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Parerga und Paralipomena. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.

Parerga und Paralipomena - Arthur  Schopenhauer


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(über die Erscheinungen des organischen Lebens, Bd. 2. Abth. 2. S. 117), nach Pierquin angeführte Thatsache sogar faktische Gewißheit: Bei einem Mädchen, dessen Schädelknochen durch Knochenfraß zum Theil so zerstört waren, daß das Gehirn ganz entblößt lag, quoll dieses beim Erwachen hervor und sank beim Einschlafen. Während des ruhigen Schlafs war die Senkung am stärksten. Bei lebhaften Träumen fand Turgor darin Statt. Vom Traum ist aber der Somnambulismus offenbar nur dem Grade nach verschieden: auch seine Wahrnehmungen geschehn durch das Traumorgan: er ist, wie gesagt, ein unmittelbares Wahrträumen33.

      Man könnte indessen die hier bestrittene Hypothese dahin modifiziren, daß das Bauchgangliengeflecht nicht selbst das Sensorium würde, sondern nur die Rolle der äußern Werkzeuge desselben, also der hier ebenfalls gänzlich depotenzirten Sinnesorgane übernähme, mithin Eindrücke von außen empfienge, die es dem Gehirn überliefern, welches solche seiner Funktion gemäß bearbeitend, nun darauf die Gestalten der Außenwelt eben so schematisirte und aufbaute, wie sonst aus den Empfindungen in den Sinnesorganen. Allein auch hier wiederholt sich die Schwierigkeit der blitzschnellen Ueberlieferung der Eindrücke an das von diesem innern Nervencentro so entschieden isolirte Gehirn. Sodann ist das Sonnengeflecht, seiner Struktur nach, zum Sehe-und Hörorgan eben so ungeeignet, wie zum Denkorgan, überdies auch durch eine dicke Scheidewand aus Haut, Fett, Muskeln, Peritonäum und Eingeweiden vom Eindrucke des Lichts gänzlich abgesperrt. Wenn also auch die meisten Somnambulen (imgleichen v. Helmont, in der von Mehreren angeführten Stelle Ortus medicinae, Lugd. bat. 1667. demens idea §. 12, p. 171) aussagen, ihr Schauen und Denken gehe in der Magengegend vor sich; so dürfen wir dies doch nicht sofort als objektiv gültig annehmen; um so weniger, als einige Somnambulen es ausdrücklich leugnen: z. B. die bekannte Auguste Müller in Karlsruhe giebt (in dem Bericht über sie S. 53 fg.) an, daß sie nicht mit der Herzgrube, sondern mit den Augen sähe, sagt jedoch, daß die meisten andern Somnambulen mit der Herzgrube sähen; und auf die Frage: kann auch die Denkkraft in die Herzgrube verpflanzt werden? antworte sie: nein, aber die Seh-und Hörkraft. Diesem entspricht die Aussage einer andern Somnambule, in Kiesers Archiv Bd. 10, H. 2, S. 154, welche auf die Frage: denkst du mit dem ganzen Gehirn, oder nur mit einem Theil desselben? antwortet: mit dem ganzen, und ich werde sehr müde. Das wahre Ergebniß aus allen Somnambulen-Aussagen scheint zu seyn, daß die Anregung und der Stoff zur anschauenden Thätigkeit ihres Gehirns, nicht, wie im Wachen, von außen und durch die Sinne, sondern, wie oben bei den Träumen auseinandergesetzt worden, aus dem Innern des Organismus kommt, dessen Vorstand und Lenker bekanntlich die großen Geflechte des sympathischen Nerven sind, welche daher, in Hinsicht auf die Nerventhätigkeit, den ganzen Organismus, mit Ausnahme des Cerebralsystems, vertreten und repräsentiren. Jene Aussagen sind damit zu vergleichen, daß wir den Schmerz im Fuße zu empfinden vermeinen, den wir doch wirklich nur im Gehirne empfinden, daher er, sobald die Nervenleitung zu diesem unterbrochen ist, wegfällt. Es ist daher Täuschung, wenn die Somnambulen mit der Magengegend zu sehn, ja, zu lesen wähnen, oder, in seltenen Fällen, sogar mit den Fingern, Zehen, oder der Nasenspitze, diese Funktion zu vollziehn behaupten (z. B. der Knabe Arst in Kiesers Archiv Bd. 3, Heft 2, ferner die Somnambule Koch, ebendas Bd. 10, H. 3, S. 8—21, auch das Mädchen in Just. Kerner’s Geschichte zweier Somnambulen, 1824, S. 323—30, welches aber hinzufügt: der Ort dieses Sehns sei das Gehirn, wie im wachen Zustande). Denn, wenn wir auch die Nervensensibilität solcher Theile noch so hoch gesteigert uns denken wollen; so bleibt ein Sehn im eigentlichen Sinne, d. h. durch Vermittelung der Lichtstrahlen, in Organen, die jedes optischen Apparats entbehren, selbst wenn sie nicht, wie doch der Fall ist, mit dicken Hüllen bedeckt, sondern dem Lichte zugänglich wären, durchaus unmöglich. Es ist ja nicht bloß die hohe Sensibilität der Retina, welche sie zum Sehn befähigt, sondern eben so sehr der überaus künstliche und komplicirte optische Apparat im Augapfel. Das physische Sehn erfordert nämlich zwar zunächst eine für das Licht sensible Fläche, dann aber auch, daß auf dieser, mittelst der Pupille und der lichtbrechenden, unendlich künstlich kombinirten durchsichtigen Medien, die draußen aus einander gefahrenen Lichtstrahlen sich wieder sammeln und koncentriren, so daß ein Bild, – richtiger, ein dem äußern Gegenstand genau entsprechender Nerven-Eindruck, – entstehe, als wodurch allein dem Verstande die subtilen Data geliefert werden, aus denen er sodann, durch einen intellektuellen, das Kausalitätsgesetz anwendenden Proceß, die Anschauung in Raum und Zeit hervorbringt. Hingegen Magengruben und Fingerspitzen könnten, selbst wenn Haut, Muskeln u. s. w. durchsichtig wären, immer nur vereinzelte Lichtreflexe erhalten; daher mit ihnen zu sehn so unmöglich ist, wie einen Daguerrotyp in einer offenen Kamera obscura ohne Sammlungsglas zu machen. Einen ferneren Beweis, daß diese angeblichen Sinnesfunktionen paradoxer Theile, es nicht eigentlich sind, und daß hier nicht, mittelst physischer Einwirkung der Lichtstrahlen gesehn wird, giebt der Umstand, daß der erwähnte Knabe Kieser’s mit den Zehen las, auch wann er dicke wollene Strümpfe anhatte, und mit den Fingerspitzen nur dann sah, wann er es ausdrücklich wollte, übrigens in der Stube, mit den Händen voraus, herumtappte: Dasselbe bestätigt seine eigene Aussage über diese abnormen Wahrnehmungen (a. a. O. S. 128): er nannte dies nie Sehen, sondern auf die Frage, wie er denn wisse, was da vorgehe, antwortete er, er wisse es eben, das sei ja das Neue. Eben so beschreibt, in Kiesers Archiv Bd. 7, H. l, S. 52, eine Somnambule ihre Wahrnehmung als ein Sehn, das kein Sehn ist, ein unmittelbares Sehn. In der Geschichte der hellsehenden Auguste Müller, Stuttgart 1818, wird S. 36 berichtet: sie sieht vollkommen hell und erkennt alle Personen und Gegenstände in der dichtesten Finsterniß, wo es uns unmöglich wäre, die Hand vor den Augen zu unterscheiden. Das Selbe belegt, hinsichtlich des Hörens der Somnambulen, Kiesers Aussage (Tellurismus, Bd. 2, S. 172, erste Aufl.), daß wollene Schnüre vorzüglich gute Leiter des Schalles seien, – während Wolle bekanntlich der allerschlechteste Schallleiter ist. Besonders belehrend aber ist, über diesen Punkt, folgende Stelle aus dem eben erwähnten Buch über die Auguste Müller: Merkwürdig ist, was jedoch auch bei andern Somnambulen beobachtet wird, daß sie von Allem, was unter Personen im Zimmer, selbst dicht neben ihr, gesprochen wird, wenn die Rede nicht unmittelbar an sie gerichtet ist, durchaus nichts hört; jedes, auch noch so leise, an sie gerichtete Wort hingegen, selbst wenn mehrere Personen bunt durcheinander sprechen, bestimmt versteht und beantwortet. Auf dieselbe Art verhält es sich mit dem Vorlesen: wenn die ihr vorlesende Person an etwas Anderes, als an die Lektüre denkt, so wird sie von ihr nicht gehört, S. 40. – Ferner heißt: es, S. 89: Ihr Hören ist kein Hören auf dem gewöhnlichen Wege durch das Ohr: denn man kann dieses fest zudrücken, ohne daß es ihr Hören hindert. – Desgleichen wird in den Mittheilungen aus dem Schlafleben der Somnambule Auguste K. in Dresden, 1843, wiederholentlich angeführt, daß sie zu Zeiten ganz allein durch die Handfläche, und zwar das lautlose, durch bloße Bewegung der Lippen Gesprochene, hörte: S. 32 warnt sie selbst, daß man dies nicht für ein Hören im wörtlichen Sinne halten solle.

