Beschreibung der Welt. Marco PoloЧитать онлайн книгу.
erreichen.
Durch das Erscheinen jener »Leute aus italischem Lande« neugierig geworden, wie deren Glaubenslehre zu bekräftigen sei, habe der Großkhan seine Gäste am Ende mit der Botschaft entlassen, sie möchten sich zum Papst verfügen und ihn darum bitten, sie in Begleitung von hundert Sachverständigen aufs Neue nach Osten zu schicken. Diese Männer sollten imstande sein, die Überlegenheit ihres Gottes über die Götzen der Mongolen darzulegen – außerdem würde er sich über etwas Öl aus der Lampe freuen, die am Heiligen Grab brennt.
Mit der Zusage, ihren Auftrag auszuführen, seien sie zur Rückreise aufgebrochen und »drei Jahre« unterwegs gewesen, bis sie am Golf von Iskenderun (= Giazza) die Küste des Mittelmeers erreicht und »im Monat April 1269« den Hafen von Akko (= Acre) angelaufen hätten. Von hier aus wollten sie nach Jerusalem reiten, um eine Phiole mit der Substanz aus dem Ewigen Licht abzufüllen. Doch sie wären kaum von Bord ihres Schiffes gestiegen, da hätten sie vernommen, dass Papst Klemens IV. soeben entschlafen sei.
In toto sei ihre Aufgabe daher nicht zu lösen gewesen (wer sollte die hundert Weisen berufen?), weshalb die beiden treuen Seelen fürs Erste Venedig angesteuert hätten, »wo Niccolò Polo fand, dass sein Weib, die er bei seiner Abreise schwanger zurückgelassen hatte, gestorben war, nachdem sie ihn mit einem Sohne beschenkt hatte, der den Namen Marco erhalten und jetzt in einem Alter von neunzehn Jahren stand«.
Man muss kein Rechenkünstler sein, um festzustellen, dass an der Schilderung des Abenteuers etwas nicht stimmt. Zwar deckt sich das Alter von Niccolòs Sohn (neunzehn Jahre) mit der Dauer der Abwesenheit seines Vaters (von 1250 bis 1269), doch ergeben weder die erwähnten noch die wahrscheinlichen Reise- und Verweilzeiten eine Summe von neunzehn Jahren. Die einzige vertrauenswürdige Aussage ist die zum Tod von Papst Klemens IV., der am 29. November 1268 stattgefunden hat.
Glaubhaft ist deshalb die Rückkehr von Niccolò und Maffeo Polo im Frühjahr 1269. Bedenkt man nun, dass ihre Awentura schwerlich neunzehn Jahre gewährt haben kann – dass also die Datierung ihrer Ankunft in Konstantinopel auf 1250 ohnedies hinfällig ist (wo kamen sie im Übrigen her? Wie lange waren sie zuvor unterwegs gewesen?), dann bekommt die Mitteilung sehr früher Handschriften der Beschreibung der Welt Gewicht, wonach Marco Polo bei der Rückkehr seines Vaters Niccolò nach Venedig »fünfzehn Jahre« alt und somit 1254 geboren war.
Marco Polo. Ausschnitt aus dem Titelholzschnitt einer spanischen Ausgabe von 1503
Auf diese Zahl hat sich die Forschung ergo geeinigt; das ominöse »1250« dürfte ein läppischer Schreibfehler sein.
Doch seien wir dem selbstsicheren Schusselkopf nicht gram: Hat er uns doch durch seinen Lapsus mit der »1250« und durch seine Mogelei mit den »neunzehn Jahren« einen Einstieg in das Thema »Marco Polo« aufgezwungen, der uns mitten hinein in die venezianische Ära (und Aura) versetzte. Ahnen wir nicht bereits, welche Geschäftstüchtigkeit in ihr waltete, welche Weite des Blicks, welch eifrige Bekehrungslust? Jäh waren Kreuzritter aufgetaucht, Mongolenkämpfer, Kaufleute. Das Trachten nach Gewinn vermengte sich mit dem Streben in die Ferne, und dieses durchmischte sich nun mit dem Sinnen auf ein gottgefälliges »Handeln« – womit wir wieder am Anfang des Dreischrittes wären. Es war die Gangart, mit der Venedig in die Historie eintrat.
Ambitionierte Mythographen hatten die Erbauung der Stadt mit dem Fall Trojas verknüpft, mit dem Aufstieg Roms und dem Tag, an dem der Engel Gabriel der Jungfrau Maria eröffnet hatte, dass sie den Sohn Gottes gebären werde – an einem 25. März soll sich das ereignet haben. (Das Gründungsjahr, 421, war in diesem Zusammenhang von eher geringer Bedeutung.)
