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Parerga und Paralipomena. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.

Parerga und Paralipomena - Arthur  Schopenhauer


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Bd. 2, Kap. 39) dargelegt habe, als eine Auslegung der Pythagorischen Zahlenphilosophie angesehn werden kann, habe ich schon dort kurz angedeutet und will es hier noch etwas näher erläutern; wobei ich nun aber die eben angeführten Stellen als dem Leser gegenwärtig voraussetze. – Demzufolge also drückt die Melodie alle Bewegungen des Willens, wie er sich im menschlichen Selbstbewußtseyn kund giebt, d. h. alle Affekte, Gefühle u. s. w. aus; die Harmonie hingegen bezeichnet die Stufenleiter der Objektivation des Willens in der übrigen Natur. Die Musik ist, in diesem Sinn, eine zweite Wirklichkeit, welche der ersten völlig parallel geht, übrigens aber ganz anderer Art und Beschaffenheit ist; also vollkommene Analogie, jedoch gar keine Aehnlichkeit mit ihr hat. Nun aber ist die Musik, als solche, nur in unserm Gehörnerven und Gehirn vorhanden: außerhalb oder an sich (im Lockischen Sinne verstanden), besteht sie aus lauter Zahlenverhältnissen: nämlich zunächst, ihrer Quanität nach, hinsichtlich des Takts; und dann, ihrer Qualität nach, hinsichtlich der Stufen der Tonleiter, als welche auf den arithmetischen Verhältnissen der Vibrationen beruhen; oder, mit anderen Worten, wie in ihrem rhythmischen, so auch in ihrem harmonischen Element. Hienach also ist das ganze Wesen der Welt, sowohl als Mikrokosmos, wie als Makrokosmos, allerdings durch bloße Zahlenverhältnisse auszudrücken, mithin gewissermaaßen auf sie zurückzuführen: in diesem Sinne hätte dann Pythagoras Recht, das eigentliche Wesen der Dinge in die Zahlen zu setzen. – Was sind nun aber Zahlen? – Successionsverhältnisse, deren Möglichkeit auf der Zeit beruht.

      Wenn man liest was über die Zahlenphilosophie der Pythagoreer in den Scholien zum Aristoteles (p. 829 ed. Berol.) gesagt wird; so kann man auf die Vermuthung gerathen, daß der so seltsame und geheimnißvolle, an das Absurde streifende Gebrauch des Wortes λογος im Eingang des dem Johannes zugeschriebenen Evangeliums, wie auch die früheren Analoga desselben beim Philo, von der Pythagorischen Zahlenphilosophie abstammen, nämlich von der Bedeutung des Wortes λογος im arithmetischen Sinn, als Zahlenverhältniß ratio numerica; da ein solches Verhältniß, nach den Pythagoreern, die innerste und unzerstörbare Essenz jedes Wesens ausmacht, also dessen erstes und ursprüngliches Principium, αρχη, ist; wonach denn von jedem Dinge gälte εν αρχη ην ό λογος. Man berücksichtige dabei, daß Aristoteles (de anima I, l) sagt: τα παθη λογοι ενυλοι ειοι, et mox: ό μεν γαρ λογος ειδος του πραγματος. Auch wird man dadurch an den λογος σπερματικος der Stoiker erinnert, auf welchen ich bald zurückkommen werde.

