Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
zu verleiden, damit er sie ganz billig weiterveräußere? – Jedenfalls hatte der Detektiv sich vorläufig noch keine abschließende Meinung über diese Angelegenheit bilden können. Möglicherweise brachte ihm dieser nächtliche Ausflug bereits die nähere Aufschlüsse. – –
Beinahe zwei Stunden vergingen, bevor Fritz Schaper wieder auf der Gartenmauer auftauchte und langsam den Rückweg nach der Stadt einschlug.
Vormittags mit dem D-Zug, dem er mit dem Bummelzug bis Stolp entgegengefahren war, setzte er seine Reise fort. Um vier Uhr traf er auf dem Stettiner Bahnhof in Berlin ein, und drei Stunden später saß er schon wieder in einem Schlafwagenabteil und rollte der Hauptstadt des Bayernlandes entgegen.
6. Kapitel
Zwei Briefe und zwei Enttäuschte
Der Briefträger, der die Aspernstraße in München zu besorgen hatte, wunderte sich nicht wenig, daß heute wirklich einmal ein Brief für das hübsche Fräulein mit unter den Postsachen war, welches in Nr. 19 bei der freundlichen Frau Deprouval als Erzieherin nun schon seit Jahren wirkte, ohne daß jemals auch nur ein einziges Schreiben, keine Postkarte, – einfach nichts, garnichts, an das liebreizende Persönchen zu bestellen gewesen wäre.
Der biedere Beamte klingelte jetzt bei Frau Deprouval, die in der ersten Etage zur linken Hand eine elegante Vierzimmerwohnung innehatte.
Dem öffnenden Mädchen bedeutete er dann, daß für Fräulein Rita Meinas ein Einschreibebrief da sei und daß die junge Dame den Empfang bestätigen müsse.
Ritas Augen weiteten sich vor Schreck, als das Mädchen ihr die Bestellung ausrichtete und hinzufügte, der Briefträger warte im Flur.
Und dann saß sie in ihrem Stübchen mit den freundlichen hellen Möbeln und starrte nur immer auf den großen Briefumschlag aus starkem Papier, der ihre Adresse trug … Ein Irrtum war ausgeschlossen. Da stand es klar und deutlich – »Rita Meinas bei Frau Deprouval, München, Aspernstraße 19, 1. Etge.« … Wer – wer konnte nur an sie geschrieben haben, an sie, die alle Beziehungen zu der Vergangenheit abgebrochen, die keinen Freunde besaß, die nur auf den Verkehr mit ihres Zöglings Mutter, der gütigen Frau Deprouval, angewiesen war? …
Endlich raffte sie sich auf. Vorsichtig schnitt sie den Umschlag heraus. Außerdem enthielt der Brief auch noch eine Anzahl von Zeitungsausschnitten, – auffällig gedruckten Annoncen anscheinend. Unwillkürlich nahm sie eine von diesen zunächst zur Hand und überflog sie. …
Staunen, ungläubige Verwunderung malte sich in ihren Zügen. Noch immer hingen ihre Blicke auf der Druckschrift, besonders auf den Worten »Albert Erich Wendel« .
Und dann griff sie hastig nach dem Schreiben selbst. Dieses zeigte in der linken Ecke einen Aufdruck in englischer Sprache, wodurch der Brief als eine Mitteilung des Generalkonsulats Englands in Berlin legitimiert wurde. Oben in der Mitte stand außerdem links von dem Absenderort und dem Datum das Wort »Geheimabteilung« . – Das Schreiben lautete folgendermaßen:
»Vor längerer Zeit, etwa zwei Monaten, hatte das hiesige englische Generalkonsulat von dem in Kimberley lebenden früheren preußischen, nunmehr englischen Untertan, dem Minenbesitzer Albert Erich Wendel, aus Danzig stammend, den Auftrag erhalten, nach etwaigen Verwandten forschen zu lassen. Daraufhin wurde, nachdem die Erkundigungen in der Vaterstadt des Albert Wendel ergebnislos ausgefallen waren, in eine ganze Anzahl deutsche Zeitungen ein Aufruf eingerückt, dessen Inhalt Sie aus den beigefügten Aufschnitten ersehen. Niemand meldete sich. Nunmehr wurde nochmals in Danzig versucht, den jetzigen Aufenthalt der einzigen hier in Betracht kommenden Person, des Fräulein Charlotte Wendel, in Erfahrung zu bringen. Endlich glückte dies. Inzwischen ist der zu großem Vermögen gelangte Albert Erich Wendel, getrieben von der Sehnsucht nach der Heimat, selbst nach Deutschland gekommen, um die einzige Verwandte, die er besitzt und die seine Erbin werden soll, in die Arme zu schließen. Leider erkrankte er kurz nach seiner Ankunft schwer und mußte in ein Sanatorium gebracht werden. Sein Wunsch ist nun, Sie recht bald bei sich zu sehen.«
So lautete der Inhalt der ersten Seite.
