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Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo TolstoiЧитать онлайн книгу.

Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi - Leo Tolstoi


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Brücke zerstört, da sie doch unterminiert war?«

      Bilibin zuckte mit den Achseln.

      »Und wenn die Brücke überschritten ist, so ist auch die Armee verloren; sie wird abgeschnitten«, sagte Bolkonsky.

      »Das ist ja eben die Geschichte«, sagte Bilibin. »Hören Sie! Die Franzosen rücken in Wien ein, wie ich Ihnen sagte. Schon am anderen Tage, also gestern, setzen sich die Marschälle Murat, Lannes und Bellard zu Pferd und reiten an die Brücke. ›Meine Herren‹, sagt der eine, ›Sie wissen, daß die Taborbrücke unterminiert ist und durch einen großen Brückenkopf verteidigt wird, mit fünfzehntausend Mann, welche den Befehl haben, die Brücke zu zerstören und uns nicht durchzulassen. Aber unserem Kaiser Napoleon würde es angenehm sein, wenn wir diese Brücke nehmen würden.‹ – ›Wir drei werden sie nehmen‹, sagten die anderen, und so ritten sie ab, nahmen die Brücke, überschritten sie und jetzt marschiert die ganze feindliche Armee diesseits der Donau gegen uns und unsere Verbündeten.«

      »Scherzen Sie nicht«, sagte Fürst Andree ernst.

      Diese Nachricht war traurig für ihn und doch zugleich angenehm. Sobald er erfuhr, daß die russische Armee sich in einer so hoffnungslosen Lage befand, kam ihm der Gedanke, er sei berufen, sie daraus zu befreien.

      »Scherzen Sie nicht«, sagte Fürst Andree.

      »Ich scherze nicht«, fuhr Bilibin fort, »es ist vollkommen wahr, so traurig es auch ist. Die Herren Marschälle ritten also an die Brücke und schwangen weiße Taschentücher. Sie versicherten, es sei ein Waffenstillstand abgeschlossen worden, und sie seien gekommen, um mit dem Fürsten Auersperg zu verhandeln. Der Offizier an der Brücke läßt sie in den Brückenkopf ein, sie erzählen ihm tausenderlei schwindelhafte Neuigkeiten, der Krieg sei beendigt, Kaiser Franz werde mit Bonaparte eine Zusammenkunft haben und sie wünschten den Fürsten Auersperg zu sprechen, und so weiter. Der Offizier sendet nach Auersperg, die Franzosen plaudern, die Offiziere setzen sich zum Scherz auf die Kanonen und inzwischen marschiert ein feindliches Bataillon unbemerkt auf die Brücke, wirft die Säcke mit Brennmaterial ins Wasser und kommt bis an den Brückenkopf. Endlich erscheint der Generalleutnant selbst, unser lieber Fürst Auersperg.

      »Verehrter Feind, Blüte des österreichischen Heeres, Held der Türkenkriege, der Krieg ist zu Ende! Wir können einander die Hand bieten, der Kaiser Napoleon hat den lebhaften Wunsch, den Fürsten Auersperg kennenzulernen.‹ Mit einem Wort, diese Herren beschwatzten Auersperg mit ihren schönen Worten, und er ist so entzückt von dieser Intimität, von dieser plötzlichen Bekanntschaft mit den französischen Marschällen und so geblendet von dem Anblick der Straußfedern Murats, daß ihm der Kopf schwindelt. Das französische Bataillon läuft in den Brückenkopf, vernagelt die Kanonen und die Brücke ist genommen. Und was das beste dabei ist, der Sergeant, welcher an der Kanone stand, auf deren Signal die Brücke in die Luft gesprengt werden sollte, dieser Sergeant sah, wie die Franzosen über die Brücke kamen und wollte schon schießen, aber Lannes stieß seine Hand zurück. Der Sergeant, welcher augenscheinlich klüger war als sein General, ging auf Auersperg zu und sagte: ›Fürst, man betrügt Sie! Da sind die Franzosen!‹ Murat sah, daß das Spiel verloren war, wenn er diesen Sergeanten zu Worte kommen ließ. Mit verstellter Verwunderung wandte er sich an Auersperg. ›Ich erkenne die vielgerühmte österreichische Disziplin nicht wieder ‹, sagte er, ›und Sie erlauben einem Unteroffizier, so mit Ihnen zu sprechen?‹ Das war genial! Fürst Auersperg fühlte sich beleidigt und ließ den Unteroffizier arretieren. Ist das nicht ausgezeichnet – diese Geschichte mit der Brücke?«

      »Ist das nicht Verrat?« fragte Fürst Andree, indem er sich lebhaft die grauen Mäntel, den Pulverdampf, den Kanonendonner und den Ruhm vorstellte, die ihn erwarteten.

      »Nein, das ist kein Verrat, das ist nur kolossale Dummheit! Aber wohin?« fragte Bilibin Fürst Andree, der nach seinem Zimmer ging.

