Dr. Norden (ab 600) Jubiläumsbox 5 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
mochte aber auch die Angst mitgespielt haben, daß Beate und Janine hätten sterben können und sie so ihre Schuldgefühle niemals losgeworden wäre, denn sie war überzeugt, daß sie falsch reagiert hatte, als das Motorrad angeschossen gekommen war. Sie erinnerte sich an Beates warnenden Ausruf. Allerdings sagte Helmut ihr dann, daß die Untersuchung erwiesen hatte, daß sie frontal mit dem entgegenkommenden Auto zusammengestoßen wäre, wenn sie nicht nach rechts ausgewichen wäre und die Folgen dann noch schlimmer hätten sein können.
Manchmal plagten sie nachts noch Angstträume, in denen sich der Unfall wiederholte, aber dann war ihr Mann da und beruhigte sie. Sie hatte sich ihm nie so verbunden gefühlt wie jetzt. Ihr Zusammenleben gestaltete sich viel harmonischer, ihre Zuneigung war wieder erwacht und Beate war überglücklich über diese Entwicklung.
Ellen Binder hatte Janine einmal besucht, Andy aber nicht beachtet, der sich schnell zu Beate ans Bett gesetzt hatte. Für Beate hatte sie kein einziges Wort gefunden. Sie hatte Janine erklärt, daß sie für längere Zeit nach Marbella gehen würde, wo sie einen Club leiten könne, sie müsse schließlich Geld verdienen, da ihre Abfindung aufgebraucht sei und Janine nicht mehr bei ihr leben wolle.
Janine sagte zuerst nichts, aber als Ellen ihr vorwarf, daß sie es ja meisterhaft verstanden hätte, sich auf ihres Vaters Seite zu schlagen, wehrte sie sich.
»All die Jahre habe ich nur durch Beate und ihre Eltern so was wie eine Familie gehabt, da du ja nie Zeit hattest! Von Papa bekam ich auch nur Geld! Erst durch den Unfall hat er eingesehen, daß er sich zu wenig um mich gekümmert hat. Er hat seine Familie, und ich habe meine Familie gefunden. Du gehst doch vor allem deshalb fort, um dich davor zu drücken, um nicht erleben zu müssen, daß ich vielleicht im Rollstuhl sitzen muß. Vor dieser Tatsache kann ich nicht die Augen verschließen.«
Es war das erste Mal, daß sie aussprach, was eigentlich noch nie erörtert worden war. Beate hielt den Atem an, und Andy preßte die Lippen aufeinander.
»Du hast ja Freunde, die dir mehr bedeuten als ich«, erregte sich Ellen. »Eine Familie hast du, wie du sagst. Du brauchst mich nicht.«
»Nein, ich brauche dich nicht. Dir wäre ich nur eine Last. Nun ist alles gesagt, was noch zu sagen war. Adieu.«
»Es tut mir leid, daß du so denkst!« stieß Ellen hervor. »Ich hoffe, daß du bald genesen bist und mich in Marbella besuchen kannst.«
Wenigstens diesen Abgang wollte sie sich verschaffen!
Janine verzog jedoch keine Miene und schloß die Augen, als Ellen ging.
Minutenlang herrschte Schweigen. Andy hatte sich wieder zu Janine ans Bett gesetzt, aber auch er wußte nicht, was er sagen sollte. Es war Beate, die dazu die Kraft fand.
»Du wirst nicht wirklich denken, daß du für immer an den Rollstuhl gebunden sein wirst?« sagte sie mit erzwungener Ruhe.
»Denkt ihr es nicht auch und wollt mich nur schonen? Wir brauchen uns nicht zu belügen. Ich muß den Tatsachen ins Auge sehen.«
»Für mich ist es keine Tatsache«, sagte Beate. »Du kannst natürlich resignieren und kapitulieren, aber ich werde nicht zulassen, daß du aufgibst. Du bist nicht querschnittgelähmt. Die Ärzte rätseln, woher die Lähmung kommt, das ist die Wahrheit, sie wollen dich nicht täuschen. Wir werden bald nach Gut Neuenwied kommen zu Dr. Albrecht.«
»Der kann auch keine Wunder vollbringen«, sagte Janine.
»Wir werden auf seine Therapie setzen, und sag jetzt bloß nicht, daß ich gut reden habe. Bei mir dauert es auch noch, bis ich wieder fit bin, aber ich will es, weil ich dir helfen will. Wir alle wollen dir helfen, Janine. Du könntest uns doch den Vorwurf machen, daß es mit unserem Wagen passiert ist und weil Mama am Steuer saß. Sie macht sich darüber genug Vorwürfe.«
»Das ist Unsinn. Wenn es dich beruhigt, Bea, ich gebe nicht auf.«
»Mich beruhigt es auch«, sagte Andy heiser. »Ich habe mich schon genau erkundigt und es mir angesehen. Es ist wunderschön dort und wenigstens nicht so weit von hier, daß ich euch nicht besuchen könnte. Es ist wirklich eine ganz besondere Therapie, denn es gibt dort Pferde.«
»Das ist wunderbar für Beate«, sagte Janine.
