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Menschen, die Geschichte schrieben. Christine StroblЧитать онлайн книгу.

Menschen, die Geschichte schrieben - Christine  Strobl


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in Nordeuropa, speziell in der Hamburger Petrikirche von 1603. Doch schon vorher taucht das Attribut im protestantischen Schuldrama auf, z. B. im Lutherus Triumphator sive Reformationis Cygna: also „Schwan der Reformation“.

      Die Zuschreibung stammt von Luther selbst und erfuhr deshalb autoritative Geltung: „S. Johannes Hus hat von mir geweissagt, da er aus dem gefengnis ynn behemerland schreib, Sie werden itzt eine gans braten (denn Hus heisst eine Gans). Aber uber hundert iaren, werden sie einen schwanen singen horen, Den sollen sie leiden. Da solls auch bey bleiben, ob Gott wil“6. Bildlich ist die direkte Abstammungslinie von Hus her durch den Cranach-Holzschnitt von 1551 als reformatorisches Gedächtnisbild monumentiert. Er stellt die Spendung des Abendmahls unter beiderlei Gestalten an die Wettiner Kurfürsten gemeinsam durch Luther und Hus dar und zwar mit eingetragenen Namensnennungen. Zehn Jahre später wurden daraus Luther und Melanchthon am Kreuzaltar in dem erst jüngst bekannt gewordenen Wettiner Bekenntnistriptychon aus der Cranach-Werkstatt von 1561. Es entstand aus Anlass des zweiten Naumburger Fürstentages mit der neuerlichen Unterschreibung der Confessio Augustana.

      Für den bleibenden Bekanntheitsgrad der Hus-Vorläuferschaft bildet die erste Biographie Luthers aus der Feder eines seiner Wittenberger Schüler das literarische Quellenfundament. Dies war der schreibfreudige sächsische Prediger Johannes Mathesius (1504–1565), der sich als Ingolstädter Student 1527 der Reformation anschloss und an die Universität Wittenberg wechselte, um ab 1532 in der erzgebirgischen Bergbaugemeinde Joachimsthal zu wirken. Dort hielt er u. a. 17 Predigten, die 1566 erstmals zu Nürnberg im Druck erschienen unter dem Titel: Historien von des ehrwirdigen in Gott seligen thewren Manns Gottes D. Martini Lutheri Anfang, Lehr, Leben und Sterben. Sie bildeten mit ihren fünfzig(!) Auflagen fortan die wichtigste Quelle aller Forschungen zum Leben des Reformators. Mathesius hatte nochmals 1540/42 in Wittenberg studiert, um den Magistertitel zu erwerben und im Hause Luthers bisweilen zu den Tischgästen der später volkstümlich gewordenen Colloquia gezählt. Sie erschienen 1566, im selben Jahr wie seine richtungsweisenden Lutherhistorien, erstmals im Druck. Hier erhielt das imaginative Lutherbild seiner Anhänger im 16. Jahrhundert die endgültige Ausprägung.

      Zu Beginn der Reformation waren es noch traditionell katholische Attribute der Bildpublizistik, die Luther, den Mönch oder Professor ordinarius, wie einen Heiligen im Angesicht der Dreifaltigkeit oder des Schmerzensmannes vorstellten. Es existiert sogar ein Porträt mit Nimbus, was zwar allseits Ärgernis erregte, aber noch um 1600 in Buchillustrationen nachwirkte. In den Predigten des Mathesius verfestigte sich schließlich das protestantische Bild vom „teuren Gottesmann“ aus einem Guß zur übergroßen Prophetennatur. Mathesius verfolgte die apologetische Absicht, den Beweis zu führen, dass Luther „ein rechter christlicher Doktor und Ausleger der heiligen Schrift“ gewesen sei. Er feierte ihn darum in Anlehnung an ein frühes Humanisten-Epitheton für den Reformator als dritten Elias, also Vorläufer Christi entsprechend dem Johannes Baptista als zweitem Elias. Dies war seit den Leichenreden auf Luther im Jahre 1546 zum stehenden Vergleich geworden. David, Simson und Moses hießen die Vorbilder. Luther wurde der „Prophet Deutschlands“ (was die nationale Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts wieder aufgreifen sollte), der „treue Prophet Gottes“, der vorhergesagt und nun mit einem Male aufgetreten war.

      Die historischen Weissagungen und biblischen Rückverweise auf sein Kommen stammen alle schon aus der Frühzeit der Reformation. Mathesius hat sie zusammengefasst. Darunter ist der Bezug auf Hus erzählerisch besonders wirksam geworden. Luther hatte ihn selbst, wie wir schon gesehen haben, mehrfach hergestellt, was in der katholischen Ketzerpolemik deshalb zur Konstruktion einer leiblichen Verwandtschaft beider führte.

