Das Bildnis des Dorian Gray. ОÑкар УайльдЧитать онлайн книгу.
Streiten. Sag mir, hat Dorian Gray dich sehr lieb?« Der Maler überlegte ein paar Augenblicke. »Er hat mich gern«, antwortete er nach einer Weile, »ich weiß, dass er mich gern hat. Natürlich schmeichle ich ihm schrecklich. Ich finde ein schreckliches Vergnügen daran, Dinge zu ihm zu sagen, von denen ich weiß, dass sie mir später leidtun werden. In der Regel ist er reizend zu mir, und wir sitzen im Atelier und plaudern von tausenderlei Dingen. Hie und da jedoch ist er schrecklich gedankenlos und scheint eine richtige Freude daran zu finden, mir weh zu tun. Dann fühle ich, Harry, dass ich meine ganze Seele an einen hingegeben habe, der sie behandelt, als ob sie eine Blume fürs Knopfloch wäre, eine kleine Dekoration, seiner Eitelkeit damit zu schmeicheln, ein Schmuck für einen Sommertag.« »Im Sommer, Basil, ziehen sich die Tage manchmal lange hin«, erwiderte Lord Henry. »Vielleicht wirst du früher müde werden als er. Es ist eine traurige Sache, wenn man es bedenkt, aber es ist kein Zweifel, dass das Genie länger dauert als die Schönheit. Das erklärt die Tatsache, dass wir alle uns so damit quälen, uns mit Bildung vollzustopfen. In dem wilden Kampf ums Dasein wollen wir alle etwas haben, das dauert, und so füllen wir unsern Geist mit Schund und Tatsachen in der törichten Hoffnung, unsern Platz zu behaupten. Der durchaus wohl unterrichtete Mann, das ist das Ideal unserer Zeit. Und um den Geist des durchaus wohl unterrichteten Mannes ist es etwas Schreckliches. Er ist wie ein Antiquitätenladen, in dem es Ausgeburten aller Art und Staub gibt und jedes Ding über seinen wirklichen Wert ausgezeichnet ist. Ich glaube, du wirst trotzdem zuerst müde werden. Eines Tages wirst du deinen jungen Freund ansehen, und er wird dir ein bisschen verzeichnet vorkommen, oder du magst seinen Farbenton nicht oder so was. Du wirst ihm in deinem Herzen bittere Vorwürfe machen und ernsthaft der Meinung sein, er benehme sich sehr schlecht gegen dich. Wenn er dich das nächste Mal besucht, wirst du völlig kalt und gleichgültig sein. Es wird sehr schade sein, denn es wird dich ändern. Was du mir erzählt hast, ist völlig ein Gedicht, ein Gedicht von der Kunst möchte man es nennen, und das Schlimmste daran, ein Gedicht irgendeiner Art erlebt zu haben, ist, dass es einen so unpoetisch zurücklässt.«
»Harry, sprich nicht so. Solange ich lebe, wird die Erscheinung Dorian Grays Herr in mir sein. Du kannst meine Empfindung nicht nachfühlen. Du wandelst dich zu oft.«
»Ah, lieber Basil, genau darum kann ich sie nachfühlen. Menschen, die treu sind, kennen nur die gemeine Seite der Liebe: Die Treulosen sind es, die die Tragödien der Liebe erfahren.« Und Lord Henry zündete an einer wertvollen silbernen Büchse ein Streichholz an und begann mit selbstbewusster und zufriedener Miene, als ob er die Welt auf einen Satz gebracht hätte, eine Zigarette zu rauchen. Es war ein Lärmen von zwitschernden Sperlingen in den Blättern des Efeus, die von grünem Lack überzogen glänzten, und die blauen Wolkenschatten jagten wie Schwalben über das Gras. Wie lieblich war es in dem Garten, und wie reizend die Empfindungen anderer Leute! – viel reizender als ihre Ideen, schien es ihm. Des Menschen eigene Seele und die Leidenschaften seiner Freunde – das waren im Leben die fesselnden Dinge. Er malte sich in stiller Vergnüglichkeit das langweilige Frühstück aus, um das er gekommen war, weil er sich so lange mit Basil Hallward verweilt hatte. Wäre er zu seiner Tante gegangen, so würde er sicher dort Lord Goodbody getroffen haben, und die ganze Unterhaltung hätte sich um die Ernährung der Armen und um die Notwendigkeit gedreht, Musterarbeiterhäuser zu errichten. Menschen von allerlei Art hätten über die Wichtigkeit gerade der Tugenden gepredigt, für die sie in ihrem eigenen Leben keine Verwendung hatten. Der Reiche hätte vom Wert der Sparsamkeit gesprochen, und der Faule wäre über die Würde der Arbeit zum Redner geworden. Es war prächtig, alledem entgangen zu sein. Als er an seine Tante dachte, schien ihm ein Einfall zu kommen. Er wandte sich zu Hallward und sagte: »Mein Lieber, ich erinnere mich jetzt.«
»Woran erinnerst du dich, Harry?«
»Wo ich den Namen Dorian Grays gehört habe.«
»Wo war es?« fragte Hallward mit leichtem Stirnrunzeln.
