Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo TolstoiЧитать онлайн книгу.
Kaufmann. Auch diesen fragten sie: ›Von wem hast du das?‹
»Da wurde er verlegen und sagte: ›Von niemand, ich habe es selbst geschrieben.‹ Man drohte, man bat, aber er blieb dabei, er habe sie selbst geschrieben. Das wurde dem Grafen gemeldet. Der Graf befahl, ihn vorzuführen. ›Von wem hast du die Proklamation?‹ fragte er. – ›Ich habe sie selbst geschrieben!‹ Nun, Sie kennen den Grafen«, sagte der Adjutant lachend, »er fuhr schrecklich auf. Aber bedenken Sie auch solch eine Frechheit, Lüge und Hartnäckigkeit!«
»Ah, der Graf wollte, daß er auf Klutscharew hinweisen sollte, ich verstehe!« sagte Peter.
»Durchaus nicht!« erwiderte der Adjutant erschrocken. »Klutscharew hatte schon genug auf dem Kerbholz und dafür ist er auch nach Sibirien geschickt worden. Aber die Sache war die: der Graf war sehr aufgeregt. ›Wie konntest du das verfassen?‹ sagte der Graf und nahm vom Tisch eine Hamburger Zeitung. ›Da ist’s! Du hast sie nicht verfaßt, sondern übersetzt, und schlecht übersetzt, weil du Dummkopf nicht Französisch verstehst!‹ Nun, was denken Sie? – ›Nein‹, sagte er, ›ich habe keine Zeitung gelesen, ich habe es verfaßt!‹ – ›Nun, wenn es so ist, so bist du ein Verräter, und ich werde dich dem Gericht übergeben, man wird dich aufhängen. Sprich, von wem hast du es erhalten?‹
»›Ich habe keine Zeitung gelesen, ich habe es selbst verfaßt.‹ Dabei blieb er. Der Graf hat auch den Vater vorgefordert, aber er blieb dabei. Man stellte ihn vor Gericht und hat ihn verurteilt, ich glaube, zur Zwangsarbeit. Jetzt ist der Vater gekommen, um für ihn zu bitten. Aber der nichtsnutzige Junge! Wissen Sie, so ein Kaufmannssöhnchen, ein Stutzerchen und Taugenichts, glaubt, der Teufel werde ihn nicht holen. Draußen bei der steinernen Brücke ist die Kneipe seines Vaters, und in der Schenkstube, wissen Sie, hing ein großes Bild von Gott dem Allgewaltigen, in einer Hand hielt er ein Zepter und in der anderen den Reichsapfel. Dieses Bild nahm er auf einige Tage nach Hause, und was hat er gemacht? Er fand so einen schuftigen Maler …«
Die Erzählung wurde unterbrochen, weil Peter zum Gouverneur gerufen wurde.
185
Peter trat in das Kabinett des Grafen Rostoptschin, der mit finsterer Miene sich die Stirn rieb, während Peter eintrat.
»Ach, guten Tag, großer Krieger!« sagte Rostoptschin. »Wir haben von Ihren ruhmwürdigen Taten gehört, aber darum handelt es sich jetzt nicht. Unter uns gesagt, mein Lieber, Sie sind Freimaurer?« fragte Graf Rostoptschin in strengem Tone.
Peter schwieg.
»Mir ist alles sehr wohl bekannt, mein Lieber, aber ich weiß, es gibt Freimaurer und Freimaurer! Ich hoffe, daß Sie nicht zu denen gehören, die unter dem Vorwand, das Menschengeschlecht zu retten, Rußland zugrunde richten wollen?«
»Ja, ich bin Freimaurer«, erwiderte Peter.
»Nun, sehen Sie, mein Lieber, es wird Ihnen nicht unbekannt sein, daß die Herren Speransky und Magnitzky verschickt worden sind, wohin sie gehören. Dasselbe geschah auch mit dem Herrn Klutscharew und anderen, die unter dem Vorwand der Errichtung des Tempels Salomonis den Tempel ihres Vaterlands zu zerstören suchten. Sie werden begreifen, daß ich dafür Gründe hatte, und daß ich den hiesigen Postdirektor nicht hätte nach Sibirien verschicken können, wenn er nicht ein gefährlicher Mensch wäre. Jetzt habe ich erfahren, daß Sie ihm Ihre Equipage gesandt hatten, um ihn aus der Stadt zu bringen, und daß Sie einmal von ihm Bücher zur Aufbewahrung angenommen haben. Ich liebe Sie und wünsche Ihnen nichts Böses, und da Sie halb so alt sind als ich, so rate ich Ihnen als Vater, jede Beziehung zu Leuten dieser Art abzubrechen und so schnell als möglich von hier abzureisen.«
»Aber wessen ist denn Klutscharew schuldig?« fragte Peter.
»Es ist meine Sache, das zu wissen, und nicht Ihre Sache, mich danach zu fragen!« rief Rostoptschin.
