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Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo TolstoiЧитать онлайн книгу.

Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi - Leo Tolstoi


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Endlich hatten alle Platz genommen, die Stufen an der Kutsche wurden hinaufgeschlagen, die Türen zugeschlagen, dann sandte man noch nach einer Schatulle, die Gräfin steckte den Kopf durchs Fenster und sprach, was sich gehörte. Dann nahm Jefim langsam die Mütze vom Kopf und bekreuzigte sich. Der Vorreiter und alle Leute folgten seinem Beispiel.

      »Mit Gott!« sagte Jefim und setzte die Mütze auf. Der Vorreiter trabte voran, das Handpferd stemmte sich gegen das Kummet, die hohen Wagenfedern ächzten und die Kutschen bewegten sich. Ein Lakai sprang auf den Bock, die schwere Equipage fuhr schwankend aus dem Hof hinaus auf das holperige Pflaster, und der Wagenzug fuhr die Straße entlang. In den Wagen bekreuzigten sich alle vor der gegenüberliegenden Kirche. Die Dienstleute, welche in Moskau zurückblieben, gingen zu beiden Seiten der Equipage her, um sie zu begleiten.

      Selten hatte Natalie eine so freudige Erregung empfunden wie jetzt, als sie langsam durch die Straßen des verlassenen Moskau fuhren. Sie blickte oft zurück und dann vorwärts nach dem langen Wagenzug der Verwundeten, der ihnen voranfuhr. Fast allen voran, erblickte sie die geschlossene Kalesche des Fürsten Andree. Sie wußte nicht, wer darin war, suchte sie aber immer mit den Augen.

      Aus verschiedenen Straßen kamen noch ähnliche Wagenzüge heraus, und auf der Sadowajastraße fuhren Equipagen und Wagen in zwei Reihen nebeneinander. Als Natalie beim Sucharewturm (Zwiebacksturm) neugierig auf die Volksmenge hinausblickte, rief sie plötzlich laut und verwundert aus: »Papachen! Mamachen! Sonja! Seht doch, da ist er!«

      »Wer? Wer?«

      »Seht doch, wirklich, es ist Besuchow!« rief Natalie. Sie beugte sich zum Wagenfenster hinaus und sah nach einem hochgewachsenen, dicken Mann mit einem Kutscherkaftan, der nach Gang und Haltung augenscheinlich ein verkleideter Herr war, und neben einem gelben, bartlosen Greis in einem Friesmantel unter den Bogen des Sucharewturms hindurchging.

      »Wirklich, es ist Besuchow!« rief Natalie. »Halt! Halt!« schrie sie dem Kutscher zu. Aber der Kutscher konnte nicht anhalten, weil noch mehr Wagen und Equipagen aus einer Seitenstraße hervorkamen und man ihm zurief, er solle sich beeilen und nicht andere aufhalten.

      Wirklich sahen alle, obgleich schon entfernter als zuvor, Peter oder einen ihm ungewöhnlich ähnlichen Menschen in einem Kutscherkaftan, der mit gesenktem Kopf und ernster Miene die Straße entlang ging, neben einem kleinen, bartlosen Greis, der wie ein Diener aussah. Als dieser Greis das Gesicht, das aus dem Wagenschlag heraussah, bemerkte, berührte er ehrerbietig den Arm Peters und sagte ihm etwas, indem er nach der Kutsche deutete. Peter vermochte lange nicht zu begreifen, was er sagte, so sehr war er in seine Gedanken versunken. Endlich blickte er nach der bezeichneten Richtung, und als er Natalie erkannte, folgte er sogleich dem ersten Antrieb und ging rasch auf den Wagen zu, aber nach zehn Schritten blieb er stehen.

      Das Gesicht Natalies, die sich aus dem Wagen herausbog, strahlte. »Peter Kirilitsch, so kommen Sie doch! Wir haben Sie erkannt! Das ist merkwürdig!« rief sie und streckte ihm die Hand entgegen. »Warum sind Sie in diesem Aufzug?«

      Peter ergriff die Hand und küßte sie.

      »Was ist Ihnen, Graf?« fragte die Gräfin verwundert und teilnehmend.

      »Was? Warum? Fragen Sie mich nicht!« erwiderte Peter.

      »Bleiben Sie denn in Moskau?«

      Peter schwieg. »In Moskau?« wiederholte er dann fragend, »ja in Moskau. Leben Sie wohl!«

      »Ach, wenn ich ein Mann wäre, ich würde jedenfalls mit Ihnen zurückbleiben«, sagte Natalie. »Ach, wie wäre das schön! Mama, erlauben Sie, ich bleibe zurück.«

      Peter blickte sie zerstreut an und wollte etwas sagen, aber die Gräfin unterbrach ihn.

      »Sie waren in der Schlacht, wie wir hörten?«

      »Ja«, erwiderte Peter. »Morgen wird hier eine Schlacht sein.«

      »Aber was ist Ihnen, Graf, Sie sind nicht wie gewöhnlich?«

      »Ach, fragen Sie mich nicht, ich weiß selbst nicht … morgen … nein … leben Sie wohl! Leben Sie wohl!« sagte er. »Eine schreckliche Zeit!« Er trat vom Wagen zurück und ging nach der Häuserreihe.