      Demnach ist, bei Somnambulen jeder Art, durchaus nicht von sinnlichen Wahrnehmungen im eigentlichen Verstande des Wortes die Rede; sondern ihr Wahrnehmen ist ein unmittelbares Wahrträumen, geschieht also durch das so räthselhafte Traumorgan. Daß die wahrzunehmenden Gegenstände an ihre Stirn, oder auf ihre Magengrube gelegt werden, oder daß, in den erwähnten einzelnen Fällen, die Somnambule ihre ausgespreitzten Fingerspitzen auf dieselben richtet, ist bloß ein Mittel, das Traumorgan auf diese Gegenstände, durch den Kontakt mit ihnen hinzulenken, damit sie das Thema seines Wahrträumens werden, also geschieht bloß, um ihre Aufmerksamkeit entschieden darauf hinzulenken, oder, in der Kunstsprache, sie mit diesen Objekten in näheren Rapport zu setzen, worauf sie eben diese Objekte träumt, und zwar nicht bloß ihre Sichtbarkeit, sondern auch das Hörbare, die Sprache, ja den Geruch derselben: denn viele Hellsehende sagen aus, daß alle ihre Sinne auf die Magengrube versetzt sind. (Dupotet traité complet du Magnetisme, p. 449—452.) Es ist folglich dem Gebrauche der Hände beim Magnetisiren analog, als welche nicht eigentlich physisch einwirken; sondern der Wille des Magnetiseurs ist das Wirkende: aber eben dieser erhält durch die Anwendung der Hände seine Richtung und Entschiedenheit. Denn zum Verständniß der ganzen Einwirkung des Magnetiseurs, durch allerlei Gesten, mit und ohne Berührung, selbst aus der Ferne und durch Scheidewände, kann nur die aus meiner Philosophie geschöpfte Einsicht führen,


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