Sophienlust Staffel 8 – Familienroman. Diverse AutorenЧитать онлайн книгу.
meinetwegen schreien und das Schicksal anklagen – alles wäre besser als diese völlige Teilnahmslosigkeit, dachte er.
Immerhin setzte Achim an diesem Freitagabend seinen starken Willen durch. Isolde wählte ein dunkles Kleid, das ihr leider viel zu weit geworden war. Trotzdem sah sie schön aus, als sie gemeinsam das nette Einfamilienhaus am Stadtrand verließen. Ihr Haar war hoch aufgesteckt und schimmerte wunderbar.
»Ich bin stolz auf dich, Isolde«, flüsterte er ihr ins Ohr, als sie das kleine, exquisite Restaurant in der Innenstadt betraten, wo er einen Tisch hatte reservieren lassen.
Sie antwortete nicht auf das zärtliche Kompliment, sondern schaute starr geradeaus. Verstohlen sah Achim um sich – zu seiner Erleichterung waren keine Bekannten zu erblicken. Für Isolde hätte eine erzwungene Unterhaltung mit Freunden sicherlich eine Qual bedeutet, die er ihr ersparen wollte. Er war schon glücklich, dass es ihm heute gelungen war, sie zu diesem Ausflug in ein Lokal zu überreden.
Beim Essen sprachen sie kaum. Isolde kostete nur wenig von den Gerichten, die ihr Mann bedachtsam für sie ausgewählt hatte. Aber von dem roten Wein trank sie durstig.
»Maria Berger hat mich heute angerufen«, berichtete Achim wie beiläufig, weil er die Sprache schließlich irgendwie auf sein Thema bringen musste.
»So? Geht es ihr gut? Sie hat mir zweimal geschrieben. Aber ich kann mich nicht aufraffen, ihr zu antworten.«
»Bei Bergers ist alles in schönster Ordnung. Maria macht sich Gedanken um dich. Das ist es.«
»Maria meint es gut. Helfen kann sie mir leider nicht. Sie will mich einladen. Aber ich passe nicht in ein fröhliches Haus.«
»Inzwischen hat sie einen anderen Vorschlag gemacht, Isolde.«
»Warum lasst ihr mich nicht in Frieden?«, begehrte sie auf.
»Weil ich dich liebe, Isolde«, erwiderte Achim mit seltsamem Ernst. »Auch ich habe viel verloren mit unserer kleinen Renata. Jetzt möchte ich nicht auch noch dich und deine Liebe verlieren.«
Isolde schwieg. Aus ihrem starren Gesicht war nicht herauszulesen, was hinter ihrer blassen Stirn vor sich ging.
»Maria schlägt vor, dass du aufs Land gehst«, fuhr Achim mutig fort. »Es ist ein ehemaliges Herrenhaus mit dem romantischen Namen Sophienlust.«
Isolde verzog den Mund zu einem winzigen Lächeln. »Sophienlust ist Marias ganze Liebe. Sie spricht oft davon. Aber was soll ich dort? Es ist ein Kinderheim.«
»Nicht nur – es bietet auch Erwachsenen Erholung an. Frau von Schoenecker würde sich freuen, wenn du kämest.«
Isolde schüttelte den Kopf. »Das ist wieder so ein Plan, den ihr in guter Absicht hinter meinem Rücken geschmiedet habt. Marias Brüder sind damals von Pflegeeltern adoptiert worden. Wahrscheinlich soll ich mir in Sophienlust ein Kind auswählen, nicht wahr?«
»So weit sind unsere Überlegungen noch nicht gegangen, Isolde. Maria meinte lediglich, dass Frau von Schoenecker eine Frau sei, mit der du dich vielleicht aussprechen könntest.« Achim ging so diplomatisch wie möglich vor.
»Aussprechen kann ich mich mit keinem Menschen, Achim. Niemand versteht mich.« Wie müde ihre Stimme klang.
»Wenn ich dich nun bitten würde, es mir zuliebe wenigstens zu versuchen, Isolde?« Er legte seine Hand auf die ihre, die kalt war.
»Ich …, ich will es mir überlegen, Achim.«
»Wie lange brauchst du Bedenkzeit?«, drängte er.
»Bis morgen, Achim. Wenigstens bis morgen. Ich …, ich mag Renatas Zimmer nicht verlassen. Warum begreifst du das nicht? Wenn ich dort sitze, ist es manchmal, als lebte sie noch.«
Erschüttert wandte er das Gesicht ab, damit sie nicht sah, wie tief ihn ihre Worte trafen. Arme, arme Isolde! Sie wollte noch immer nicht den Tod des Kindes wahrhaben. Sie klammerte sich an ihre Träume. Das war verhängnisvoll und für ihren Gemütszustand sogar gefährlich.
