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Parerga und Paralipomena. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.

Parerga und Paralipomena - Arthur  Schopenhauer


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aber erst gewahr wird, nachdem er ihn zurückgelegt hat. – Dennoch scheint Dies, dem mächtigen Einfluß und der großen Gewalt der äußeren Umstände gegenüber, nicht ausreichend: und dabei ist es nicht sehr glaublich, daß das Wichtigste in der Welt, der durch so vieles Thun, Plagen und Leiden erkaufte menschliche Lebenslauf, auch nur die andere Hälfte seiner Lenkung, nämlich den von außen kommenden Theil, so ganz eigentlich und rein aus der Hand eines wirklich blinden, an sich selbst gar nichts seienden und aller Anordnung entbehrenden Zufalls erhalten sollte. Vielmehr wird man versucht, zu glauben, daß, – wie es gewisse Bilder giebt, Anamorphosen genannt (Pouillet II, 171), welche dem bloßen Auge nur verzerrte und verstümmelte Ungestalten, hingegen in einem konischen Spiegel gesehn regelrechte menschliche Figuren zeigen, – so die rein empirische Auffassung des Weltlaufs jenem Anschauen des Bildes mit nacktem Auge gleicht, das Verfolgen der Absicht des Schicksals hingegen dem Anschauen im konischen Spiegel, der das dort auseinander Geworfene verbindet und ordnet. Jedoch läßt dieser Ansicht sich immer noch die andere entgegenstellen, daß der planmäßige Zusammenhang, welchen wir in den Begebenheiten unsers Lebens wahrzunehmen glauben, nur eine unbewußte Wirkung unsrer ordnenden und schematisirenden Phantasie sei, derjenigen ähnlich, vermöge welcher wir auf einer befleckten Wand menschliche Figuren und Gruppen deutlich und schön erblicken, indem wir planmäßigen Zusammenhang in Flecke bringen, die der blindeste Zufall gestreut hat. Inzwischen ist doch zu vermuthen, daß Das, was, im höchsten und wahrsten Sinne des Worts, für uns das Rechte und Zuträgliche ist, wohl nicht Das seyn kann, was bloß projektirt, aber nie ausgeführt wurde, was also nie eine andere Existenz, als die in unsern Gedanken, erhielt, – die vani disegni, che non han’ mai loco des Ariosto, – und dessen Vereitelung durch den Zufall wir nachher Zeit Lebens zu betrauern hätten; sondern vielmehr Das, was real ausgeprägt wird im großen Bilde der Wirklichkeit und wovon wir, nachdem wir dessen Zweckmäßigkeit erkannt haben, mit Ueberzeugung sagen sic erat in fatis, so hat es kommen müssen; daher denn für die Realisirung des in diesem Sinne Zweckmäßigen auf irgend eine Weise gesorgt seyn müßte, durch eine im tiefsten Grunde der Dinge liegende Einheit des Zufälligen und Nothwendigen.

      Vermöge dieser müßten, beim menschlichen Lebenslauf, die innere, sich als instinktartiger Trieb darstellende Nothwendigkeit, sodann die vernünftige Ueberlegung und endlich die äußere Einwirkung der Umstände sich wechselseitig dergestalt in die Hände arbeiten, daß sie, am Ende desselben, wenn er ganz durchgeführt ist, ihn als ein wohlgeründetes, vollendetes Kunstwerk erscheinen ließen; obgleich vorher, als er noch im Werden war, an demselben, wie an jedem erst angelegten Kunstwerk, sich oft weder Plan, noch Zweck erkennen ließ. Wer aber erst nach der Vollendung hinzuträte und ihn genau betrachtete, müßte so einen Lebenslauf anstaunen als das Werk der überlegtesten Vorhersicht, Weisheit und Beharrlichkeit. Die Bedeutsamkeit desselben im Ganzen jedoch würde seyn, je nachdem das Subjekt desselben ein gewöhnliches oder außerordentliches war. Von diesem Gesichtspunkte aus könnte man den sehr transscendenten Gedanken fassen, daß diesem mundus phaenomenon, in welchem der Zufall herrscht, durchgängig und überall ein mundus intelligibilis zum Grunde läge, welcher den Zufall selbst beherrscht. – Die Natur freilich thut Alles nur für die Gattung und nicht bloß für das Individuum; weil ihr Jene Alles, Dieses nichts ist. Allein was wir hier als wirkend voraussetzen wäre nicht die Natur, sondern das jenseit der Natur liegende Metaphysische, welches in jedem Individuo ganz und ungetheilt existirt, dem daher Dieses Alles gilt.

      Zwar müßte man eigentlich, um über diese Dinge in’s Reine zu kommen, zuvor folgende Fragen beantworten: ist ein gänzliches Mißverhältniß zwischen dem Charakter und dem Schicksal eines Menschen möglich? – oder paßt, auf die Hauptsache gesehn, jedes Schicksal zu jedem Charakter? – oder endlich fügt wirklich eine geheime, unbegreifliche Nothwendigkeit, dem Dichter eines Drama’s zu vergleichen, Beide jedes Mal passend an einander? – Aber eben hierüber sind wir nicht im Klaren.

