Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob WassermannЧитать онлайн книгу.
am Brunnen die Hände zu waschen. Da trat die »Schaffnerin,« wie man Frau Leuthold auf dem Gut schon nannte, zu ihm heran und fragte: »Sind Sie denn traurig, Herr Tarnow?«
Ihre Stimme, so nah, machte ihn aufmerksam, doch in einer ungewohnten Weise, als lauschte er dem, was hinter der Stimme sei. Er errötete und vermochte nicht zu antworten, sie tippte mit einem Zweig, den sie in der Hand hielt an seine Ohren und flüsterte schelmisch: »Na, bin ich denn so schrecklich, daß man mir gar nicht antwortet?«
Tarnow hatte seine Fassung wieder gewonnen und entgegnete in der bescheidenen Art, die ihm stets eigen war: »O nein, ich finde Sie nicht schrecklich. Ich bin immer Ihr ergebener Diener.« Wieder begegnete er jenem sirenenhaften Blick, der diesmal ihm selbst galt und vor dem er die Augen niederschlug wie ein Knabe.
Als sie ihn verlassen hatte, schritt er gegen die Scheune und ließ einen leisen Pfiff ertönen. Darauf sprang der Kater vom Boden der Scheune, ging zu seinem Herrn und rieb sich schnurrend an den langen Stiefelschäften. Dann trabte er wohlgemut in gewohnter Weise hinter Tarnow her, der in tiefen Gedanken hinauswandelte in die dunkelnden Felder.
III.
Die Schaffnerin saß, mit einer Näharbeit beschäftigt, in dem großen Wohnzimmer. Es war am Nachmittag und schwer lag die Luft über dem Thal. Von den Exerzierstätten klang der dumpfe Trommelwirbel übender Tamboure herüber, und von den tiefliegenden Stromufern hörte sie das Knattern der Platzpatronen. Bisweilen hielt sie ein in ihrer Arbeit und blickte wie erwartend nach der Thüre. Wenn sie allein war, so war der Ausdruck ihres Gesichts ganz stumpf, die Augen, unleuchtend und ohne Bewegung, blickten müde und erinnerten an die eines Haustiers: und obwohl ihr Gesicht etwas Liebliches hatte und ihr Teint sehr zart war, wurde dies unwirksam durch die sonderbare Stirn, die eine Lügnerstirn war.
Als sie geraume Zeit, bald arbeitend, bald sinnend, gesessen war, wurde die Thüre aufgerissen und der Amtmann kam herein. Er setzte sich in einen Winkel, der Schaffnerin gegenüber und versuchte den Rhythmus der fernen Trommeln nachzupfeifen.
»Was giebt’s?« fragte die junge Frau, indem sie einen prüfenden Blick in sein Gesicht warf.
Er lachte leise und zischend. »Jetzt willst du wohl, daß ich dich heirate, Fannychen?« sagte er plötzlich und legte sein Gesicht in kindische Falten.
»Ich? Nein, Truchs. Ich nicht. Das weißt du gut genug.«
»Also suchst dir wohl einen andern zum Heiraten?«
»Warum, Truchs? es muß ja nicht geheiratet sein.«
»Es muß nicht. Sehr richtig. Das war einmal vernünftig, sehr vernünftig. Ein Feldwebel findet sich ja auch nicht alle Tage und noch weniger ein Gutsverwalter, häh.«
»Wieso ein Feldwebel?«
»Na, dein erster war doch Feldwebel oder sowas. Was Leutholdin?«
»Du führst so bittere Reden, Truchs. Wo willst du hinaus? Was willst von mir? Heiraten willst mich nicht. Loslassen willst mich auch nicht, also was willst du, Truchs? Sag’s doch lieber gleich, daß ich mich darnach richten kann. Ich fürcht mich manchmal vor dir.«
»Das ist gut, Leutholdin. Das ist gut, wenn einen die Weiber fürchten. Aber heiraten will ich dich nicht, das schwör ich dir zu. Ich will eine Reiche heiraten, jetzt, wo ich säßig geworden bin, eine aus der Gegend da. Und offen gestanden Fanny« – der Amtmann stand auf und trat ganz nahe zur Schaffnerin – »offen gestanden, ich hab dich zu gern, als daß ich dich heiraten möchte. Wenn ich dir das aus freiem Willen sag, kannst du’s glauben. Sakerment, wenn ich dich heirat, verlierst deine runden Backen, Fanny. Aber such dir doch einen. Wenn er gut und dumm und blind ist, kannst ihn heiraten. Ich hab nichts dagegen.«
»Das sagst du jetzt, Truchs. Aber ich will’s auch. Das Leben vor den Leuten taugt mir nicht. Schließlich merken sie’s ja doch. Und die sechzig Mark, die mir der Generalleutnant giebt, reichen kaum für die Kleider. Geh jetzt weg von mir, Truchs, die Leut’ sehn uns ja vom Hof aus.«
Das Gesicht des Amtmanns wurde finster und verzerrt. »Die Leut,« preßte er mit vorgebeugtem Kopf zwischen den Zähnen hervor, »die Leut scheren mich einen Pfifferling. Hier hat jeder zu thun, was ich will! Hier bin ich Herr. Verstehst du? Steh auf und küss’ mich!«
Die Schaffnerin, die voll Furcht, mit weitgeöffneten Augen, den Amtmann angestarrt hatte, erhob sich fast mechanisch und drückte einen hauchenden Kuß auf Truchs Kinn.
