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Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo TolstoiЧитать онлайн книгу.

Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi - Leo Tolstoi


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Strömungen des Volkslebens, dessen Quellen uns oft verborgen bleiben, erlangten hier eine ganz besondere Kraft. Zwanzig Jahre früher zum Beispiel waren die Bauern von Bogutscharowo, durch andere verleitet, in Massen ausgewandert, wie Zugvögel. Sie zogen nach Südosten, wo es Flüsse geben sollte, deren Wasser beständig warm war. Hunderte von Familien verkauften alles, was sie besaßen, und verließen ihre Heimat. Manche hatten sich losgekauft, andere waren entflohen. Viele dieser Unglücklichen wurden grausam bestraft und nach Sibirien geschickt, andere kamen unterwegs durch Hunger und Kälte um, die übrigen kamen nach Bogutscharowo zurück, und die Bewegung hörte auf, wie sie begonnen hatte, ohne erkennbare Ursache. Jetzt herrschte eine ähnliche Gärung unter den Bauern. Sie wurden durch geheimnisvolle Einflüsse heftig erregt, die nur eine günstige Gelegenheit erwarteten, um sich mit neuer Heftigkeit zu äußern.

      Alpatitsch war in Bogutscharowo wenige Tage vor dem Tode des alten Fürsten als Verwalter eingesetzt worden und bemerkte eine gewisse Aufregung unter den Bauern. Es hieß, die Kosaken zerstörten die Dörfer, welche von ihren Einwohnern verlassen wurden, während die Franzosen sie schonten. Alpatitsch wußte auch, daß ein anderer Bauer aus dem benachbarten Städtchen eine französische Proklamation mitgebracht hatte, worin gesagt war, die Franzosen werden alles bar bezahlen. Dabei zeigte er die Hundertrubelscheine vor, welche er für sein Heu erhalten hatte, er wußte aber nicht, daß das Papiergeld gefälscht war.

      Was aber das Wichtigste war – Alpatitsch erfuhr, daß die Bauern beschlossen hatten, die verlangten Pferde nicht zu stellen und das Dorf nicht zu verlassen. Und doch war keine Zeit zu verlieren. Seit dreißig Jahren war Dron Ältester von Bogutscharowo. Dron war eine jener in moralischer wie in physischer Beziehung starken Naturen, welche, einmal erwachsen, siebzig Jahre alt werden ohne ein weißes Haar, ohne Zähne zu verlieren, ebenso stark und rüstig wie mit dreißig Jahren. Niemals war er krank oder betrunken gewesen, niemals war nach harter Arbeit und schlaflosen Nächten Ermüdung an ihm zu bemerken. Er verstand nicht zu lesen und zu schreiben, aber niemals täuschte er sich in seinen Rechnungen. Dieser Dron erhielt also von Alpatitsch den Auftrag, zwölf Pferde für die Wagen der Fürstin Marie und achtzehn bespannte Karren für den Transport ihrer Sachen zu stellen.

      Aber Dron erwiderte, es seien keine Pferde da. Die einen hätten sie an die Krone vermietet und den anderen Bauern seien viele durch Anstrengung und schlechte Nahrung gefallen, es sei ganz unmöglich, die verlangten Pferde zusammenzubekommen.

      Erstaunt und aufmerksam betrachtete Alpatitsch Dron. Er war ebenso vortrefflich als Verwalter wie Dron als Ältester und begriff sofort, daß diese Antwort nicht die Ansicht Drons, sondern die der Gemeinde ausdrückte.

      »Höre, Dron«, sagte er, »mach keine Dummheiten! Der Fürst Andree hat mir befohlen, euch alle fortzuschaffen, damit ihr nicht mit dem Feind gemeinschaftliche Sache macht. Es ist sogar ein kaiserlicher Befehl da, wer bei dem Feind zurückbleibt, ist ein Verräter. Verstehst du?«

      »Ich verstehe«, erwiderte Dron, ohne die Augen aufzuschlagen. Doch Alpatitsch war damit nicht zufrieden.

      »Dron, es wird schlimm«, fuhr er fort. »Ich sage dir, sei nicht eigensinnig! Ich durchschaue dich durch und durch, bis drei Ellen unter den Fußboden. Also sage ihnen, sie sollen sich auf den Weg nach Moskau machen, und die Fahrzeuge müssen morgen bereit sein.«

      »Was soll ich machen?« erwiderte Dron. »Die Leute nehmen nicht Verstand an, was ich ihnen auch sagen mag.«

      »Gut, also höre, ich gehe zum Landpolizeimeister, und du gehst zu den Bauern und sagst ihnen, sie sollen nicht mehr an solche Dummheiten denken und die Wagen liefern.«

      »Gut«, erwiderte Dron.