»Blick nicht so ärgerlich drein, Basil. Es war bei meiner Tante Lady Agatha. Sie erzählte mir, sie habe einen prächtigen jungen Menschen entdeckt, der ihr im East-End helfen wollte, und er heiße Dorian Gray. Ich muss allerdings sagen, dass sie mir nie mitteilte, er sei schön. Frauen haben keinen Sinn für Schönheit, wenigstens gute Frauen nicht. Sie sagte, er sei sehr ernst und habe eine edle Seele. Ich malte mir für mich ein Geschöpf mit einer Brille und herabhängendem Haar aus, dessen Gesicht furchtbar mit Sommersprossen übersät war und der auf riesigen Füßen einhertrat. Ich wollte, ich hätte gewusst, dass er dein Freund ist.«
»Ich bin sehr froh, dass du es nicht wusstest, Harry.«
»Warum?«
»Ich will nicht, dass du ihn kennenlernst.«
»Du willst nicht, dass ich ihn kennenlerne?«
»Nein.«
»Herr Dorian Gray ist im Atelier«, sagte der Diener, der in den Garten heraustrat.
»Jetzt musst du mich vorstellen«, rief Lord Henry lachend.
Der Maler wandte sich zu dem Bedienten, der blinzelnd in der Sonne stand. »Bitten Sie Herrn Gray, er möchte warten, Parker; ich werde in ein paar Augenblicken kommen.« Der Mann verbeugte sich und ging ins Haus.
Dann schaute der Künstler Lord Henry an. »Dorian Gray ist mein liebster Freund«, sagte er. »Er hat eine einfache und edle Seele. Deine Tante hatte mit dem, was sie von ihm sagte, ganz recht. Verdirb ihn nicht! Versuche nicht, Einfluss auf ihn zu üben! Dein Einfluss wäre schlimm. Die Welt ist weit und birgt viele wundervolle Menschen. Entreiß mir nicht den einzigen Menschen, der meiner Kunst allen Zauber gibt, den sie besitzt: Mein Leben als Künstler hängt von ihm ab! Denk daran, Harry, ich verlasse mich auf dich.« Er sprach sehr langsam, und die Worte schienen ihm gegen seinen Willen entpresst zu werden.
»Was für einen Unsinn du redest«, sagte Lord Henry lächelnd, nahm ihn unterm Arm und führte ihn ins Haus.
Zweites Kapitel
Sie traten ein und erblickten Dorian Gray. Er saß am Klavier, wendete ihnen den Rücken und blätterte in einem Bande mit Schumanns Waldszenen. »Die musst du mir leihen, Basil«, rief er. »Ich will sie spielen lernen. Sie sind ganz entzückend!«
»Das hängt ganz davon ab, wie du heute sitzt, Dorian.«
»Oh, ich habe das Sitzen satt, ich brauche kein lebensgroßes Bild von mir«, antwortete der junge Mann und drehte sich nach Art eines eigenwilligen, launischen Knaben auf dem Klavierstuhl herum. Als er Lord Henry gewahrte, färbte ein schwaches Rot einen Augenblick seine Wangen, und er sprang auf. »Ich bitte um Entschuldigung, Basil, aber ich wusste nicht, dass jemand bei dir ist.«
»Das ist Lord Henry Wotton, Dorian, ein alter Freund von mir aus Oxford. Ich habe ihm eben erzählt, wie famos du sitzt, und jetzt hast du alles verdorben.«
»Mein Vergnügen, Sie kennenzulernen, haben Sie nicht verdorben, Herr Gray«, sagte Lord Henry, indem er auf ihn zuging und die Hand ausstreckte. »Meine Tante hat mir oft von Ihnen gesprochen. Sie sind einer ihrer Günstlinge und ich fürchte, auch ihrer Opfer.«
»Ich stehe zur Zeit bei Lady Agatha im schwarzen Buch«, antwortete Dorian und machte ein komisch bußfertiges Gesicht. »Ich versprach ihr, letzten Dienstag mit ihr in einen Klub in Whitechapel zu gehen, und ich habe es in der Tat völlig vergessen. Wir hätten zusammen vierhändig spielen sollen – drei Stücke, glaube ich. Ich weiß nicht, was sie zu mir sagen wird. Ich fürchte mich hinzugehen.«
»Oh, ich werde Sie mit meiner Tante versöhnen. Sie ist Ihnen überaus gewogen, und ich glaube nicht, dass es in Wahrheit etwas ausmacht, dass Sie nicht dort waren. Die Zuhörer dachten vermutlich, es sei vierhändig. Wenn Tante Agatha sich ans Klavier setzt, macht sie völlig genug Lärm für zwei Personen.«
»Das ist recht abscheulich gegen sie und nicht sehr hübsch gegen mich«, erwiderte Dorian und lachte.
Lord Henry sah ihn an. Ja, er war sicher wunderbar schön mit seinen fein geschwungenen Purpurlippen, seinen treuherzigen blauen Augen und seinem gewellten Goldhaar. Es lag etwas in seinen Mienen, das sofort Vertrauen hervorrief. Aller Schimmer der Jugend war da, und ebenso all