      Natalie bog sich noch lange zum Wagenfenster hinaus und blickte mit strahlendem Lächeln zurück.

      192

       Inhaltsverzeichnis

      Seit Peter aus seinem Hause verschwand, wohnte er schon den zweiten Tag in der leeren Wohnung des verstorbenen Basdejew. Das war so gekommen: Als Peter am zweiten Tag nach seiner Rückkehr nach Moskau und der Unterredung mit dem Grafen Rostoptschin erwachte, konnte er lange nicht begreifen, wo er sich befand und was man von ihm wollte. Als man ihm unter anderen Namen von Personen, welche in seinem Vorzimmer warteten, auch den eines Franzosen nannte, der einen Brief von der Gräfin Helene brachte, befiel ihn plötzlich jenes Gefühl der Hoffnungslosigkeit, dem er sich oft hingab. Es war ihm, als ob jetzt alles zu Ende, alles verwirrt und zerstört sei, daß es keine Gerechte und keine Schuldige gäbe; daß nichts mehr vor ihm liege und daß kein Ausweg aus dieser Lage zu finden sei. Mit einem unnatürlichen Lächeln setzte er sich bald hilflos auf einen Diwan, bald stand er auf, ging zur Tür und blickte durch einen Spalt in das Empfangszimmer, bald kehrte er wieder um und ergriff ein Buch. Der Haushofmeister meldete schon zum zweiten Mal, der Franzose, der den Brief von der Gräfin überbringe, wünsche sehr, ihn zu sprechen, und die Witwe J. A. Basdejews lasse bitten, die Bücher zu übernehmen, da sie selbst die Stadt verlasse.

      »Ach, ja gleich! Warte einmal … oder nein, gehe und sage ihm, ich werde gleich kommen«, erwiderte Peter dem Haushofmeister, aber sobald dieser gegangen war, nahm Peter den Hut, der auf dem Tische lag und verließ das Kabinett durch eine Hintertür. In dem langen Gang war niemand zu sehen. Peter ging bis zur Treppe, wischte die Stirn mit beiden Händen ab und ging bis zum ersten Treppenabsatz hinab. Der Portier stand am Haupteingang. Von dem Treppenabsatz führte eine andere Treppe nach einem Nebengang. Diesen ging Peter entlang und auf den Hof hinaus, niemand sah ihn, aber sobald er durch die Pforte hinausging auf die Straße, erkannten ihn die Kutscher und der Portier und nahmen die Mützen ab. Als er die auf sich gerichteten Blicke fühlte, handelte er wie der Vogel Strauß, welcher den Kopf in das Gebüsch steckt, um nicht gesehen zu werden. Er senkte den Kopf, beschleunigte die Schritte und ging auf die Straße hinaus. Von allem, was Peter an diesem Morgen bevorstand, erschien ihm das Wichtigste die Übernahme der Bücher und Papiere von Joseph Basdejew. Er nahm die erste Droschke und befahl, nach dem Patriarchenteich zu fahren, wo die Witwe Basdejews wohnte. Er blickte sich beständig um. Von allen Seiten bewegten sich Wagenzüge nach den Toren Moskaus. Peter empfand ein freudiges Gefühl, wie ein Schulknabe, der der Schule entronnen ist, und sprach mit dem Kutscher. Dieser erzählte ihm, daß das Volk heute im Kreml Waffen erhalte, und daß es morgen nach den drei Bergen hinausziehen werde, wo eine große Schlacht stattfinden solle. Am Patriarchenteich klopfte Peter an die Pforte des Hauses, das er suchte, worauf Gerasim erschien, derselbe gelbe, bartlose Greis, welchen Peter vor fünf Jahren in Torshok bei Basdejew gesehen hatte.

      »Zu Hause?« fragte Peter.

      »Die gnädige Frau ist mit den Kindern auf das Gut bei Torshok gefahren, Erlaucht.«

      »Aber ich werde doch eintreten, ich muß die Bücher abholen«, sagte Peter.

      »Belieben Sie einzutreten! Der Bruder des Verstorbenen – ihm sei das Himmelreich! – Makar, ist dageblieben.«

      Makar war, wie Peter wußte, ein halbverrückter Bruder Basdejews, welcher dem Trunk ergeben war.

      »Ja, ja, ich weiß! Komm!« sagte Peter und trat ins Haus. Ein hochgewachsener, kahlköpfiger, alter Mann in einem Schlafrock, mit roter Nase und Galoschen an den bloßen Füßen stand im Vorzimmer. Als er Peter erblickte, murmelte er zornig etwas vor sich hin und ging auf den Flur hinaus.

      »Es war ein großer Geist, aber jetzt, wie Sie sehen, schwach geworden«, sagte der Diener. »Belieben Sie ins Kabinett einzutreten.«

      Peter nickte


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