»Es gibt dort auch eine Schwimmhalle mit warmem Quellwasser«, sagte Andy, »aber ihr werdet bald alles sehen.«
»Aber du kannst nicht jeden Tag bei mir sein«, sagte Janine leise.
»Ich werde jeden Tag an dich denken, außerdem gibt es dort Telefon!«
Er legte den Arm um sie. »Und nächstes Jahr werden wir heiraten.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nur wenn ich nicht gelähmt bleibe.«
»Das werden wir ja sehen.«
*
Das ist wirklich Liebe, dachte Beate. Werde ich so etwas jemals erleben? Sie dachte daran, wie sich Janine und Andy zum ersten Mal gesehen hatten. Sie war zuerst konsterniert gewesen, daß Janine sofort so vertraut mit einem Jungen sprach. Eigentlich war Andy ja schon ein Mann, aber er war so jungenhaft und für ihn war Janine auch das erste Mädchen, das ihm sofort gefiel. Es war tatsächlich Liebe auf den ersten Blick gewesen. Nun hatte das, was vor einem knappen Jahr begonnen hatte, schon die erste große Bewährungsprobe überstanden.
Für Beate gab es keinen Zweifel, daß die beiden für immer zusammenbleiben würden, ganz gleich, wie es bei Janine mit der Genesung weitergehen würde. Sie konnte sich nur darüber freuen. Neidgefühlte kannte sie nicht, die hatte es zwischen ihr und Janine nie gegeben. Ihr hatte es nur weh getan, wie Janine von ihrer Mutter behandelt wurde und Ellen Binder nicht ein freundliches Wort für sie selbst gehabt hatte, obgleich sie doch nun schon so viele Jahre unzertrennlich mit Janine verbunden war.
Dieser Abschiedsauftritt war Beate unter die Haut gegangen, hatte sie nachhaltiger getroffen als Janine selbst. Jetzt, da Inge sich so vorteilhaft wandelte, wurde es ihr doppelt bewußt, wie bedeutungsvoll eine innige Bindung an die Eltern sein konnte. Wahrscheinlich hatte Janine Andy so schnell ihr ganzes Herz geschenkt, weil er ihr diese Art von Liebe schenkte, die sie immer vermißt hatte. Freundschaft und Liebe waren eben doch ein Unterschied, obgleich sich Beate durchaus bewußt war, daß Freundschaft auch zwischen Mann und Frau manchmal beständiger sein konnte als Liebe.
Nach dem langen Klinikaufenthalt freute sie sich nun wieder darauf, frische Luft atmen zu können. Sie war schon neugierig, was es mit dieser ganz besonderen Therapie auf sich hatte.
Helmut Hendriks wollte die Mädchen selbst hinbringen. Er hatte wieder einen großen bequemen Wagen. Ganz schüchtern hatte Inge angefragt, ob sie auch mitkommen könne. Niemand hatte etwas dagegen, aber Janine wollte vorn sitzen, weil da mehr Platz war und sie besser hineingehoben werden konnte.
Alle hatten Sorge, daß sie Angst hatte, sich wieder in ein Auto zu setzen, aber sie verzog keine Miene. Es war bewundernswert, wie sie ihren derzeitigen Zustand hinnahm.
Daß sie so umsorgt wurde, war besonders beglückend für sie, da sie es ja nie zuvor erlebt hatte.
Sie sollte auch du zu Inge und Helmut sagen. Sie fragte, wie sie sie denn nennen dürfe.
»Mit dem Vornamen, wenn wir dir nicht zu alt sind«, sagte Helmut. »Tante und Onkel können wir uns wohl sparen.«
Beide waren sie tief gerührt, als Janine sagte: »Das Unglück hat mir eigentlich Glück gebracht. Ich habe eine Familie, und Andy ist mir treu geblieben.«
Niemand versuchte, ihr Andy auszureden, auch ihr Vater nicht, der heilfroh war über diese Entwicklung, die sein Gewissen doch beruhigte. Natürlich kam er für alle Kosten auf, und Janine bekam auch ihre großzügigen monatlichen Geldüberweisungen weiterhin. Daß Ellen ihre Dachterrassenwohnung heimlich verkauft hatte, erfuhr er erst später. Janines persönliche Sachen standen beim Hausverwalter zur Abholung bereit, das hatte dieser Rainer Binder mitgeteilt, der noch einmal eine Mordswut auf Ellen bekam, weil sie sich so aus dem Staub gemacht hatte.
Janine machte das alles nichts aus. Bei ihr hatte der Unfall bewirkt, daß sie ein völlig