Als Rita jetzt das Blatt umschlug, fielen ihre Blicke sofort auf einen Hundertmarkschein, der durch zwei übergeklebte Papierstreifen auf der dritten Seite festgehalten wurde.
Mit atemloser Spannung beendete dann sie ihre Lektüre.
»Wir können Ihnen in Hinblick auf die Millionenerbschaft, die Ihrer wartet, nur raten, sofort, d. h. womöglich schon mit einem der nächsten Züge, nach Berlin zu kommen, zumal wir Ihnen nicht verhehlen wollen, daß es Ihrem Oheim nicht allzubest geht. Zu Ihrer Bequemlichkeit geben wir Ihnen als Nachtrag die betreffenden Schnellzüge an und fügen als Bevollmächtigte Albert Wendels einhundert Mark als Reisekosten usw. bei. Den Zug, den Sie benutzen werden, wollen Sie an Mr. Thomas Morrisson, Berlin, Bellevuestraße 8, 2. Etage telegraphisch melden, damit Sie vom Bahnhof abgeholt werden können. Um Ihrem Oheim den Ernst seiner Erkrankung zu verheimlichen, werden wir Ihnen noch hier in Berlin Verhaltungsmaßregeln mitteilen.
Von dem Inhalt dieses Schreibens lassen Sie am besten niemanden oder doch nur völlig vertrauenswürdige Personen etwas wissen. Es sind nämlich allerlei Machenschaften im Gange, die Ihnen die Erbschaft entreißen sollen. Ebenso verhalten Sie sich auf der Reise recht vorsichtig. Alles Nähere erfahren Sie mündlich. Bringen Sie sämtliche Papiere mit, die zu Ihrer Legitimation dienen können.
Th. Morrisson,
Erster Sekretär der Geheimabteilung.«
* * *
Wenige Minuten später stand Rita – oder besser Charlotte Wendel, wie wir das junge Mädchen jetzt nennen wollen, Frau Käti Deprouval gegenüber.
Diese saß mit von Weinen geröteten Augen in der von Blumen aller Art bestellten Fensterecke des kleinen Salons. In ihrem Schoß lag ein Brief, dessen Schrift die niederfallenden Tränentropfen hie und da halb verlöscht hatten.
Charlotte Wendel entging dies alles in ihrer großen Aufregung. Erst stockend, dann fließender beichtete sie dieser Frau, die ihr mehr Freundin als Brotherrin war, das Geheimnis ihres Lebens, sprach von ihrer Familie, von dem Tode ihres Vaters, von dessen Geständnis auf dem Sterbebett und schließlich auch von ihrem Entschluß, ihren Namen zu wechseln und fortan den einer ihr selbst unbekannten Rita Meinas zu führen, deren Papiere sie im Schreibtisch ihres Vaters gefunden hatte. Und dann zeigte sie der erstaunt zuhörenden Frau Deprouval den heute erhaltenen Brief und gab ihn ihr zu lesen.
»Sie sehen,« sagte sie in ihrer schlichten Art, »daß ich unbegrenztes Vertrauen nicht nur in Ihre Großherzigkeit habe, die es mir nicht nachtragen wird, daß ich unter einem angenommenen Namen in Ihr Haus gekommen bin, sondern auch in Ihre Verschwiegenheit, die ich vorläufig in dieser seltsamen Erbschaftsgeschichte bewahrt sehen möchte.«
Frau Käti schloß das junge Mädchen liebevoll in ihre Arme.
»Sie kennen mich, liebe Rita – nein, jetzt muß ich wohl Charlotte sagen –. Wie sollte ich Ihnen wohl etwas verargen, das ich vollständig begreife. Und meiner Diskretion sind Sie ebenso sicher. – Was gedenken Sie nun zu tun, Liebste?« fügte sie herzlich hinzu.
»Das, was meine Pflicht ist. Mein Vater hat seinem Bruder manch’ trübe Stunde bereitet, hat ihn eigentlich aus der Heimat vertrieben. Die Schuld meines Vaters an dem nach Möglichkeit gutzumachen, der mein einziger Verwandter, mein Onkel ist, halte ich für eine selbstverständliche Aufgabe, der ich mich ohne Säumen, unbeeinflußt von den etwaigen pekuniären Vorteilen, unterziehen möchte, – wohlverstanden, falls Sie es mir gestatten, sofort abzureisen.«
»Aber natürlich gestatte ich’s,« beeilte Frau Deprouval sich zu erwidern. – Und nach kurzer Pause fügte sie etwas verlegen hinzu … »Ich selbst habe ebenfalls die Absicht, München für einige Zeit, vielleicht für immer zu verlassen.« –
Bereits mit dem Mittagszuge reiste das junge Mädchen nach Berlin ab, nachdem mit ihrer Herrin verabredet worden war, daß diese ihr alles