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Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo TolstoiЧитать онлайн книгу.

Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi - Leo Tolstoi


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des Grafen, Terentitsch, trat zu der Gruppe und schrie Mischka an: »Warum hast du nichts gesehen, Maulaffe? Der Graf fragt, und niemand weiß etwas!«

      »Ich bin nur nach Wasser gegangen«, erwiderte Mischka.

      »Was denken Sie, Terentitsch, ist das Feuer in Moskau?« fragte einer der Diener.

      Terentitsch gab keine Antwort, und alles schwieg. Der Feuerschein breitete sich schwankend weiter aus.

      »Gott erbarme sich! … Der Wind! … Alles ist trocken«, sagte wieder eine Stimme.

      »Man wird es auslöschen, habe keine Sorge.«

      »Wer soll es auslöschen?« fragte Terentitsch, der bisher geschwiegen hatte. Seine Stimme war ruhig und langsam, dann plötzlich schluchzte er, und alle schienen nur darauf gewartet zu haben, um die Bedeutung des Feuerscheins zu begreifen. Man hörte Seufzer, Gebetsworte und das Schluchzen des alten Kammerdieners.

      Der Kammerdiener entfernte sich, um dem Grafen zu melden, daß Moskau brenne. Der Graf legte den Schlafrock an und kam heraus, um nach der Feuersbrunst zu sehen, und mit ihm kamen auch Sonja und Madame Chausse, die sich noch nicht entkleidet hatten. Natalie und die Gräfin blieben allein im Zimmer. Petja war nicht mehr bei der Familie, sondern mit seinem Regiment nach Troizy abmarschiert. Die Gräfin brach in Tränen aus bei der Nachricht, daß Moskau brenne; Natalie saß bleich und mit starren Augen vor dem Heiligenbild und achtete nicht auf die Worte ihres Vaters, sondern horchte nur auf das unaufhörliche Stöhnen des Adjutanten, das drei Häuser weit gehört wurde.

      »Ach, wie entsetzlich!« rief Sonja. »Ich glaube, ganz Moskau brennt! Sieh doch, Natalie, diese Glut!«

      »Was brennt?« fragte Natalie. »Ach ja, Moskau!«

      An dem teilnahmslosen Wesen Natalies bemerkten die Gräfin und Sonja, daß der Brand Moskaus für Natalie gar kein Interesse hatte. Seit Natalie erfahren hatte, daß Fürst Andree schwer verwundet sei und mit ihnen reise, hatte sie nur im ersten Augenblick gefragt, ob er gefährlich verwundet sei und ob man ihn sehen könne. Als sie aber dann hörte, daß man ihn nicht sehen könne, daß sein Leben in Gefahr sei, glaubte sie augenscheinlich nicht daran, fragte aber nicht weiter, da sie voraussah, sie werde keine andere Antwort erhalten. Den ganzen Weg über hatte sie unbeweglich in einer Ecke des Wagens gesessen, und so saß sie auch jetzt auf der Bank, von ihrer Mutter mit Besorgnis beobachtet.

      »Natalie, kleide dich aus und lege dich in mein Bett!«

      Nur die Gräfin hatte ein Bett, Madame Chausse und die beiden jungen Mädchen mußten auf dem Fußboden schlafen.

      »Nein, Mama, ich bleibe hier«, erwiderte sie kurz, ging zum Fenster und öffnete es. Sie blickte in die feuchte Nachtluft hinaus, und die Gräfin sah, daß sie heftig weinte.

      »Lege dich schlafen, mein Juwel. Nun – komm!« Dabei berührte sie leicht die Schulter Natalies.

      »Ach ja, ich komme gleich«, sagte Natalie und begann sich hastig zu entkleiden. Als ihr Nachtkostüm fertig war, legte sie sich leise auf das Lager nieder, das auf dem Fußboden bereitet war. Auch die Gräfin, Madame Chausse und Sonja legten sich schlafen. Bald vernahm Natalie das gleichmäßige Atmen ihrer Mutter und rührte sich nicht, obgleich Sonja sie anrief. Endlich krähte in der Ferne der Hahn, der Lärm in der Schenke und die geheimnisvollen Laute der Nacht waren schon verstummt. Man hörte nur das Stöhnen des Adjutanten. Natalie erhob sich.

      »Sonja, schläfst du? Mama!« flüsterte sie, aber niemand antwortete. Sie erhob sich langsam und vorsichtig, bekreuzigte sich und schlich nach der Tür. Sie glaubte schwere, gleichmäßige Schläge an allen Wänden der Hütte zu vernehmen, aber das war nur ihr Herz, das, von Schrecken und Liebe aufgeregt, so heftig schlug. Sie öffnete die Tür, die kühle Nachtluft umfing sie, barfuß stieg sie über einen schlafenden Diener weg und öffnete die Tür zu der Hütte, in der Fürst Andree lag.

      In der Hütte war es dunkel. In der hintersten Ecke beim Bett, auf welchem eine Gestalt lag, stand auf einer Bank eine trüb brennende Kerze.