      »Ich reise ab.«

      »Wohin?«

      »Zur Armee.«

      »Aber Sie wollten ja zu Mittag bleiben?«

      »Nein, jetzt muß ich gleich abreisen.«

      Fürst Andree traf sogleich Vorbereitungen zur Abfahrt.

      »Wissen Sie, mein Lieber«, sagte Bilibin, als er zu ihm ins Zimmer trat, »ich habe darüber nachgedacht. Warum wollen Sie abreisen?«

      Fürst Andree blickte ihn fragend an.

      »Warum wollen Sie abreisen? Ich weiß, Sie halten es für Ihre Pflicht, jetzt zur Armee zu gehen, weil sie in Gefahr ist. Das begreife ich, mein Lieber, das ist Heroismus.«

      »Keineswegs«, erwiderte Fürst Andree.

      »Aber Sie sind Philosoph, also seien Sie es auch ganz. Sehen Sie die Sache von der andern Seite an und Sie werden finden, daß es im Gegenteil Ihre Pflicht ist, sich zu erhalten. Sie haben keinen Befehl, zurückzukehren, und von hier hat man Sie nicht entlassen, also können Sie hierbleiben und mit uns weiterreisen, wohin uns unser unglückliches Schicksal führt. Man sagt, wir gehen nach Olmütz. Das ist ein sehr niedliches Städtchen, und wir fahren ganz gemütlich in meiner Kalesche dahin.«

      »Genug der Scherze, Bilibin«, erwiderte Bolkonsky.

      »Ich spreche im Ernst und aus Freundschaft. Überlegen Sie einmal, welchen Nutzen bringt es, wenn Sie jetzt abreisen, während Sie hierbleiben können? Entweder erreichen Sie die Armee gar nicht, oder der Frieden wird abgeschlossen, oder die ganze Armee Kutusows wird zersprengt.«

      »Ich habe nichts zu überlegen«, sagte Fürst Andree kalt. »Ich muß abreisen, um die Armee zu retten«, dachte er innerlich.

      »Mein Lieber, Sie sind ein Held«, erwiderte Bilibin.

      34

       Inhaltsverzeichnis

      Noch an diesem Abend verabschiedete sich Bolkonsky vom Kriegsminister und reiste zur Armee ab, ohne zu wissen, wo er sie finden werde. Er mußte sogar befürchten, auf dem Wege nach Krems von den Franzosen überholt zu werden.

      Bei Etzelsdorf erreichte Andree den Weg, auf welchem mit großer Hast die russische Armee sich zurückzog. Der Weg war von Wagen aller Art so versperrt, daß es unmöglich war, mit der Equipage durchzukommen. Fürst Andree nahm von einem Kosakenoffizier ein Pferd und einen Kosaken mit und ritt hungrig und müde weiter, um das Hauptquartier aufzusuchen. Die schlimmsten Gerüchte über die Lage der Armee erreichten ihn unterwegs, und der Anblick der in Unordnung flüchtenden Truppen bestätigte diese Gerüchte.

      »Dieser russischen Armee, welche das englische Gold vom Ende der Welt hierherführte, werden wir dasselbe Schicksal bereiten wie der österreichischen bei Ulm«, lauteten die Worte eines Tagesbefehls von Bonaparte an sein Heer, an welche sich Fürst Andree jetzt erinnerte, und diese Worte erregten seine Bewunderung für den genialen Kriegshelden sowie das Gefühl des beleidigten Stolzes und die Hoffnung auf Ruhm.

      »Wenn aber nichts anderes übrigbleibt als zu sterben«, dachte er, »nun gut, wenn es sein muß, so werde ich das nicht schlechter verstehen als ein anderer.«

      Fürst Andree blickte mit Verachtung nach diesen unendlich langen, chaotischen Zügen von Truppenmassen, Wagen, Batterien, welche einander drängten und überholten auf dem schmutzigen Weg. Von allen Seiten, von hinten und von vorn, hörte man das Knarren der Wagen, das Stampfen der Pferde, Peitschenhiebe, Geschrei und Schimpfworte der Soldaten und Offiziere. Am Rande des Weges lagen gefallene Pferde, zerbrochene Wagen, Soldaten, welche hier ihren Truppenteil verloren hatten und dann in den benachbarten Dörfern plündernd umherschwärmten. Die Soldaten standen bis zu den Knien im Schmutz. Die Offiziere, welche den Marsch lenken sollten, ritten bald vorwärts, bald rückwärts zwischen den Wagenzügen. In dem allgemeinen Lärm waren ihre Stimmen kaum vernehmbar, und man sah an ihren Mienen, daß sie an der Möglichkeit zweifelten, dieser Unordnung Einhalt zu tun.

      »Das ist es, das liebe, rechtgläubige Kriegsheer!« dachte Bolkonsky.

      Er


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