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Parerga und Paralipomena. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.

Parerga und Paralipomena - Arthur  Schopenhauer


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geschlagen sind, wenn man Absichten gegen sie aufmarschiren läßt, d. h. zur Verbreitung von Meinungen und Feststellung von Urtheilen sich materieller Mittel und Wege bedient. Die arglose Jugend geht auf die Universität voll kindlichen Vertrauens und blickt mit Ehrfurcht auf die angeblichen Inhaber alles Wissens, und nun gar auf den präsumtiven Ergründer unsers Daseyns, auf den Mann, dessen Ruhm sie von tausend Zungen enthusiastisch verkündigen hört und auf dessen Lehrvortrag sie bejahrte Staatsmänner lauschen sieht. Sie geht also hin, bereit zu lernen, zu glauben und zu verehren. Wenn ihr nun da, unter dem Namen der Philosophie, ein völlig auf den Kopf gestellter Gedankenwust, eine Lehre von der Identität des Seyns und des Nichts, eine Zusammenstellung von Worten, dabei dem gesunden Kopfe alles Denken ausgeht, ein Wischiwaschi, das an’s Tollhaus erinnert, dargereicht wird, dazu noch ausstaffirt mit Zügen krasser Ignoranz und kolossalen Unverstandes, wie ich solche dem Hegel aus seinem Studentenkompendio unwidersprechlich und unwidersprochen nachgewiesen habe, in der Vorrede zu meiner Ethik, um nämlich daselbst der Dänischen Akademie, dieser glücklich inokulirten Lobrednerin der Pfuscher und Schutzmatrone philosophischer Scharlatane, ihren summus philosophus so recht unter die Nase zu reiben; – nun, da wird die arg-und urtheilslose Jugend auch solches Zeug verehren, wird eben denken, in solchem Abrakadabra müsse ja wohl die Philosophie bestehn, und wird davongehn mit einem gelähmten Kopf, in welchem fortan bloße Worte für Gedanken gelten, mithin auf immer unfähig, wirkliche Gedanken hervorzubringen, also kastrirt am Geiste. Daraus erwächst denn so eine Generation impotenter, verschrobener, aber überaus anspruchsvoller Köpfe, strotzend von Absichten, blutarm an Einsichten, wie wir sie jetzt vor uns haben. Das ist die Geistesgeschichte Tausender, deren Jugend und schönste Kraft durch jene Afterweisheit verpestet worden ist; während auch sie hätten der Wohlthat theilhaft werden sollen, welche die Natur, als ihr ein Kopf wie Kant gelang, vielen Generationen bereitete. – Mit der wirklichen, von freien Leuten, bloß ihrer selbst wegen getriebenen und keine andere Stütze als die ihrer Argumente habenden Philosophie, hätte dergleichen Mißbrauch nie getrieben werden können; sondern nur mit der Universitätsphilosophie, als welche schon von Hause aus ein Staatsmittel ist, weshalb wir denn auch sehn, daß, zu allen Zeiten, der Staat sich in die philosophischen Streitigkeiten der Universitäten gemischt und Partei ergriffen hat, mochte es sich um Realisten und Nominalisten, oder Aristoteliker und Ramisten, oder Kartesianer und Aristoteliker, um Christian Wolf, oder Kant, oder Fichte, oder Hegel, oder was sonst handeln.