      Natalie hatte schon am Morgen, als sie die Anwesenheit des Fürsten Andree erfuhr, sich vorgenommen, ihn jedenfalls zu sehen. Sie wußte nicht warum, sie wußte nur, daß dieses Wiedersehen peinlich sein werde, und um so mehr war sie überzeugt, daß es unumgänglich nötig sei. Den ganzen Tag hatte sie nur in der Hoffnung gelebt, ihn am Abend zu sehen, jetzt aber, wo der Augenblick gekommen war, dachte sie mit Bangen an das, was sie sehen werde, und blieb angstvoll stehen. Aber eine unwiderstehliche Gewalt trieb sie weiter. Vorsichtig machte sie einen Schritt und dann noch einen. Unter dem Heiligenbild lag auf einer Bank noch ein Mensch, das war Timochin, und auf dem Fußboden noch zwei Leute, der Arzt und der Kammerdiener.

      Der Kammerdiener erhob sich und flüsterte etwas. Timochin, welchen der Schmerz an seinem verwundeten Bein nicht schlafen ließ, blickte erstaunt nach der Erscheinung eines Mädchens im weißen Hemd, Jacke und Nachthäubchen. Die Frage des verschlafenen Kammerdieners: »Was wollen Sie?« veranlaßte Natalie nur, rasch an ihm vorüberzugehen, und bald erblickte sie deutlich die Gestalt des Fürsten Andree, dessen Hände auf der Decke lagen.

      Er sah aus wie immer, aber die glänzenden Augen, welche entzückt nach ihr blickten, und besonders der zarte, weibliche Hals, der aus dem zurückgeschlagenen Hemdkragen hervorsah, gaben ihm ein kindliches Aussehen, das sie noch nie an ihm gesehen hatte. Sie ging zu ihm und ließ sich hastig auf die Knie nieder. Dann lächelte sie und streckte ihm eine Hand entgegen.

      203

       Inhaltsverzeichnis

      Sieben Tage waren vergangen, seit Fürst Andree auf dem Verbandplatz bei Borodino erwacht war. Fast die ganze Zeit über hatte er sich im Zustand der Bewußtlosigkeit befunden. Aber am siebenten Tag aß er mit Vergnügen ein Stück Brot mit Tee, und der Arzt bemerkte, daß die Fieberhitze sich vermindert hatte. Am Morgen war der Verwundete zur Besinnung gekommen. Die erste Nacht nach der Abfahrt von Moskau war ziemlich warm, und Fürst Andree hatte sie in der Kutsche zugebracht, aber in Mitschitschi verlangte der Verwundete selbst, daß man ihn in ein Haus lege und ihm Tee bringe. Als er in die Hütte getragen wurde stöhnte er vor Schmerz, verlor wieder das Bewußtsein und lag darauf längere Zeit mit geschlossenen Augen regungslos auf dem Feldbett. Dann öffnete er die Augen und verlangte nach Tee. Der Arzt befühlte den Puls und bemerkte zu seiner Verwunderung, daß er stärker schlug. Er bemerkte das mit Bedauern, da er durch die Erfahrung überzeugt war, daß Fürst Andree nicht am Leben bleiben könne, und entweder jetzt oder nur nach großen Leiden einige Zeit später sterben werde. Mit Fürst Andree wurde auch der Major Timochin von seinem Regiment, welcher am Fuß verwundet war, weiter transportiert. Mit ihnen fuhren der Arzt, der Kammerdiener des Fürsten, sein Kutscher und zwei Offiziersburschen. Fürst Andree fragte nach einem Neuen Testament, das ihm der Arzt zu verschaffen versprach.

      Jetzt erst begriff Fürst Andree, wo er war, und was mit ihm vorgegangen war. Er befand sich nicht in normalem Geisteszustand. Ein gesunder Mensch denkt gewöhnlich gleichzeitig an zahlreiche Gegenstände, hat aber die Kraft, eine Gedankenreihe heraus zu wählen und auf diese seine Aufmerksamkeit ausschließlich zu richten. Bei Fürst Andree aber waren alle Geisteskräfte tätiger und klarer als sonst, wirkten aber unabhängig von seinem Willen. Die verschiedenartigsten Gedanken und Vorstellungen bestürmten ihn gleichzeitig. Er hörte lärmende Musik, dann erschien ihm wieder das Bild seines Sohnes, und darauf wieder nahm eine zudringliche Fliege seine Aufmerksamkeit in Anspruch. Dann wieder hatte er das Gefühl, als ob auf seinem Gesicht ein sonderbares, luftiges Gebäude aus feinen Nadeln aufgeführt werde, er fühlte, daß er das Gleichgewicht bewahren mußte, damit das Gebäude nicht einfalle, aber es fiel dennoch zusammen und wurde bei den Klängen einer fernen Musik aufs neue aufgeführt. Dann erblickte er etwas Weißes bei der Tür, das war die Statue einer Sphinx, deren Anblick ihm drohend erschien.

      »Vielleicht ist das mein Hemd auf dem Tisch«, dachte er, »und das sind meine Füße, und das ist die Tür! Aber warum bewegt sich denn das alles fortwährend?« Und plötzlich überfiel ihn wieder ein Gedanke, ein Gefühl mit ungewöhnlicher Klarheit und Kraft.


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