      Alpatitsch sprach nicht weiter über die Sache. Er wußte, daß es das beste Mittel war, diese Leute zu regieren, die Möglichkeit eines Widerstandes gar nicht zuzugestehen. Er schien also von Drons anscheinender Fügsamkeit befriedigt zu sein, machte sich aber bereit, ohne ein Wort darüber zu sprechen, die obrigkeitliche Gewalt herbeizurufen.

      Der Morgen kam, aber die Wagen nicht. Eine lärmende Versammlung vor der Dorfschenke hatte beschlossen, keine Wagen zu liefern und alle Pferde in den Wald zu schicken. Alpatitsch gab Befehl, die Wagen, welche seine Sachen von Lysy Gory herübergebracht, abzuladen und seine Pferde für die Fürstin bereitzuhalten.

      156

       Inhaltsverzeichnis

      Am 17. August machten Rostow und Ilin, begleitet von einer Ordonnanz und Lawruschka, einen Streifzug in der Nähe von Bogutscharowo, um die Pferde zu versuchen, welche Ilin gekauft hatte, und um nach Heu in der Nachbarschaft zu suchen. Seit drei Tagen standen die beiden Armeen in gleicher Entfernung von Bogutscharowo. Die russischen und französischen Vorposten konnten jeden Augenblick dort zusammentreffen. Rostow wünschte die Vorräte, welche sich wahrscheinlich dort befanden, für sein Regiment zu sichern.

      Rostow und Ilin versprachen sich überdies in heiterster Laune, sich mit den hübschen Kammerzofen zu amüsieren, welche wahrscheinlich in dem Landhause zurückgeblieben waren. Rostow ahnte nicht, daß dasselbe dem früheren Bräutigam seiner Schwester gehörte. Sie setzten ihre Pferde in Trab und erreichten bald die Scheune, um welche eine Anzahl Bauern sich gesammelt hatte. Einige derselben zogen die Mützen ab, andere gafften sie nur neugierig an. Zwei große, alte Bauern, deren faltige Gesichter einen dünnen Bart trugen, kamen in diesem Augenblick aus der Schenke und näherten sich laut singend den Offizieren.

      »Wer seid ihr?« fragte der eine Bauer.

      »Wir sind Franzosen«, erwiderte Ilin lachend, »und dieser da ist Napoleon!« Er deutete auf Lawruschka.

      »A bah, ihr seid Russen!« sagte der andere.

      »Seid ihr hier in großer Stärke?« fragte ein anderer.

      »Ja, in sehr großer Stärke«, erwiderte Rostow. »Aber was macht ihr denn da? Habt ihr heute Feiertag?«

      »Die Alten haben heute Gemeindeversammlung«, erwiderte der Bauer.

      In diesem Augenblick kamen zwei Frauen und ein Mann mit einem weißen Hut auf dem Kopf vom Herrenhaus her.

      »Die Rosafarbige gehört mir! Wehe dem, der sie anrührt!« rief Ilin, als er bemerkte, daß eine der beiden Frauen dreist auf ihn zukam. Dies war Dunjascha.

      »Sie gehört uns!« sagte Lawruschka, indem er Ilin ein Zeichen machte.

      »Was wünschen Sie, meine Schöne?« fragte Ilin lachend.

      »Die Fürstin möchte den Namen Ihres Regiments und den Ihrigen erfahren.«

      »Hier ist der Graf Rostow, Rittmeister, und ich bin Ihr ganz untertänigster Diener.«

      Dunjascha wurde von Alpatitsch begleitet, der schon die Mütze abgenommen hatte.

      »Darf ich wagen, Euer Wohlgeboren zu stören?« fragte er, indem er die Hand in seine Weste steckte mit einem Anflug von Geringschätzung, die wahrscheinlich durch die große Jugend des Offiziers hervorgerufen wurde. »Meine Herrin, die Tochter des Generals, Fürsten Nikolai Bolkonsky, der soeben gestorben ist, befindet sich in einer schwierigen Lage, infolge der Wildheit dieser Tiere«, fügte er hinzu, indem er auf die Menge Bauern deutete, die sie umgab. »Sie läßt Sie bitten, sie zu besuchen. Es sind nur wenige Schritte.«

      »Nun; was geht hier vor?« rief Rostow, lachend nach den betrunkenen Bauern hinüberblickend.

      »Ich habe die Ehre, Euer Exzellenz mitzuteilen, daß diese groben Menschen ihrer Herrin nicht erlauben wollen, das Gut zu verlassen, daß sie drohen, die Pferde auszuspannen. Alles ist eingepackt seit heute morgen, die Fürstin aber kann sich nicht auf den Weg begeben.«

      »Unmöglich!« rief Rostow.

      »Es ist die reine Wahrheit, Exzellenz!«

      Rostow stieg vom Pferde, übergab es seiner Ordonnanz und ging mit Alpatitsch auf das Haus zu, indem er ihn nach den Einzelheiten fragte. Es erwies sich, daß Dron sich entschieden auf die Seite der ungehorsamen Bauern gestellt


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