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In Nacht und Eis. Fridtjof NansenЧитать онлайн книгу.

In Nacht und Eis - Fridtjof  Nansen


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auf die Insel vorgedrungen, und zwar jeweils vom besiedelten Westen her. Nansen dagegen beabsichtigte, die Eiswüste von Osten aus zu durchqueren. Er schloss in aller Eile sein Promotionsverfahren ab und startete von Kristiania vier Tage danach, am 2. Mai 1888. Was ihm hinterdreinscholl, war nicht die Ermutigung durch seine Landsleute, kein »Hals- und Beinbruch!« oder »Mast- und Schotbruch!«, sondern der bare Hohn. Die Presse hielt die Operation eher für toll denn für kühn und kündigte an: »Im Juni dieses Jahres wird Herr Konservator Nansen eine Vorstellung im Schneeschuhlaufen mit ›Weitsprung‹ auf dem grönländischen Inlandseise geben. – Feste Sitzplätze in den Eisspalten. Rückfahrkarten sind überflüssig.« Fridtjof Nansen münzte solche Schmähung um in die Parole: »Der Tod oder Grönlands Westküste.«

      Es war tatsächlich ein Hinter-sich-alle-Brücken-Abbrechen und damit jenes Handlungsmuster, das Fridtjof Nansen, als er es eines Tages repetierte, den größten Ruhm bescheren sollte. Vorerst nötigte es bloß dazu, aus der Situation, in die sich der Sechsundzwanzigjährige zusammen mit seinen fünf Begleitern begeben hatte, wieder heil herauszukommen.

      Am 15. August waren sie – nach der Überwindung zahlreicher Missgeschicke bei der Anfahrt zum östlichen Gestade Grönlands – oberhalb des vierundsechzigsten Breitengrads aufgebrochen. Ihr Bestimmungsort war Kristianshaab auf der anderen Seite der Insel. Die Entfernung dorthin betrug in der Luftlinie sechshundert Kilometer.

      Sie zu überwinden bedeutete, in den nächsten Wochen bei Temperaturen von minus vierzig Grad zwischen Eisklüften und Schneewällen enorme Strapazen zu erleiden. Dennoch nahm die Expedition nie eine bedrohliche Wendung; vielmehr verlief sie in einer Gleichförmigkeit, in die allein die Zubereitung von Mahlzeiten und das Sammeln von Messwerten Abwechslung brachten, bis auch dies zum eintönigen Trott gehörte.

      Wohlbehalten erreichten die Männer auf diese Weise am 3. Oktober 1888 die Ansiedlung Godthaab. Da wegen des sich ankündigenden Winters freilich das letzte Schiff den Flecken jüngst verlassen hatte, mussten sie bis zum Frühjahr im Müßiggang des Eskimolebens verweilen: sechs Europäer an einem Ort in der Weite des Eises, die Rang und Namen nichtig macht.

      Aber als Nansen dann am 30. Mai 1889 mit seinen Getreuen unter Böllergetöse und Menschengeschrei und Sirenengeheul nach Kristiania heimkam, war dieser Einzug der Triumphmarsch eines Helden, eines Nationalidols.

      Ein Norweger hatte als Erster Grönland durchquert und damit bestätigt, was Fridtjof Nansen verkündet hatte: dass nämlich sein Volk »für die Polarforschung am ehesten geeignet ist«.

      Und auch wenn er nun Anstalten machte, sich zu etablieren – er wurde Kustos am Zootomischen Institut der Universität Kristiania, er heiratete, baute ein Haus und schrieb darin Bücher und wurde Vater –, so war doch das »Chaos der Disharmonien« dermaßen virulent, dass er an ein dauerhaftes Sesshaftwerden nicht denken mochte. Zu sehr beschäftigten ihn schon seit Langem jene Überreste der »Jeannette«, die man in Grönland als Strandgut aufgelesen hatte.

      Was wäre, wenn sie vom Eis gleich einer Last zum Nordpol oder dicht an ihm vorbei nach Westen gedriftet waren? Und was wäre, wenn man solches mutwillig wiederholte? Das heißt: mit einem Schiff, dessen Wandung so abgerundet ist, dass das Eis daran abgleiten muss und demzufolge, wenn die Pressung beginnt, den Rumpf aus dem Wasser empordrückt. Wie ein blinder Passagier würde das Fahrzeug auf dem Rücken des Eises die Reise nach Westen mittun und dabei im besten Fall den Nordpol berühren.

      Das Land konnte seinem Helden den Bau dieser Arche nicht verwehren. Und so lief die »Fram«, der Nansen ihren Namen nach der Lektüre eines Romans von Jules Verne gegeben hatte, im Oktober 1892 vom Stapel. Acht Monate später stach Fridtjof Nansen in Begleitung von zwölf Gefährten erneut mit Kurs aufs Eismeer in See. »Möge es«, flehte Nansen in einer Fachzeitschrift, »das Banner Norwegens sein, das als erstes über unserem Pol weht!« Die Fahrt zu »unserem Pol« galt also nicht voraussetzungslos dem Wissen und der Wahrheit, sondern war eine Demonstration des norwegischen Patriotismus. Sie war ein Abenteuer, ein Hasardspiel um alles oder nichts, das am Ende lediglich seinen Einsatz abwarf: absonderlich mithin und spannend – Fridtjof Nansens Geschichte In Nacht und Eis.

      Sie hebt gemächlich an mit dem Abschied von Frau und Kind und dem langsamen Herantasten an die Packeisgrenze westlich von Sewernaja Semlja, wo Nansens

      Theorie bestätigt wurde: Während das Wasser um die »Fram« herum allmählich zufror und die Klumpen und Kloben nun andrängten und -drückten, fanden sie keinen Halt und waren gezwungen, sich unter den Corpus des Schiffes zu schieben und ihn rumpelnd und ruckend auf die Schollen zu wuchten. Huckepack zum Nordpol!

      Nachdem die dreizehn Männer anfangs noch geschäftig waren sich einzurichten, Messstationen und eine Windmaschine aufzubauen, stellte sich doch binnen Kurzem eine Monotonie des Existenzrhythmus ein, die jener ähnelte, der Nansen auf seinem Marsch durch Grönland ausgesetzt war. Und so meldete sich auch das »Chaos der Disharmonien« zurück. »Mein Geist ist verwirrt«, notierte er nächtens in seiner Kajüte, »alles ist in Unordnung geraten, ich bin mir selbst ein Rätsel. Ich bin abgenutzt und fühle doch keine besondere Ermüdung. