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Das große Jagen. Ludwig GanghoferЧитать онлайн книгу.

Das große Jagen - Ludwig  Ganghofer


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der Meister das Spiel zu stellen begann, warf er lauschend einen Blick zur Tür und fragte flüsternd: »Hast du Botschaft aus Salzburg?«

      Der Pfarrer nickte. »Seit das große Jagen begonnen hat, sind's nach der letzten Zählung dreißig Tausend und sieben Hundert, die man aus dem Land getrieben.«

      »Ist das nit Irrsinn?« stammelte Niklaus.

      »Nein, Bruder!« Die große Warze kam in Bewegung. »Wie mehr man die Zahl der Fresser mindert in einem Land, um so fetter werden die Erben. Das ist die fromme Rechnung unserer Zeit. Wie länger ich das mit anseh, um so lustiger macht es mich.«

      »Mensch! Wie kann man das heiter nehmen?«

      »Anders tät man den üblen Brocken nit schlucken. Die Zeit ist so schaudervoll, daß man sie nur als eine Narretei des Lebens beschauen kann. Wollt einer sie ernst nehmen, so müßt er an der Menschheit verzweifeln. Wie mehr man lacht über ein böses Ding, um so ungefährlicher wird es.«

      »Still!« mahnte Lewitter. »Das liebe Mädel kommt.« In seiner Art, zu sprechen, war kein jüdischer Klang. Er sprach, wie Herren reden, die unter Bauern wohnen. Hastig trat er auf den Tisch zu, stellte die letzten Schachfiguren und sagte: »Heut seid ihr beide am Spiel. Da hab ich für euch einen Anfang ausgesonnen –«

      Luisa trat in die Stube. Auf einer Zinnplatte brachte sie drei Becher, in denen der Würzwein dampfte.

      »So! Und so!« sagte Lewitter. Er machte von jeder Seite des Spiels fünf Züge. »Wie gefällt euch das?«

      Meister Niklaus, seine Erregung verbergend, nickte: »Das ist neu.«

      »Aber schön!« Der Pfarrer ließ sich lachend auf den Sessel nieder. »Was man nit allweil behaupten kann von Dingen, die neu sind.«

      Luisa hatte die Becher ausgeteilt. »Gott soll's den Herren gesegnen.«

      Lewitter antwortete: »Gott soll dir's danken, lieb Kind.« Und der Pfarrer redete fröhlich weiter: »Wie fein das duftet! Hast du das im Kloster gelernt?«

      Ein Zornblick. »Die frommen Schwestern haben Wasser getrunken.«

      »Wenn du dabeigewesen bist. Was haben sie geschluckt, wenn du's nit gesehen hast?«

      Niklaus, der ein strenges Wort seiner Tochter zu befürchten schien, sagte rasch: »Ich dank dir, Kind! Weiter brauchen wir nichts. Tu dich schlafen legen!«

      »Ich muß noch schaffen.« Sie maß den Vater mit einem Sorgenblick. »Auch beten muß ich. Heut mehr als sonst.« Ihre Augen glitten über die beiden anderen hin. Dann ging sie.

      Lewitter flüsterte: »Sie hat Mißtrauen gegen uns.«

      »So? Meinst du?« Der Pfarrer schmunzelte. »Dann hat sie ein Näsl, das so fein ist wie nett.«

      Ein bißchen unwillig sagte der Meister: »Warum tust du sie auch allweil reizen?«

      »Weil's hilfreich ist. Wie soll ein stilles Wässerlein sich bewegen, wenn man keinen Stein hineinwirft? Aber komm, da steht ein schöner Gedanke auf dem Schachbrett. Wir wollen uns freuen dran! Was Leben und Welt heißt, soll uns weit sein bis um Mitternacht.« Der Pfarrer faßte den Becher. »Her da! Wärmet den Herzfleck! Laßt uns anstoßen als treue Bundesbrüder des duldsamen Glaubens! Auf alles Gesunde in den Menschen! Aller dürstenden Hoffnung zum Trost! Auf den Glauben an die gute Zeit! Auf das totgeschlagene und noch allweil nit wiedergeborene Deutschland! Auf das kommende Reich, das neu und schön sein wird!«

      Die drei Becher klirrten über den Schachfiguren gegen einander und Niklaus sagte: »Wann wird das kommen, daß unser Volk und Reich den ersten Schrei seines neuen Lebens tut?«

      Simeon verlor das steinerne Lächeln. »Am Erlösungsmorgen nach einer harten, tiefen und gewaltigen Not.«

      Der Meister nickte. »Dann haben wir Hoffnung, daß wir es noch erleben. Härter und tiefer ist nie eine Not gewesen als die von heut!«