Was hinter dieser künstliche Wurzeln bildenden Klitterung hervorklingt, ist der Selbstbehauptungswille von Menschen in Bedrängnis: Im 5. Jahrhundert hatten sie vor den Hunnen zurückweichen müssen und keine andere Zuflucht gefunden als auf den Halligen im Morast der Lagune, wohin die Reiter Attilas nicht folgen konnten. Das wiederholte sich ein Jahrhundert später beim Ansturm der Langobarden. Und es ist bezeichnend, dass wir ausgerechnet aus der Vita eines unter diesem Volk amtierenden Papstes, Zacharias, erfahren, womit die Venezianer ihr Fortbestehen sicherten, während sie wie Vögel auf Pfählen im Wasser auf ihren Inseln vor der Küste hockten. »In jener Zeit geschah es«, berichtet die Quelle, »dass mehrere venezianische Kaufleute nach der Stadt Rom kamen und, Handelsgeschäfte vorgebend, eine große Anzahl von Sklaven männlichen und weiblichen Geschlechts aufkauften, um sie nach Afrika zu dem Volk der Heiden zu führen.«
Faktisch war ihnen ohne Territorium, auf dem sich Landbau betreiben oder Rohstoff gewinnen ließ, nichts anderes übrig geblieben als: Händler zu werden. Ohne Skrupel, wie man sieht, und von Anfang an mit einem weiten Betätigungsfeld.
Nachdem dann Karl der Große dem Langobardenregime in Italien ein Ende gemacht und es 812, im Frieden von Aachen, hingenommen hatte, dass die Stadt dem »Basileus Romaion« von Konstantinopel anheimfiel, sollten sich die Aktivitäten der Venezianer vorzugsweise nach Osten und Südosten richten – in die Levante, ins Schwarze Meer, bis zum Kaukasus hin.
Einen ersten Coup landeten sie, als die beiden Kaufherren Bonus aus Malmocco und Rusticus aus Torcello gemeinsam mit zwei Spießgesellen um die Jahreswende 828/829 bei einem Aufenthalt im ägyptischen Alexandria die Hüter des dort aufbewahrten Leichnams des heiligen Markus übertölpelten. »Die Wächter«, berichtet die Legende, »wurden durch die List der Venezianer und ihrer beiden griechischen Helfer hinters Licht geführt, indem man in das Grab des Evangelisten einen anderen heiligen [na, immerhin!] Leib legte, während man die Zöllner dadurch täuschte, dass Bonus und Rusticus im oberen Teil der Kiste, die die Reliquie aufgenommen hatte, Schinken und Schweinefleisch aufschichteten, die bekanntlich für die Sarazenen wie für die Juden ein Gegenstand der Abscheu sind. Als nun die Kiste an der Zollstation geöffnet wurde, riefen die Zöllner: ›Kazir! Kazir!‹ [›Schwein! Schwein!‹], was wohl ein Ausdruck des Entsetzens ist, und fertigten die Ladung ohne Weiteres ab. Freudig brachten Bonus und Rusticus ihren Schatz nach Venedig.«
Abermals finden wir das hier: dieses Gemenge aus Geschäftemacherei, Frömmigkeit und Reisefreude. Es sollte Venedig, das sich fortan mit dem Symbol des Markus, dem – geflügelten – Löwen, schmückte, Wohlstand bescheren und Macht – Macht im handfesten Sinn. Denn neben seiner Handelsflotte rüstete die Stadt bald Schiffsverbände aus, die zunächst die Hoheit über die Adria und hernach auch über den östlichen Mittelmeerraum gewannen. Venedig beteiligte sich am Ersten Kreuzzug von 1099 bis 1100 sowie am Dritten von 1188 bis 1191. Und als dann die frommen Gewalttäter im Jahre 1203 zum vierten Male ausrückten, um durch Mord und Totschlag im Heiligen Land die Gedenkstätten des Erlösers zu »befreien«, nahm das Geschehen eine Wendung, deren Anlass kein Historiker je herausgefunden hat: Statt ihren Kurs auf Akko beizubehalten, drehte die Armada unter Führung von Enrico Dandolo nach Backbord, fuhr die Ägäis hinan und stürmte Konstantinopel. Am 13. April 1204 fiel die Stadt. Aus dem Kreuzzug war ein Beutezug geworden.
Von da an war Venedig eigenständig. Der Doge firmierte in krämerseliger Pi-mal-Daumen-Berechnung als »Herr über ein Viertel und die Hälfte eines Viertels des (Oströmischen) Reiches«, er hatte auf Kreta das Sagen, ließ Koron und Modon auf der Peloponnes okkupieren – und binnen Kurzem gab es kaum eine Siedlung in jener Region, in der den Venezianern nicht eine Niederlassung gehörte. Venedig war vermögend. »Eine Stadt reich an Gold«, nannte sie Francesco Petrarca in einem seiner Rerum senilium libri, seiner »Bücher über Altersangelegenheiten« (1501), »doch reicher an Ruhm; mächtig durch Wohlstand, doch mächtiger durch Gesittung; auf marmornen Fundamenten gegründet, doch auf dem solideren Sockel der Einheit der Bürger verankert; von Salzfluten umgeben, doch von weisen Ratschlüssen beschützt.«
Ungeachtet der Rivalität mit dem aufstrebenden Genua setzte Venedig die Ausdehnung seines Einflusses fort: Es unterwarf 1269 Umago in Istrien, 1270 Cittanova in Slowenien und 1271 San Lorenzo, wiederum in Istrien.
Es war eine glorreiche Epoche, in welche die Brüder Polo heimgekehrt waren. Und vermutlich war es auch der Schwung jener Jahre, das Was-kostet-die-Welt!, von dem sie um Ostern 1271 angetrieben wurden, ihr Wort beim Großkhan einzulösen. Ein Nachfolger für Klemens IV. war noch nicht gefunden und die