      Zwar nannte Mathesius Luther „seliges Werkzeugk“ oder „auserwähltes Rüstzeug Gottes“, ja sogar „Wundermann“, doch das war keineswegs im Sinne eines altkirchlichen Thaumaturgos, eines heiligen Wundertäters, gemeint, vielmehr predigte Mathesius ausdrücklich: „Weil nun Doctor kein neue lehre, sonder der alten Patriarchen, Propheten und Apostel bestettigte lehre herfür bracht, hat diß gegründte und bekrefftigte wort keiner neuen wunderzeychen bedürfft“7. Aber es klingt auch bei Mathesius Wunderbares an, wo er von seinen persönlichen Beziehungen zwischen Wittenberg und Joachimsthal spricht. Matthias Flacius Illyricus (1520–75), der erste Verfasser einer neuen achtbändigen Kirchenhistorie (1559–74), legte den Grund für biblische Bezüge in Aus- und damit Ansprüchen. Seine Geschichtstheologie sieht die Fehlentwicklung des Christentums durch Satans Eingreifen schon bald nach der Apostelzeit. Damit erscheint dann das endliche Auftreten Luthers in einzigartigem Licht und belegt darum alle späteren Nuancierungen seiner Lehre mit dem Makel neuerlichen Abfalls als Irrlehre und teuflische Verdüsterungen. Es lag hierin der Ansatz zu einer lutherischen Orthodoxie. Luther wurde der vom Heiligen Geist gelenkte Proto-Interpret des Gotteswortes. Die Bibel und Luthers Theologie verschmolzen damit zur Einheit, und Luthers Gestalt wuchs ins Übermenschliche.

      Die Folgen hat Ernst Walter Zeeden, der bahnbrechende Historiker der Konfessionsbildung, 1950/52 wie folgt benannt: „Noch stärker als im frühen war im späten 16. Jahrhundert das Lutherschrifttum von Legenden durchsetzt; es brachte Anekdoten, Geschichten und Wundererzählungen. Sie füllten und belebten die streng dogmatisch-eschatologische Konzeption, die man sich von der Reformation und dem Reformator gebildet hatte“8. In den Lutherpredigten des Cyriacus Spangenberg Cithara Lutheri, Mühlhausen 1570/71, finden sich die bei Mathesius noch nicht vorhandenen Epitheta: „Apostel, Evangelist, Paulus, Martyrer“. Georg Groccer deutete 1586 den Engel der Geheimen Offenbarung des Johannes (Apk. 14) auf Luther und sprach nun von ihm erstmals als einem Apostel, so dass bald auch die von katholischer Seite gerne aufgegriffene Kennzeichnung eines 5. Evangelisten in der Lehrpraxis Wirklichkeit wurde. Der Beweis seines göttlichen Ursprungs sollte schließlich sogar aus der Heiligen Schrift geführt werden, eben mit der weiter ausgebauten apokalyptischen Deutung vom Ende und der Erfüllung der Tage, worin sich der geschichtstheologisch gespannte Bogen zum System schloss.

      Dies bedeutete nach Zeeden, „daß man Luther gar nicht beurteilte, sondern ihn (und das hieß vor allem seine Lehre) an einen Ort entrückte, wo man ihn gar nicht mehr kritisiert, sondern nur noch anbetet: ins Heiligtum und ins Geheimnis Gottes. Man war so weit gegangen, daß man nicht mehr aus derselben Quelle schöpfte wie der Reformator, sondern das Quellwasser nur durch seine Vermittlung empfing; ja daß man sogar alles verschmähte, was zuvor nicht durch seine Hände gelaufen war“.9 Dies erweisen alle um 1600 öffentlich monumentierten Schriftbelege, wenn sie stets in Lutherzitate eingebaut erscheinen, also von ihm nochmals legitimiert waren. Wir werden noch entsprechende Bekenntnisbilder dazu benennen. Das Konkordienbuch von 1580 vollendete diese Entwicklung: „Hier wie in dem herangezogenen Lutherschrifttum machte sich dasselbe Phänomen der Erhebung Luthers zum Kirchenvater bemerkbar. Seine Autorität wuchs ins Unantastbare. Das war der Beginn der Kanonisierung.“10 Mir hat vor knapp vierzig Jahren ein damals jüngerer Erlanger Exeget gesagt, er habe diese Konkordienformel als gültiges Corpus doctrinae, das heißt die dogmatische Autoritätsschrift beschwören müssen, um den Lehrstuhl in Besitz nehmen zu dürfen. Im reformierten Heidelberg wird das, wie wir zur Zeit am heftig diskutierten Fall des Exegeten Klaus Berger erleben, offenbar jahrzehntweise unterschiedlich gehandhabt.

      DAS KATHOLISCHE LUTHERBILD DES 16./17. JAHRHUNDERTS IM GEGENSATZ ZUR KANONISIERTEN VITA

      Wenn wir nun dagegen das katholische Lutherbild jener Zeit stellen, von dem wir bislang nur nebenbei einige Hinweise erwähnt haben, dann werden uns die Imaginationen der sogenannten Lutherlegende in ihrer literarischen Struktur noch deutlicher, denn sie ist ohne die verunglimpfenden Unterstellungen der Gegengeschichten nicht denkbar. Ich spreche bewusst nicht von Legenden im Plural oder im umgangssprachlichen Verständnis von unwahren Geschichten, sondern von der literarischen Gattung Legende, die „Heiligenvita“ meint. Mathesius hatte, wie wir gesehen haben, nicht ohne Grund in Kenntnis der Schriften des Cochläus den fortlaufenden, chronikalisch belegbaren Beweis, wie er selbst sagt, führen wollen, dass Leben und Werk des wahren Gottesmannes übereinstimmen, weil die Gegenseite in ihrer Ketzerpolemik eine in sich schlüssig erscheinende Dämonologie verbreitet hatte. „Apologia und Schutzrede“ nennt Mathesius daher seine Predigten.

      Nun muss man allerdings für die generelle Beurteilung dieser wechselseitigen narrativen Auslassungen


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