Nachdem er die Gläser ein letztes Mal gefüllt hatte, brachen sie auf. Es war nicht sehr spät geworden. Am Himmel gingen eben die ersten Sterne auf.
»Schau, Liebste, wie schön«, sagte Achim, als er Isolde über die Straße zum Wagen führte.
»Aber unsere kleine Renata kann die Sterne nicht mehr sehen«, erwiderte sie bitter.
Am späten Abend und in der Nacht gab sich Achim alle Mühe, Isolde zu beweisen, dass er ihre Liebe brauchte und suchte. Sie versagte sie ihm nicht, aber es war, als halte er ein lebloses Wesen in den Armen. Ihre Seele war nicht bei ihm, obwohl ihre Körper eins waren.
»Wirst du nach Sophienlust gehen?«, fragte er leise.
»Wenn du es willst …«
Er zog sie noch einmal zärtlich an sich. »Ja, Isolde, ich bitte dich darum. irgendetwas muss geschehen, sonst gehen wir beide daran zugrunde.«
Hatte sie es selbst gespürt? Hatte sie erkannt, dass sie einander fremd wurden?
»Also gut, ich werde hinfahren. Wenn du möchtest, können wir das Wochenende dazu verwenden.«
»Danke, Isolde.«
*
»Ich finde die Sache höchst kriminell«, platzte Nick heraus.
Alexander von Schoenecker legte die Hand auf des Jungen Schulter. »Was denn, mein Sohn?«, erkundigte er sich.
Nick war soeben mit dem Fahrrad von Sophienlust nach Schoeneich gekommen. Seit zwei Tagen war er nicht mehr zu Hause gewesen, weil er seinen Aufenthalt in Sophienlust für unerlässlich gehalten hatte.
»Na, mit der Kleinen, die du gefunden hast, Vati. Das gibt es doch gar nicht, dass man ein Kind im Wald zurücklässt und sich nicht mehr darum kümmert. Wenn ich mir überlege, was ihr hätte passieren können …«
»Glücklicherweise hat Vati sie gefunden und mitgenommen«, erinnerte Denise ihren Sohn, der sich aufgeregt mit den Fingern durch das wellige dunkle Haar fuhr.
»Und die Polizei? Weiß sie vielleicht etwas? Irgendwo muss die Kleine doch vermisst werden. Sie heißt übrigens Micki.«
Denise und Alexander waren überrascht. »Micki? Wie hast du das herausgefunden? Die Polizei tappt noch völlig im Dunkeln. Vielleicht hilft der Name weiter.«
»Carola hat Kuchen ausgeteilt. Plötzlich streckte die Kleine die Hand aus und rief: Micki auch!«, berichtete Nick. »Also heißt sie sicher Micki!«
»Das ist anzunehmen«, stimmte Alexander ihm bei. »Allerdings ist das sicherlich ein Kosename. Wenn man wenigstens den Familiennamen wüsste.«
Nickt lachte ein bisschen. »Wir haben beschlossen, sie Micki Luftballon zu nennen. Heute habe ich ihr einen neuen geschenkt, weil der andere leider das Zeitliche gesegnet hat.«
»Vom Taschengeld gekauft?«, fragte Alexander anerkennend.
»Na klar! Kostet ja bloß zwanzig Cent. Aber ich muss morgen in einen anderen Laden gehen. Sie hatten nämlich nur noch einen einzigen blauen. Aber ihr hättet sehen sollen, wie die Kleine sich gefreut hat. Komisch, dass ihr ausgerechnet die sogenannte böse Tante einen Luftballon geschenkt hat.«
»Bist du der Tantengeschichte ein bisschen auf die Spur gekommen, Sherlock Holmes?«, erkundigte sich Alexander.
Nick rieb sich die Nase. »Ich glaube, es gibt zwei Tanten«, erklärte er nachdenklich, »eine böse und eine liebe. Der Luftballon stammt von der bösen. Das lässt sich Micki nicht ausreden.«
»Sollte man gar nicht annehmen – es sei denn, die böse Tante hat dem Kind den Ballon gegeben, um unbemerkt abfahren zu können. Dann wäre es eine geplante Aussetzung des kleinen Mädchens gewesen«, überlegte Alexander von Schoenecker halblaut.
»Höchst kriminell«, wiederholte Nick, da ihm dieser Ausdruck besonders zu gefallen schien. »Die liebe Tante soll von fremden Männern in einem Kasten fortgetragen