Gesammelte Werke von Joseph Conrad. Джозеф КонрадЧитать онлайн книгу.
wissen? Vielleicht hatte er gehofft, sich durch den Denkzettel, den er mir zu geben gedacht hatte, rehabilitieren zu können, sich zu befreien? Wer kann sagen, welche Erleichterung er von der Möglichkeit solcher Züchtigung erwartet hatte? Er war naiv genug, alles zu erwarten; doch hatte er sich in diesem Fall für nichts und wieder nichts bloßgestellt. Er hatte sich – vor sich selbst – und noch dazu vor mir – gehen lassen, in der wilden Hoffnung, auf diese Weise zu einer wirksamen Widerlegung zu gelangen, und die Sterne waren ihm nicht günstig gewesen. Er gab einen unartikulierten Laut von sich, wie ein Mann, der von einem Schlag auf den Kopf betäubt worden ist. Es war zum Erbarmen.
Ich fing erst wieder mit ihm zu reden an, als wir ein gutes Stück vom Gartenzaun entfernt waren. Ich mußte sogar ein wenig laufen, um ihm nachzukommen; doch als ich, außer Atem, die Ansicht aussprach, daß er weglaufe, rief er: »Niemals!« und stellte sich sofort. Ich erklärte, daß ich gemeint hatte, er wolle vor mir ausreißen. – »Vor niemand – vor keinem einzigen Mann auf Erden«, sagte er mit trotziger Miene. Ich vermied es, auf die eine klar ersichtliche Ausnahme hinzuweisen, die auch der Tapferste unter uns gelten lassen würde; ich dachte, er würde selbst bald genug dahinterkommen. Er sah mich geduldig an, während ich mir überlegte, was ich sagen könnte; doch konnte ich in der Eile nichts finden, und er schickte sich an, weiterzugehen. Ich hielt Schritt mit ihm, und um ihn nicht zu verlieren, sagte ich hastig, daß ich es nicht ertragen könnte, ihm einen falschen Eindruck zu hinterlassen von meiner – meiner… Ich stammelte. Die Abgeschmacktheit des Satzes bestürzte mich, während ich versuchte, ihn zu Ende zu bringen; doch die Kraft des gesprochenen Worts hat nichts mit dem Sinn oder der Logik des Satzbaus zu tun. Mein idiotisches Gestammel schien ihm zu gefallen. Er unterbrach mich, indem er mit höflicher Ruhe, die von ungewöhnlicher Selbstbeherrschung oder seltener geistiger Spannkraft zeugte, einwarf: »Der Irrtum war ganz und gar auf meiner Seite.« Ich war höchlich verwundert über diese Redewendung: sie hätte sich auf irgendein unbedeutendes Vorkommnis beziehen können. Begriff er nicht ihre klägliche Bedeutung? »Verzeihen Sie mir nur«, fuhr er fort und fügte noch ein wenig mißmutig hinzu: »All die Leute, die mich da drin anstarrten, waren so albern, daß es wohl hätte so sein können, wie ich annahm.«
Dies ließ ihn mir plötzlich in einem neuen Lichte erscheinen. Ich sah ihn mit neugierigen Blicken an und begegnete seinen voll aufgeschlagenen, undurchdringlichen Augen. »Ich kann etwas Derartiges nicht einstecken, und ich will es auch nicht«, sagte er schlicht. »Vor Gericht ist es anders; da muß ich stillhalten – und da geht es auch.«
Ich behaupte nicht, daß ich ihn verstand. Die Einblicke, die er mir in sein Wesen gewährte, waren wie die flüchtigen Blicke durch die Risse in einem dicken Nebel, die Bruchstücke und Einzelheiten einer Gegend enthüllen, ohne ein zusammenhängendes Bild von ihrem allgemeinen Charakter zu geben. Sie erregen Neugierde, ohne sie zu befriedigen; sie haben keinen Wert für die Orientierung. Alles in allem genommen, führte er einen in die Irre. Das war der endgültige Eindruck, den ich von ihm behielt, als er mich spätabends verlassen hatte. Ich wohnte seit ein paar Tagen im Malabar-Haus, und auf meine dringende Einladung hatte er dort mit mir gespeist.
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