      »Hart und tief!« Die Warze im Gesicht des Pfarrers bewegte sich munter. »Bloß das Gewaltige fehlt. Wohin man schaut, alles läppisch und erbärmlich. Das neue Reich erleben wir nimmer. Komm, laß uns Freud haben am schönen Spiel der Stunde! Du, Nicki, mit den Weißen hast den ersten Zug!«

      Niklaus rückte eine Figur. »So, mein' ich, wär's am besten.«

      Die beiden vertieften sich in das Bild des Schachbrettes. Und Simeon verfolgte aufmerksam die Züge. Als Pfarrer Ludwig eine Wendung fand, die den Sieg zu seinen Gunsten vorbereitete, nickte Simeon und erhob sich. Beim Geschirrkasten füllte er zwei langstielige Tonpfeifen mit Tabak, brannte sie an einer Kerze an und brachte sie den beiden Spielern. Er selber rauchte nicht. Um außerhalb des Qualmes zu bleiben, den die beiden Spieler hinbliesen über die Schachfiguren, rückte er ein Stück vom Tische weg. Und als das Spiel dem Ende zuging, streifte er einen Schuh herunter und zog unter der eingelegten Filzsohle ein dünnes, eng beschriebenes Blatt hervor.

      »Was Gutes?« fragte der Pfarrer.

      »Seit langem hab ich Tieferes nit gelesen. Ich hab mir auch schon überlegt, wie ich's für euch übersetzen muß.«

      »Hebräisch? Aus deinem Talmud?«

      »Was Besseres.«

      »Wenn du das sagst, so muß es eine neue Offenbarung sein.« Pfarrer Ludwig schob das Schachbrett beiseite.

      »Neu? Was in dem Brief da steht, ist bald an die hundert Jahr alt. Mir ist's neu gewesen. Das Gute in der Welt hat einen langsamen Weg.«

      »Wer hat's geschrieben?«

      »Erst mußt du es hören. Man soll nit den Namen vor das Werk setzen, sondern das Werk vor den Namen.« Lewitter begann mit leiser Stimme zu lesen, während auch Meister Niklaus etwas Heimliches aus dem Unterfutter seines Kittels herausholte. Nach einer Weile schlug die alte Kastenuhr die zehnte Stunde. Sie hatte einen tiefen, dröhnenden Ton. Dabei überhörten die drei, daß an der Haustür jemand pochte, nicht laut, doch ungeduldig.

      Luisa und die Magd, beim Spinnen in der Küche drunten, vernahmen das Pochen.

      Die Magd erschrak. Es war ein dreißigjähriges, weißblondes Mädel, das einen wohlgeformten Körper und träumende Augen hatte, doch kein frohes Gesicht. Mit dreizehn Jahren, bei Luisas Geburt, war die Sus als Kindsmädel in des Meisters Haus gekommen. Nach dem Tode seiner Frau, als ihm die Tochter um des reinen Glaubens willen genommen wurde, hatte die Sus getreu bei dem Einsamen ausgehalten und hatte um seinetwillen ihre Jugend versäumt, sich zerschlagen mit Eltern und Geschwistern, die es ihr nie verziehen, daß sie atmete unter dem Dach eines Verdächtigen.

      Beim Hall der pochenden Schläge war sie bleich geworden und hatte vor Schreck das Spinnrädl umgeworfen.

      »Bleib, Sus! Ich geh schon!« sagte Luisa. »In dir ist Angst, in mir ist Gott. Drum hab ich nit Ursach, mich zu fürchten.«

      Der da draußen mußte die Stimme des Mädchens vernommen haben. Das ungeduldige Pochen wurde still.

      »Jesus!« stammelte Sus. »Ob's nit die Schergen sind?«

      »Die kommen zu schlechten Menschen, nit zu uns.« Luisa entzündete die Blendlaterne. »Mag sein, man holt den Lewitter zum gnädigsten Herrn. Dem ist zuweilen in der Nacht nit gut. Die ihn verleumden, sagen: vom vielen Wein. Ich sag: von seiner schlaflosen Sorg um den reinen Glauben.« Sie ging zur Haustür und schob den Riegel zurück.

      Der da draußen wollte hastig eintreten. Weil die Tür noch an einer Kette hing, öffnete sie sich nur um einen schmalen Spalt. Während die Schneeflocken hereinwehten, flüsterte in der Nacht eine erregte Jünglingsstimme: »Lieb Mädel! So tu doch auf!«

      Obwohl sie die Stimme gleich erkannte, fragte sie: »Wer pocht so spät in der Nacht an meines Vaters Haus?« Es klang wie Zorn aus ihren leisen Worten.

      »Einer, der es gut mit deinem Vater meint.«

      »Mein Vater kann bauen auf Gottes Hilf. Menschenhilf braucht er nit.«

      Der


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