»Fester!« gebot der Amtmann.
Sie gehorchte.
Es klopfte an der Thür und auf den Ruf des Amtmanns trat Tarnow ein.
»Ah, guten Tag, lieber Tarnow,« sagte Truchs freundlich; er hatte den Wirtschaftsschreiber erst vor wenigen Minuten im Bureau verlassen.
»Die Libuhn geht nach der Stadt, Herr Amtmann, und fragt, ob sie von Ihnen aus etwas besorgen soll.«
»Für mich, Herr Tarnow!« rief die Schaffnerin mit auffallendem Eifer. »Ich brauche Nähgarn und Stopfwolle.«
»Nähgarn und Stopfwolle,« murmelte Tarnow, indem er aus seinem Notizbuch ein Blatt riß. »Sonst etwas?« Tarnow öffnete die Thür, der Amtmann drehte sich um und sagte, er solle nachher wieder herein kommen und mit Kaffee trinken.
Fanny deckte den Tisch und holte die Tassen. Der Amtmann stand am Fenster und trommelte den Wirbel der Tamboure an die Scheiben. Er wandte den Kopf, um etwas zu sagen, sah aber niemand im Zimmer. Er durchschritt den Raum, um in die Küche zu gehen. Man mußte da durch den ganzen steingepflasterten Flur, bis dahin, wo er sich gegen den Hof zu erweiterte. Dort war die Küche, die sehr groß war und, weil sie eine weite Esse hatte, einer Schmiede glich. Der Amtmann blieb am Ende des schmalen Ganges stehn. Er konnte von hier aus ein kleines Stück der Küche überblicken. Die Schaffnerin saß auf dem zugedeckten Backtrog und blickte beharrlich auf ihre Schürze. Vor ihr stand Tarnow, hielt den Kopf tief gesenkt und seine Hände lagen auf dem Rücken. Der Amtmann strich mit festaneinandergedrückten Fingern ein paarmal über die Schläfenhaare und kehrte wieder um. Als ihm die Libuhn, fein herausgeputzt, begegnete, trat er zur Seite, verbeugte sich ein paarmal und näselte affektiert: »Ah, mein Fräulein, in die Stadt, wa? Verabredung mit dem Schatz, wa? Messe besuchen, hä? Haben Fräulein denn die Erlaubnis dazu?«
Das Mädchen heftete den Blick erschrocken auf Truchs. »Der Herr Tarnow –« stammelte sie scheu.
»Bataillon kehrt marsch!« fuhr der Amtmann auf. »Dageblieben! Den Schlendrian hab ich satt.« Er lachte bitter und ließ die heulende Magd stehen. Sie dachte an Stauff, der sie nun umsonst vor dem Cirkus erwartete. Und draußen flutete der glänzende Sonnenschein! Am Meß-Montag ist sonst immer Feiertag gewesen, dachte sie bekümmert, als sie sich in eine dunkle Ecke der Scheune verkrochen hatte, um dort nach Herzenslust weiter zu schluchzen.
Die drei im Wohnzimmer nahmen am Kaffeetisch Platz. Nach einem langen und seltsamen Schweigen, das nur durch Tassengeklapper unterbrochen wurde, wandte sich der Amtmann an Tarnow. »Nun sagen Sie mal, mein lieber Tarnow,« begann er mit freundlichem Augenzwinkern und richtete den Zeigefinger wie einen Pfeil gegen seine Nasenspitze, »Sie sind doch so ein hübscher Mensch und jung sind Sie auch, kaum dreißig, und ein angenehmes, sanftes Wesen haben Sie, – gewiß, gewiß –! nun sagen Sie, waren Sie denn noch nicht verliebt?«
Tarnow errötete und schüttelte lächelnd den Kopf.
»Nein, sagt er! Haben Sie’s gehört, Fanny? Nein, sagt er!« rief der Amtmann, ganz außer Rand und Band vor Freude und stieß die Schaffnerin in die Seite. »Er lügt, er muß lügen,« fuhr er heftig gestikulierend fort. »Er ist ein Heuchler, ein Windhund. Ein Schuft ist er, weil er lügt.«
Tarnow sah den Amtmann fest und erwartungsvoll an. Er hatte ein Gefühl wie vor einer ungreifbaren Gestalt, die sich windet wie ein Rauch und in Nichts verfließt, wenn man die Arme nach ihr streckt.
»Wollen