Parerga und Paralipomena. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.
Denn an diesen zweifelt kein vernünftiger Mensch, und für ein Mirakel will Keiner das Omen ausgeben; sondern gerade daraus, daß die ins Unendliche hinausreichende Kette der Ursachen und Wirkungen, mit der ihr eigenen, strengen Nothwendigkeit und unvordenklichen Prädestination, den Eintritt dieses Ereignisses, in solchem bedeutsamen Augenblick, unvermeidlich festgestellt hat, erwächst demselben das Ominose; daher jenen Altklugen, zumal wenn sie physikalisch werden, das there are more things in heaven and earth, than are dreamt of in your philosophy (Hamlet, Act I, Sc. 5) vorzüglich zuzurufen ist. Andrerseits jedoch sehn wir mit dem Glauben an die Omina auch der Astrologie wieder die Thüre geöffnet; da die geringste, als ominos geltende Begebenheit, der Flug eines Vogels, das Begegnen eines Menschen u. dgl. durch eine eben so unendlich lange und eben so streng nothwendige Kette von Ursachen bedingt ist, wie der berechenbare Stand der Gestirne, zu einer gegebenen Zeit. Nur steht freilich die Konstellation so hoch, daß die Hälfte der Erdbewohner sie zugleich sieht; während dagegen das Omen nur im Bereich des betreffenden Einzelnen erscheint. Will man übrigens die Möglichkeit des Ominosen sich noch durch ein Bild versinnlichen; so kann man Den, der, bei einem wichtigen Schritt in seinem Lebenslauf, dessen Folgen noch die Zukunft verbirgt, ein gutes, oder schlimmes Omen erblickt und dadurch gewarnt oder bestärkt wird, einer Saite vergleichen, welche, wenn angeschlagen, sich selbst nicht hört, jedoch die, in Folge ihrer Vibration mitklingende fremde Saite vernähme. —
Kants Unterscheidung des Dinges an sich von seiner Erscheinung, nebst meiner Zurückführung des ersteren auf den Willen und der letzteren auf die Vorstellung, giebt uns die Möglichkeit, die Vereinbarkeit dreier Gegensätze, wenn auch nur unvollkommen und aus der Ferne abzusehn.
Diese sind:
1) Der, zwischen der Freiheit des Willens an sich selbst und der durchgängigen Nothwendigkeit aller Handlungen des Individuums.
2) Der, zwischen dem Mechanismus und der Technik der Natur, oder dem nexus effectivus und dem nexus finalis, oder der rein kausalen und der teleologischen Erklärbarkeit der Naturprodukte. (Hierüber Kants Kritik der Urtheilskraft §. 78, und mein Hauptwerk Bd. 2. Kap. 26 S. 334—339. – 2. Aufl. 379 fg.)
3) Der, zwischen der offenbaren Zufälligkeit aller Begebenheiten im individuellen Lebenslauf und ihrer moralischen Nothwendigkeit zur Gestaltung desselben, gemäß einer transscendenten Zweckmäßigkeit für das Individuum: – oder, in populärer Sprache, zwischen dem Naturlauf und der Vorsehung.
Die Klarheit unserer Einsicht in die Vereinbarkeit jedes dieser drei Gegensätze ist, obwohl bei keinem derselben vollkommen, doch genügender beim ersten als beim zweiten, am geringsten aber beim dritten. Inzwischen wirft das, wenn auch unvollkommene, Verständniß der Vereinbarkeit eines jeden dieser Gegensätze allemal Licht auf die zwei andern zurück, indem es als ihr Bild und Gleichniß dient. —
Worauf nun endlich diese ganze, hier in Betrachtung genommene, geheimnißvolle Lenkung des individuellen Lebenslaufs es eigentlich abgesehn habe, läßt sich nur sehr im Allgemeinen angeben. Bleiben wir bei den einzelnen Fällen stehn; so scheint es oft, daß sie nur unser zeitiges, einstweiliges Wohl im Auge habe. Dieses jedoch kann, wegen seiner Geringfügigkeit, Unvollkommenheit, Futililät und Vergänglichkeit, nicht im Ernst ihr letztes Ziel seyn: also haben wir dieses in unserm ewigen, über das individuelle Leben hinausgehenden Daseyn zu suchen. Und da läßt sich dann nur ganz im Allgemeinen sagen, unser Lebenslauf werde, mittelst jener Lenkung, so regulirt, daß von dem Ganzen der durch denselben uns ausgehenden Erkenntniß der metaphysisch zweckdienlichste Eindruck auf den Willen, als welcher der Kern und das Wesen an sich des Menschen ist, entstehe. Denn obgleich der Wille zum Leben seine Antwort am Laufe der Welt überhaupt, als der Erscheinung seines Strebens, erhält; so ist dabei doch jeder Mensch jener Wille zum Leben auf eine ganz individuelle und einzige Weise, gleichsam ein individualisirter Akt desselben; dessen genügende Beantwortung daher auch nur eine ganz bestimmte Gestaltung des Weltlaufs, gegeben in den ihm eigenthümlichen Erlebnissen, seyn kann. Da wir nun, aus den Resultaten meiner Philosophie des Ernstes (im Gegensatz bloßer Professoren-oder Spaaß-Philosophie), das Abwenden des Willens vom Leben als das letzte Ziel des zeitlichen Daseyns erkannt haben; so müssen wir annehmen, daß dahin ein Jeder, auf die ihm ganz individuell angemessene Art, also auch oft auf weiten Umwegen allmälig geleitet werde. Da nun ferner Glück und Genuß diesem Zwecke eigentlich entgegenarbeiten, so sehn wir, Diesem entsprechend, jedem Lebenslauf Unglück und Leiden unausbleiblich eingewebt, wiewohl in sehr ungleichem Maaße und nur selten im überfüllten, nämlich in den tragischen Ausgängen; wo es dann aussieht, als ob der Wille gewissermaaßen mit Gewalt zur Abwendung vom Leben getrieben werden und gleichsam durch den Kaiserschnitt zur Wiedergeburt gelangen sollte.