»Wenn man ihn beschuldigen will, eine Proklamation Napoleons verbreitet zu haben, so ist das nicht erwiesen«, sagte Peter, ohne Rostoptschin anzusehen, »und diesen Wereschtschagin …«
»Nun ist’s richtig!« rief Rostoptschin. »Wereschtschagin ist ein Verräter, der die verdiente Strafe erhalten wird«, sagte Rostoptschin, heftig auffahrend. »Aber ich habe Sie nicht gerufen, meine Sachen zu besprechen, sondern um Ihnen einen Rat zu erteilen, oder einen Befehl, wenn Sie wollen. Ich bitte Sie, jede Beziehung mit Herren wie Klutscharew abzubrechen und abzureisen! Ich strafe das Böse, wo ich es finde!« Wahrscheinlich bedachte er, daß er Besuchow anschrie, dem noch nichts vorzuwerfen war, und fügte in freundlichem Tone hinzu: »Wir sind am Vorabend allgemeinen Unglücks, und es ist mir unmöglich, gegen alle liebenswürdig zu sein, mit denen ich zu tun habe. Oft geht mir der Kopf in die Runde! Also, mein Bester, was werden Sie vornehmen? Sie persönlich?«
»Nichts«, erwiderte Peter, der den Ausdruck seines gedankenvollen Gesichts nicht änderte.
Des Grafen Züge verfinsterten sich. »Mein freundschaftlicher Rat ist: machen Sie, daß Sie schnell fortkommen! Wohl dem, der zu gehorchen versteht. Leben Sie wohl, mein Bester! Ach ja«, schrie er ihm durch die Tür nach, »ist es wahr, daß die Gräfin in die Klauen der Väter von der Gesellschaft Jesu gefallen ist?«
Peter gab keine Antwort und verließ das Haus zornig, wie man ihn noch nie gesehen hatte.
Als er nach Hause kam, dämmerte es bereits. Etwa acht verschiedene Leute erwarteten ihn, ein Sekretär eines Komitees, der Oberst seines Bataillons, der Haushofmeister und verschiedene Bittsteller, alle wollten von Peter Befehle haben. Peter begriff nichts davon, interessierte sich nicht für diese Sachen und gab auf alle Fragen nur Antworten, die ihn von diesen Leuten befreien sollten. Endlich allein geblieben, öffnete er den Brief seiner Frau. Als er am anderen Morgen erwachte, kam der Haushofmeister, um ihm zu melden, daß ein Polizeibeamter im Auftrage des Grafen Rostoptschin gekommen sei, um sich zu erkundigen, ob der Graf abgereist sei oder bald abreisen werde. Etwa zehn verschiedene Leute, welche mit Peter irgend etwas zu verhandeln hatten, erwarteten ihn im Salon. Peter kleidete sich hastig an, aber anstatt zu denjenigen zu gehen, die ihn erwarteten, ging er durch die Hintertür auf die Straße hinaus.
Von dieser Zeit an bis zum Ende der Zerstörung Moskaus hat niemand von der Dienerschaft Peter wiedergesehen, ungeachtet aller Nachforschungen, und niemand wußte, wo er sich befand.
186
Graf Rostow blieb mit seiner Familie bis zum 1. September in Moskau, bis zum Tag vor dem Einmarsch des Feindes.
Nach dem Eintritt Petjas in das Kosakenregiment Obolensky und bis zu seiner Abreise nach Bjelaja Zerkow, wo dieses Regiment gebildet wurde, befiel die Gräfin eine heftige Angst. Jetzt erst kam ihr der Gedanke mit schrecklicher Klarheit, daß ihre beiden Söhne sich im Krieg befinden, daß sie ihre Fittiche verlassen hatten und jeder oder beide getötet werden konnten, wie die drei Söhne einer ihrer Bekannten. Sie wollte Nikolai zu sich rufen und selbst zu Petja reisen, um ihn irgendwo in Petersburg unterzubringen, aber beides erwies sich als unmöglich. Die Gräfin konnte nachts nicht mehr schlafen, und wenn sie einschlummerte, sah sie im Traum ihre Söhne getötet. Nach vielen Beratungen verfiel endlich der Graf auf ein Mittel zur Beruhigung der Gräfin. Er ließ Petja aus dem Regiment Obolensky in das Regiment Besuchow versetzen, welches in der Nähe von Moskau gebildet wurde. Dadurch hatte die Gräfin den Trost, wenigstens einen Sohn bei sich in Sicherheit unter ihren Fittichen zu sehen, und sie hoffte, ihn immer in solchen Stellen unterbringen zu können, wo er nicht in die Schlacht kommen konnte. Solange Nikolai in Gefahr war, glaubte die Gräfin zu bemerken, daß sie den Ältesten mehr als die übrigen Kinder liebte. Aber als der Jüngere, dieser Müßiggänger, der schlecht lernte und alle im Hause belästigte und alles im Hause zerbrach, dieser stumpfnasige Petja mit seinen vergnügten, schwarzen Äuglein zu diesen großen, schrecklichen Männern kam, welche dort