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Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo TolstoiЧитать онлайн книгу.

Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi - Leo Tolstoi


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Tisch, der mit Karten, Plänen und Bleistiften bedeckt war. Bennigsen eröffnete die Beratung durch die Frage: »Sollen wir ohne Kampf die geheiligte Residenz Rußlands aufgeben oder sie verteidigen?« Ein langes Schweigen folgte, alle blickten nach Kutusow. Auch Malascha sah nach Großväterchen, sie war ihm am nächsten und sah, wie sein Gesicht sich verzog, als ob er weinen wollte. Aber das dauerte nicht lange.

      »Die geheiligte, alte Residenz Rußlands«, wiederholte er plötzlich mit zorniger Stimme die Worte Bennigsens und zeigte dadurch die falsche Note darin. »Erlauben Sie mir zu bemerken, Erlaucht, daß diese Frage für einen Russen keinen Sinn hat! Eine solche Frage kann man nicht stellen, aber die Frage, wegen der ich diese Herren berufen habe, ist eine militärische Frage und lautet: ›Da die Rettung Rußlands in der Armee liegt – ist es vorteilhaft, den Verlust der Armee und Moskaus zu riskieren, indem man eine Schlacht annimmt, oder Moskau ohne Schlacht aufzugeben?‹ Das ist die Frage, über die ich Ihre Meinung zu hören wünsche.«

      Die Beratung begann. Bennigsen gab sein Spiel noch nicht verloren. Indem er die Meinung Barclays und anderer von der Unmöglichkeit, eine Verteidigungsschlacht in der neuen Stellung anzunehmen, anführte, schlug er vor, in der Nacht die Truppen von dem rechten auf den linken Flügel überzuführen und am anderen Tage den rechten Flügel der Franzosen zu überfallen. Die Meinungen waren geteilt, man sprach für und gegen diesen Plan, aber die meisten begriffen, daß dieser Kriegsrat den unvermeidliche Verlauf der Dinge nicht ändern konnte und daß Moskau bereits aufgegeben war. Malascha, welche mit Spannung verfolgte, was vorging, faßte die Bedeutung dieser Beratung anders auf, ihr schien es, daß es sich nur um einen persönlichen Kampf zwischen dem Großväterchen und dem Langschößigen handelte, wie sie Bennigsen nannte. Sie sah, daß sie sich erbosten, wenn sie miteinander sprachen, und innerlich trat sie dem Großväterchen zur Seite. Während des Gesprächs bemerkte sie einen raschen, listigen Blick des Großväterchens nach Bennigsen und darauf sah sie zu ihrer Freude, daß Großväterchen dem Langschößigen etwas sagte, was diesen ärgerte.

      »Ich kann dem Plan des Grafen nicht beistimmen«, sagte Kutusow. »Eine Bewegung der Truppen in solcher Nähe des Feindes ist immer gefährlich.« Die Beratung wurde erneuert, aber es traten häufige Pausen ein und es war ersichtlich, daß weiter nichts mehr zu sprechen war.

      »Ich sehe, meine Herren, ich muß für die zerschlagenen Töpfe bezahlen«, sagte Kutusow und trat zum Tisch. »Meine Herren, ich habe Ihre Meinung gehört, von welchen einige nicht mit mir übereinstimmen. Ich aber« – er hielt an –, »kraft der Gewalt, die mir von Kaiser und Vaterland anvertraut wurde, befehle ich den Rückzug!«

      Darauf trennten sich die Generale feierlich und schweigend, wie nach einem Begräbnis. Einige derselben machten dem Oberkommandierenden Meldungen in ganz anderem Tone als während des Kriegsrats.

      Als Kutusow allein geblieben war, dachte er lange über die schreckliche Frage nach: »Wann? Wann fiel die Entscheidung, daß Moskau aufgegeben werden muß, und wer ist schuld daran?«

      »Das habe ich nicht erwartet«, sagte er zu dem Adjutanten Schneider, welcher mitten in der Nacht eintrat.

      »Sie müssen ausruhen, Durchlaucht«, sagte Schneider.

      »Nein«, schrie Kutusow und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Sie müssen auch Pferdefleisch fressen wie die Türken! Wartet nur!«

      181

       Inhaltsverzeichnis

      Helene, welche mit dem Hof zugleich aus Wilna nach Petersburg gekommen war, befand sich in schwieriger Lage. In Petersburg erfreute sie sich des besonderen Schutzes eines hohen Herrn, der eine der höchsten Stellen im Kaiserreich einnahm, in Wilna aber war sie mit einem jungen, ausländischen Prinzen näher bekannt geworden. Als sie nach Petersburg zurückkehrte, waren der Prinz und der Minister beide dort, machten ihre Rechte geltend, und Helene stand jetzt vor der ihr noch neuen Aufgabe, ihre Intimität mit beiden beizubehalten, ohne einen von ihnen zu verletzen.