      Zu den Nachtheilen, welche die Universitätsphilosophie der wirklichen und ernstlich gemeinten gebracht hat, gehört ganz besonders das soeben berührte Berdrängtwerden der Kantischen Philosophie durch die Windbeuteleien der drei ausposaunten Sophisten. Nämlich erst Fichte und dann Schelling, die Beide doch nicht ohne Talent waren, endlich aber gar der plumpe und ekelhafte Scharlatan Hegel, dieser perniciöse Mensch, der einer ganzen Generation die Köpfe völlig desorganisirt und verdorben hat, wurden ausgeschrieen als die Männer, welche Kants Philosophie weiter geführt hätten, darüber hinausgelangt wären, und so, eigentlich auf seinen Nacken tretend, eine ungleich höhere Stufe der Erkenntniß und Einsicht erreicht hätten, von welcher aus sie nun fast mitleidig auf Kants mühsälige Vorarbeit zu ihrer Herrlichkeit herabsähen: sie also wären erst die eigentlich großen Philosophen. Was Wunder, daß die jungen Leute, – ohne eigenes Urtheil und ohne jenes, oft so heilsame Mißtrauen gegen die Lehrer, welche nur der exceptionelle, d. h. mit Urtheilskraft und folglich auch mit dem Gefühl derselben, ausgestattete Kopf schon auf die Universität mitbringt, – eben glaubten, was sie vernahmen, und folglich vermeinten, sich mit den schwerfälligen Vorarbeiten zu der neuen hohen Weisheit, also mit dem alten, steifen Kant, nicht lange aufhalten zu dürfen; sondern mit raschen Schritten dem neuen Weisheitstempel zueilten, in welchem demgemäß, unter dem Lobgesang stultifizirter Adepten, jetzt jene drei Windbeutel successiv auf dem Altar gesessen haben. Nun ist aber leider von diesen drei Götzen der Universitätsphilosophie nichts zu lernen: ihre Schriften sind Zeitverderb, ja, Kopfverderb, am meisten freilich die Hegelschen. Die Folge dieses Ganges der Dinge ist gewesen, daß allmälig die eigentlichen Kenner der Kantischen Philosophie ausgestorben sind, also, zur Schande des Zeitalters, die wichtigste aller je aufgestellten philosophischen Lehren ihr Daseyn nicht als ein lebendiges, in den Köpfen sich erhaltendes, hat fortsetzen können; sondern nur noch im todten Buchstaben, in den Werken ihres Urhebers, vorhanden ist, um auf ein weiteres, oder vielmehr nicht bethörtes und mystifizirtes Geschlecht zu warten. Demgemäß wird man kaum noch bei einigen wenigen, älteren Gelehrten ein gründliches Verständniß der Kantischen Philosophie finden. Hingegen haben die philosophischen Schriftsteller unserer Tage die skandalöseste Unkenntniß derselben an den Tag gelegt, welche am anstößigsten in ihren Darstellungen dieser Lehre erscheint, aber auch sonst, sobald sie auf die Kantische Philosophie zu sprechen kommen und etwas davon zu wissen affektiren, deutlich hervortritt: da wird man denn entrüstet, zu sehn, daß Leute, die von der Philosophie leben, die wichtigste Lehre, welche seit 2000 Jahren aufgestellt worden und mit ihnen fast gleichzeitig ist, nicht eigentlich und wirklich kennen. Ja, es geht so weit, daß sie die Titel der Kantischen Schriften falsch citiren, auch gelegentlich Kanten das gerade Gegentheil von dem sagen lassen, was er gesagt hat, seine termini technici bis zur Sinnlosigkeit verstümmeln und ohne alle Ahndung des von ihm damit Bezeichneten gebrauchen. Denn freilich, mittelst eines flüchtigen Durchblätterns der Kantischen Werke, wie es solchen Vielschreibern und philosophischen Geschäftsleuten, welche zudem vermeinen, das Alles längst hinter sich zu haben, allein zusteht, die Lehre jenes tiefen Geistes kennen zu lernen, geht nicht an, ja, ist ein lächerliches Vermessen; sagte doch Reinhold, Kants erster Apostel, daß er erst nach fünfmaligem, angestrengtem Durchstudiren der Kritik der reinen Vernunft in den eigentlichen Sinn derselben eingedrungen wäre. Aus den Darstellungen, die solche Leute liefern, vermeint dann wieder ein bequemes und nasegeführtes Publikum in kürzester Zeit und ohne alle Mühe Kants Philosophie sich aneignen zu können! Dies aber ist durchaus unmöglich. Nie wird man ohne eigenes, eifriges und oft wiederholtes Studium der Kantischen Hauptwerke auch nur einen Begriff von dieser wichtigsten aller je dagewesenen philosophischen Erscheinungen erhalten. Denn Kant ist vielleicht der originellste Kopf, den jemals die Natur hervorgebracht hat. Mit ihm und in seiner Weise zu denken, ist etwas, das mit gar nichts Anderm irgend verglichen werden kann: denn er besaß einen Grad von klarer, ganz eigenthümlicher Besonnenheit, wie solche niemals irgend einem andern Sterblichen zu Theil geworden ist. Man gelangt zum Mitgenuß derselben, wenn man, durch fleißiges und ernstliches Studium eingeweiht, es dahin bringt, daß man, beim Lesen der eigentlich tiefsinnigen Kapitel der Kritik der reinen Vernunft, der Sache sich ganz hingebend, nunmehr wirklich mit Kants Kopfe denkt, wodurch man hoch über sich selbst hinausgehoben wird. So z. B., wenn man ein Mal wieder die Grundsätze des reinen Verstandes durchnimmt, zumal die Analogien der Erfahrung betrachtet und nun in den tiefen Gedanken der synthetischen Einheit der Apperception eindringt. Man fühlt sich alsdann dem ganzen traumartigen Daseyn, in welches wir versenkt sind, auf wundersame Weise, entrückt und entfremdet, indem man die Urelemente desselben jedes für sich in die Hand erhält und nun sieht, wie Zeit, Raum, Kausalität, durch die synthetische Einheit der Apperception aller Erscheinungen verknüpft, diesen erfahrungsmäßigen Komplex des Ganzen und seinen Verlauf möglich machen, worin unsere, durch den Intellekt so sehr bedingte Welt besteht, die eben deshalb bloße Erscheinung ist. Die synthetische Einheit der Apperception ist nämlich derjenige Zusammenhang der Welt als eines Ganzen, welcher auf den Gesetzen unsers Intellekts beruht und daher unverbrüchlich ist. In der Darstellung derselben weist Kant die Urgrundgesetze der Welt nach, da, wo sie mit denen unsers Intellekts in Eins zusammenlaufen, und hält sie uns, auf Einen Faden gereiht, vor. Diese Betrachtungsweise, welche Kanten ausschließlich eigen ist, läßt sich beschreiben als der entfremdeteste Blick, der jemals auf die Welt geworfen worden, und als der höchste Grad von Objektivität. Ihr zu folgen gewährt einen geistigen Genuß, dem vielleicht kein anderer gleich kommt. Denn er ist höherer Art, als der, den Poeten gewähren, welche freilich Jedem zugänglich sind, während dem hier geschilderten Genusse Mühe und Anstrengung vorhergegangen seyn müssen. Was aber wissen von derselben unsere heutigen Professionsphilosophen? Wahrhaftig nichts. Kürzlich las ich eine psychologische Diatribe von einem derselben, in der viel von Kants synthetischer Apperception (sic) die Rede ist: denn Kants Kunstausdrücke gebrauchen sie gar zu gern, wenn auch nur, wie hier, halb aufgeschnappt und dadurch sinnlos geworden. Dieser nun meynte, darunter wäre wohl die angestrengte Aufmerksamkeit zu verstehn!


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