So geleitet dann jene Unsichtbare und nur in zweifelhaftem Scheine sich kund gebende Lenkung uns bis zum Tode, diesem eigentlichen Resultat und insofern Zweck des Lebens. In der Stunde desselben drängen alle die geheimnißvollen (wenn gleich eigentlich in uns selbst wurzelnden) Mächte, die das ewige Schicksal des Menschen bestimmen, sich zusammen und treten in Aktion. Aus ihrem Konflikt ergiebt sich der Weg, den er jetzt zu wandern hat, bereitet nämlich seine Palingenesie sich vor, nebst allem Wohl und Wehe, welches in ihr begriffen und von Dem an unwiderruflich bestimmt ist. – Hierauf beruht der hochernste, wichtige, feierliche und furchtbare Charakter der Todesstunde. Sie ist eine Krisis, im stärksten Sinne des Worts, – ein Weltgericht.
Versuch
über das Geistersehn
und
was damit zusammenhängt.
Und laß dir rathen, habe
Die Sonne nicht zu lieb und nicht die Sterne.
Komm, folge mir ins dunkle Reich hinab!
Goethe.
Versuch über Geistersehn und was damit zusammenhängt.
Inhaltsverzeichnis
Die in dem superklugen, verflossenen Jahrhundert, allen früheren zum Trotz, überall nicht sowohl gebannten, als doch geächteten Gespenster sind, wie schon vorher die Magie, während dieser letzten 25 Jahre, in Deutschland rehabilitirt worden. Vielleicht nicht mit Unrecht. Denn die Beweise gegen ihre Existenz waren theils metaphysische, die, als solche, auf unsicherm Grunde standen; theils empirische, die doch nur bewiesen, daß, in den Fällen, wo keine zufällige, oder absichtlich veranstaltete Täuschung aufgedeckt worden war, auch nichts vorhanden gewesen sei, was, mittelst Reflexion der Lichtstrahlen, auf die Retina, oder, mittelst Vibration der Luft, auf das Tympanum hätte wirken können.
Dies spricht jedoch bloß gegen die Anwesenheit von Körpern, deren Gegenwart aber auch niemand behauptet hatte, ja deren Kundgebung auf die besagte physische Weise, die Wahrheit einer Geistererscheinung aufheben würde. Denn eigentlich liegt schon im Begriff eines Geistes, daß seine Gegenwart uns auf ganz anderm Wege kund wird, als die eines Körpers. Was ein Geisterseher, der sich selbst recht verstände und auszudrücken wüßte, behaupten würde, ist bloß die Anwesenheit eines Bildes in seinem anschauenden Intellekt, vollkommen ununterscheidbar von dem, welches, unter Vermittelung des Lichtes und seiner Augen, daselbst von Körpern veranlaßt wird, und dennoch ohne wirkliche Gegenwart solcher Körper; desgleichen, in Hinsicht auf das hörbar Gegenwärtige, Geräusche, Töne und Laute, ganz und gar gleich den durch vibrirende Körper und Luft in seinem Ohr hervorgebrachten, doch ohne die Anwesenheit oder Bewegung solcher Körper. Eben hier liegt die Quelle des Mißverständnisses, welches alles für und wider die Realität der Geistererscheinungen Gesagte durchzieht. Nämlich die Geistererscheinung stellt sich dar, völlig wie eine Körpererscheinung: sie ist jedoch keine, und soll es auch nicht seyn. Diese Unterscheidung ist schwer und verlangt Sachkenntniß, ja philosophisches und physiologisches Wissen. Denn es kommt darauf an, zu begreifen, daß eine Einwirkung gleich der von einem Körper nicht nothwendig die Anwesenheit eines Körpers voraussetze.
Vor Allem daher müssen wir uns hier zurückrufen und bei allem Folgenden gegenwärtig erhalten, was ich öfter ausführlich dargethan habe (besonders in meiner Abhandlung über den Satz vom zureichenden Grunde §. 21, und