      Inzwischen glauben wir unserer Thaten in jedem Augenblicke Herr zu seyn. Allein, wenn wir auf unsern zurückgelegten Lebensweg zurücksehn und zumal unsere unglücklichen Schritte, nebst ihren Folgen, ins Auge fassen; so begreifen wir oft nicht, wie wir haben Dieses thun, oder Jenes unterlassen können; so daß es aussieht, als hätte eine fremde Macht unsre Schritte gelenkt. Deshalb sagt Shakespeare:

      Fate, show thy force: ourselves we do not owe;

      What is decreed must be, and be this so!

      Twe1fth-night, A. 1. sc. 5.

      (Jetzt kannst du deine Macht, o Schicksal, zeigen:

      Was seyn soll muß geschehn, und Keiner ist sein eigen.)

      Auch Goethe sagt im Götz von Berlichingen (Akt 5.): wir Menschen führen uns nicht selbst: bösen Geistern ist Macht über uns gelassen, daß sie ihren Muthwillen an unserm Verderben üben. Auch im Egmont (Akt 5, letzte Scene): Es glaubt der Mensch sein Leben zu leiten, sich selbst zu führen; und sein Innerstes wird unwiderstehlich nach seinem Schicksale gezogen. (S. die Ausgabe in 40 Bänden, Bd. IX, S. 240.) Ja, schon der Prophet Jeremias hat es gesagt: des Menschen Thun stehet nicht in seiner Gewalt, und stehet in Niemandes Macht, wie er wandele, oder seinen Gang richte. (10, 23.) Man vergleiche hiemit Herodot L. I, c. 91 und IX, c. 16; auch Lukians Todtengespräche XIX und XXX. Die Alten werden es nicht müde, in Versen und in Prosa, die Allgewalt des Schicksals hervorzuheben, wobei sie auf die Ohnmacht des Menschen, ihm gegenüber, hinweisen. Man sieht überall, daß dies eine Ueberzeugung ist, von der sie durchdrungen sind, indem sie einen geheimnißvollen und tiefern Zusammenhang der Dinge ahnden, als der klar empirische ist. Daher die vielen Benennungen dieses Begriffs im Griechischen: ποτμος, αισα, ειμαρμενη, πεπρωμενη, μοιρα, ΄Αδραστεια und vielleicht noch andere. Das Wort προνοια hingegen verschiebt den Begriff der Sache, indem es vom νους, dem Sekundären, ausgeht, wodurch er freilich plan und begreiflich, aber auch oberflächlich und falsch wird. – Dies Alles beruht darauf, daß unsere Thaten das nothwendige Produkt zweier Faktoren sind, deren einer, unser Charakter, unabänderlich fest steht, uns jedoch nur a posteriori, also allmälig, bekannt wird; der andere aber sind die Motive: diese liegen außerhalb, werden durch den Weltlauf nothwendig herbeigeführt und bestimmen den gegebenen Charakter, unter Voraussetzung seiner feststehenden Beschaffenheit, mit einer Nothwendigkeit, welche der mechanischen gleichkommt. Das über den so erfolgenden Verlauf nun aber urtheilende Ich ist das Subjekt des Erkennens, als solches jenen Beiden fremd und bloß der kritische Zuschauer ihres Wirkens. Da mag es denn freilich zu Zeiten sich verwundern.

      Hat man aber ein Mal den Gesichtspunkt jenes transscendenten Fatalismus gefaßt und betrachtet nun von ihm aus ein individuelles Leben; so hat man bisweilen das wunderlichste aller Schauspiele vor Augen, an dem Kontraste zwischen der offenbaren, physischen Zufälligkeit einer Begebenheit und ihrer moralisch-metaphysischen Nothwendigkeit, welche letztere jedoch nie demonstrabel ist, vielmehr immer noch bloß eingebildet seyn kann.

      Um Dieses durch ein altbekanntes Beispiel, welches zugleich, wegen seiner Grellheit, geeignet ist, als Typus der Sache zu dienen, sich zu veranschaulichen, betrachte man Schiller’s Gang nach dem Eisenhammer. Hier nämlich sieht man Fridolins Verzögerung, durch den Dienst bei der Messe, so ganz zufällig herbeigeführt, wie sie andrerseits für ihn so höchst wichtig und nothwendig ist. Vielleicht wird Jeder, bei gehörigem Nachdenken, in seinem eigenen Lebenslaufe analoge Fälle finden können, wenn gleich nicht so wichtige, noch so deutlich ausgeprägte. Gar Mancher aber wird hiedurch zu der Annahme getrieben werden, daß eine geheime und unerklärliche Macht alle Wendungen und Windungen unsers Lebenslaufes, zwar sehr oft gegen unsere einstweilige Absicht, jedoch so, wie es der objektiven Ganzheit und subjektiven Zweckmäßigkeit desselben angemessen, mithin unserm eigentlichen wahren Besten förderlich ist, leitet; so, daß wir gar oft die Thorheit der in entgegengesetzter Richtung gehegten Wünsche hinterher erkennen. Ducunt volentem fata, nolentem trahunt. – Sen. ep. 107. Eine solche Macht nun müßte, mit einem unsichtbaren Faden alle Dinge durchziehend, auch die, welche die Kausalkette ohne alle Verbindung mit einander läßt, so verknüpfen,


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