      Was für eine andere Frau schwer, sogar unmöglich gewesen wäre, das machte die Gräfin Besuchow keinen Augenblick nachdenklich. Hätte sie ihre Lebensweise geheim gehalten und sich durch List aus der unangenehmen Lage befreien wollen, so hätte sie damit alles verdorben, weil sie sich dadurch schuldig bekannt hätte. Helene aber, als wirklich großer Geist, der alles kann, was er will, stellte sich in das Licht der Gerechtigkeit und alle anderen in das Licht der Schuld.

      Das erstemal, als der junge Prinz ihr Vorwürfe machte, warf sie stolz ihren schönen Kopf auf, wandte sich halb ihm zu und sagte mit Entschiedenheit: »Das ist der Egoismus und die Grausamkeit der Männer! Ich habe nichts anderes erwartet! Das ist der Dank für eine Frau, die sich für Sie zum Opfer brachte und für Sie leidet! Welches Recht haben Sie, Hoheit, von mir Rechenschaft über meine freundschaftlichen Gefühle zu verlangen? Das ist ein Mann, der für mich mehr als Vater war.«

      Der Prinz wollte etwas erwidern, aber Helene unterbrach ihn. »Nun ja«, sagte sie, »vielleicht sind die Gefühle, die er für mich hegt, nicht ganz väterlich, aber daraus folgt noch nicht, daß ich ihm mein Haus verbieten muß. Ich bin kein Mann, um mit Undank zu bezahlen! Sie müssen wissen, Hoheit, daß ich über meine Gefühle nur Gott und meinem Gewissen Rechenschaft gebe«, schloß sie. Dabei legte sie die Hand auf ihren wogenden, schönen Busen und blickte zum Himmel auf.

      »Aber hören Sie mich, ich bitte Sie!«

      »Heiraten Sie mich, dann bin ich Ihre Sklavin.«

      »Aber das ist nicht möglich.«

      »Sie wollen sich nicht zu einer Heirat mit mir herablassen, Sie …«, sagte Helene weinend.

      Der Prinz versuchte sie zu trösten.

      Helene sagte unter Tränen, nichts könne sie abhalten, zu heiraten, dafür gebe es Beispiele – sie dachte an Napoleon und andere hohe Persönlichkeiten –, sie sei niemals die Frau ihres Mannes gewesen und nur aufgeopfert worden.

      »Aber die Gesetze, die Religion«, sagte der Prinz schon einlenkend.

      »Die Gesetze, die Religion! Wozu hat man diese denn erdacht, wenn Sie das nicht möglich machen können?« sagte Helene.

      Der vornehme Herr war verwundert darüber, daß eine so einfache Idee ihm nicht in den Kopf kommen konnte, und wandte sich um Rat an die heiligen Brüder der Gesellschaft Jesu, mit denen er nahe bekannt war.

      Einige Tage später gab Helene ein entzückendes Fest auf ihrer Villa bei Petersburg. Ein nicht mehr junger, entzückender Herr, Jobert, ein Jesuit im kurzen Gewände mit schneeweißem Haar und schwarzen, glänzenden Augen, wurde ihr vorgestellt. Er sprach im Garten beim Licht der Illumination und den Klängen der Musik lange mit Helene von der Liebe zu Gott, zu Christus, zum Herzen der Gottesmutter, sowie über die Tröstungen, welche die alleinseligmachende, katholische Religion für dieses und jenes Leben biete. Helene war gerührt, und Monsieur Jobert standen Tränen in den Augen. Am anderen Tag kam er abends allein zu Helene und seit dieser Zeit wiederholten sich seine Besuche sehr oft.

      Eines Tages führte er die Gräfin in die katholische Kirche, wo sie vor dem Altar niederkniete, zu dem sie geführt wurde. Ein junger, entzückender Franzose legte ihr die Hände auf den Kopf, und wie sie selbst später erzählte, empfand sie dabei etwas wie einen frischen Luftzug, der in ihre Seele drang. Man sagte ihr, das sei die »Gnade«. Dann wurde ihr ein Abt in langem Kleide vorgestellt. Er hörte ihre Beichte und vergab ihr ihre Sünden. Am anderen Tage wurde ihr ein Kästchen gebracht, in dem sich das heilige Abendmahl befand, das nun in ihrem Hause blieb. Nach einigen Tagen erfuhr Helene zu ihrem Vergnügen, daß sie jetzt zu der alleinseligmachenden Kirche übergetreten sei, und daß in einigen Tagen der Papst selbst von ihr hören und ihr ein Papier zusenden werde.

      Alles, was um diese Zeit bei ihr und mit ihr geschah, diese Aufmerksamkeit, welche von so vielen großen Leuten ihr gewidmet wurde und welche sich in so angenehmen; verfeinerten Formen äußerte, und die Taubenreinheit, in der sie sich jetzt befand (während dieser ganzen Zeit trug sie weiße Gewänder mit weißen Bändern) – alles das machte ihr


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