      Nach der Biographie des Pythagoras von Jamblichos hat derselbe seine Bildung hauptsächlich in Aegypten, wo er von seinem 22. bis zum 56. Jahre geweilt, und zwar von den Priestern daselbst, erhalten. Im 56. Jahre zurückgekehrt, hatte er wohl eigentlich die Absicht, eine Art Priesterstaat, eine Nachahmung der Aegyptischen Tempelhierarchien, wiewohl unter den bei Griechen nothwendigen Modifikationen, zu gründen: dies gelang ihm nicht im Vaterlande Samos, doch gewissermaaßen in Kroton. Da nun Aegyptische Kultur und Religion ohne Zweifel aus Indien stammte, wie dies die Heiligkeit der Kuh, nebst hundert anderen Dingen, beweiset (Herod. II, 41); so erklärt sich hieraus des Pythagoras Vorschrift der Enthaltung von thierischer Nahrung namentlich das Verbot Rinder zu schlachten (Jambl. vit. Pyth. c. 28, §. 150), wie auch die anbefohlene Schonung aller Thiere, desgleichen seine Lehre von der Metempsychose, seine weißen Gewänder, seine ewige Geheimnißkrämerei, welche die symbolischen Sprüche veranlaßte und sich sogar auf mathematische Theoreme erstreckte, ferner die Gründung einer Art Priesterkaste, mit strenger Disciplin und vielem Ceremoniell, das Anbeten der Sonne (c. 35, §. 256) und viel Anderes. Auch seine wichtigeren astronomischen Grund-Begriffe hatte er von den Aegyptern. Daher wurde die Priorität der Lehre von der Schiefe der Ekliptik ihm streitig gemacht von Oenopides, der mit ihm in Aegypten gewesen war. (Man sehe darüber den Schluß des 24. Kap. des ersten Buches der Eklogen des Stobäos mit Heerens Note aus dem Diodorus.) Ueberhaupt aber, wenn man die von Stobäos (besonders Lib. I, c. 25 fg.) zusammengestellten astronomischen Elementarbegriffe sämmtlicher Griechischer Philosophen durchmustert, so findet man, daß sie durchgängig Absurditäten zu Markte gebracht haben, mit alleiniger Ausnahme der Pythagoreer, welche in der Regel das ganz Richtige haben. Daß dieses nicht aus eigenen Mitteln, sondern aus Aegypten sei, ist nicht zu bezweifeln. Des Pythagoras bekanntes Verbot der Bohnen ist rein Aegyptischen Ursprungs und bloß ein von dort herüber genommener Aberglaube, da Herodot (II, 37) berichtet, daß in Aegypten die Bohne als unrein betrachtet und verabscheuet werde, so daß die Priester nicht einmal ihren Anblick ertrügen. Daß übrigens des Pythagoras Lehre entschiedener Pantheismus war, bezeugt so bündig wie kurz, eine von Clemens Alexandrinus, in der Cohortatio ad gentes, uns aufbehaltene Sentenz der Pythagoreer, deren Dorischer Dialekt auf Aechtheit deutet; sie lautet: Ούκ άποκρυπτεον ούδε τους άμφι τον Πυθαγοραν, οί φασιν΄ Ό μεν θεος είς΄ χ΄ ούτος δε ούχ, ώς τινες ύπονοουσιν, έκτος τας διακοσμησιος, άλλ΄ έν αύτα, όλος έν όλω τω κυκλω, έπισκοπος πασας γενεσιος, κρασις των όλων΄ άει ών, και έργατας των αύτου δυναμιων και έργων άπαντων έν ούρανω φωστηρ, και παντων πατηερ, νους και φυχωσις τω όλω κυκλω, παντων κινασις. (S. Clem. Alex. Opera Tom. I, p. 118 in Sanctorum Patrum oper. polem. Vol. IV., Wirceburgi 1778.) Es ist nämlich gut sich bei jeder Gelegenheit zu überzeugen, daß eigentlicher Theismus und Judenthum Wechselbegriffe sind. Nach dem Apulejus wäre Pythagoras sogar bis Indien gekommen und von den Brahmanen selbst unterrichtet worden. (S. Apulej. Florida, p. 130 ed. Bip.) Ich glaube demnach, daß die allerdings hoch anzuschlagende Weisheit und Erkenntniß des Pythagoras nicht sowohl in Dem bestanden hat, was er gedacht, als in Dem, was er gelernt hatte; also weniger eigene, als fremde war. Dies bestätigt ein Ausspruch des Herakleitos über ihn. (Diog. Laert. Lib. VIII, c. 1, §. 5.) Sonst würde er sie auch aufgeschrieben haben, um seine Gedanken vom Untergange zu retten: hingegen das erlernte Fremde blieb an der Quelle gesichert.

      §. 3. Sokrates.

      Die Weisheit des Sokrates ist ein philosophischer Glaubensartikel. Daß der Platonische Sokrates eine ideale, also poetische Person sei, die Platonische Gedanken ausspricht, liegt am Tage; am Xenophontischen hingegen ist nicht gerade viel Weisheit zu finden. Nach Lukianos (Philopsendes, 24) hätte Sokrates einen dicken Bauch gehabt; welches eben nicht zu den Abzeichen des Genies gehört. – Eben so zweifelhaft jedoch steht es, hinsichtlich der hohen Geistesfähigkeiten, mit allen Denen, welche nicht geschrieben haben, also auch mit dem Pythagoras. Ein großer Geist muß doch allmälig seinen Beruf und seine Stellung zur Menschheit erkennen, folglich zu dem Bewußtseyn gelangen, daß er nicht zur Heerde, sondern zu den Hirten, ich meyne zu den Erziehern des Menschengeschlechtes, gehört: hieraus aber wird ihm die Verpflichtung klar werden, seine unmittelbare und gesicherte Einwirkung nicht auf die Wenigen, welche der Zufall in seine Nähe bringt, zu beschränken, sondern sie auf die Menschheit auszudehnen, damit sie, in dieser, die Ausnahmen von ihr, die Vorzüglichen, also Seltenen, erreichen könne. Das Organ aber, womit man zur Menschheit redet, ist allein die Schrift: mündlich redet man bloß zu einer Anzahl Individuen; daher was so gesagt wird, im Verhältniß zum Menschengeschlechte, Privatsache bleibt. Denn solche Individuen sind für die edle Saat meistens ein schlechter Boden, in welchem sie entweder gar nicht treibt, oder in ihren Erzeugnissen schnell degenerirt: die Saat selbst also muß bewahrt werden. Dies aber geschieht nicht durch Tradition, als welche bei jedem Schritte verfälscht wird, sondern allein durch die Schrift, dieser einzigen treuen Aufbewahrerin der Gedanken. Zudem hat nothwendig jeder tiefdenkende Geist den Trieb, zu seiner eigenen Befriedigung, seine Gedanken festzuhalten und sie zu möglichster Deutlichkeit und Bestimmtheit zu bringen, folglich sie in Worten zu verkörpern. Dies aber geschieht vollkommen allererst durch die Schrift: denn der schriftliche Vortrag ist ein wesentlich anderer, als der mündliche; indem er allein die höchste Präcision, Koncision und prägnante Kürze zuläßt, folglich zum reinen Ektypos des Gedankens wird. Diesem allen zufolge


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