du dann eine gefunden hattest, die in jeder Beziehung mehr zu bieten hatte, warst du verschwunden.«
»So war es nicht. Ich werde es dir genau erklären.«
»Mademoiselle, kümmern Sie sich um die Gäste«, rief ihr Chef.
»Sofort. Der Herr wollte nur eine Auskunft. – Verschwinde!« zischte sie.
Ihm blieb nichts weiter übrig. Nun aber wurde Michelle von Conchita abgefangen.
»Wer ist denn dieser gutaussehende Mann?« fragte sie.
»Ein Schleimer«, erwiderte Michelle so unwillig, daß Conchita erschrocken war.
»Entschuldige«, stotterte Conchita.
»Tut mir leid, Conchita, aber denk ja nicht, ich habe was mit ihm.«
Michelle hatte Temperament, wenn sie es auch meistens beherrschen konnte. Jetzt aber mußte sie sich abreagieren, und das bekamen ein paar recht hochnäsige Gäste zu spüren. Ihrem Chef entging es nicht.
»Wenn Sie es auf diese Weise anlegen, vorzeitig entlassen zu werden, haben Sie Glück. Am Montag können Sie gehen. Ich habe bereits Ersatz für Sie gefunden.«
»Vielen Dank, das ist eine gute Nachricht«, sagte sie.
»Sie brauchen aber nicht zu denken, daß Sie das volle Gehalt bekommen.«
»Darauf lege ich auch gar keinen Wert.«
Nun war er sprachlos.
Michelle bemühte sich, wieder verbindlich zu sein.
Conchita traf sich am Strand mit den Nordens, während Constantin wieder vor seiner Staffelei saß.
»Ich glaube, Michelle hat für Männer gar nichts übrig«, bemerkte sie beiläufig.
»Wie kommst du denn plötzlich darauf?« fragte Fee. Es hatte sich so ergeben, daß sie sich duzten. Man mochte sich ja.
»Da war ein attraktiver Mann ins Hotel gekommen und hat so auf Michelle eingeredet, daß anzunehmen ist, daß sie sich kennen. Sie hat ihn kalt abblitzen lassen.«
»Dann wird er es verdienen. Michelle ist konsequent. Von Äußerlichkeiten läßt sie sich nicht beeindrucken, dazu besitzt sie jetzt schon zuviel Menschenkenntnis.«
Und im Kombinieren war Michelle auch sehr gut. In einer Pause rief sie ihre Mutter an.
»Sag mal, Maman, hast du Denis getroffen?« fragte sie unverblümt.
»Ja, tatsächlich. Hast du den sechsten Sinn?«
»Du hast ihm natürlich erzählt, wo ich bin.«
»Sollte ich das nicht?« fragte sie erstaunt. »Ich dachte, du würdest dich freuen. Er macht hier gute Geschäfte.«
»Mit dem Mund konnte er das früher auch. Aber sicher hast du auch freudig bemerkt, daß ich zu meiner Großmama nach München gehen werde und daß sie eine Baronin ist.«
»Warum redest du so mit mir, als wärest du verärgert? Stimmt es etwa nicht?«
»Doch es stimmt, ich habe schon mit Großmama gesprochen und werde bald bei ihr sein, aber auf Denis lege ich keinen Wert. Er kann zum Teufel gehen.«
»Warum hast du nie gesagt, daß du nichts mehr von ihm wissen willst?«
»Weil es mir nicht wichtig erschien. Du warst jung verheiratet und hattest andere Interessen. Also, merk es dir bitte, es geht niemanden etwas an, daß ich künftig in München leben werde.«
»Es tut mir leid, wenn ich einen Fehler gemacht habe, aber du warst doch so in ihn verliebt.«
»Solche Gefühle können sehr schnell erkalten, und ich habe ihn zwei Jahre nicht gesehen. Er wird inzwischen ein Dutzend Frauen vernascht haben.«
»Michelle, du kommst jetzt in adlige Kreise, so redet man da nicht.«
»Großmama macht auf mich einen sehr normalen Eindruck. Sie freut sich auf mich.«
»Dann werde ich dich wohl ganz verlieren.«
»Wir werden uns schon hin und wieder sehen. Sicher wird Großmama dich auch kennenlernen wollen. Gib bitte ihr nicht die Schuld, wenn es damals nicht geschehen ist.«
»Es ist ja in Ordnung, echauffier dich nicht.« Und dann war das Gespräch beendet, weil Madeleine Besuch bekam.
Michelle schloß die Augen. Es war eigenartig, wie sich das Verhältnis zu ihrer Mutter verändert hatte, seit sie mit Claude d’Aubert verheiratet war. Michelle konnte sich sehr gut erinnern, wie Madeleine früher jeden jungen Mann, der sich Michelle zu nähern wagte, kritisch betrachtete. Auch vor Denis hatte sie noch gewarnt. Aber plötzlich sah sie alles anders. Michelle überlegte auch, wie sie wohl denken würde über die Großmama, wenn sie nicht verheiratet wäre. Käme da nicht wieder die Eifersucht durch, ihr Kind teilen zu müssen? Michelle wußte jetzt, daß dies der Grund gewesen war, warum sie keine Verbindung zur Baronin aufnehmen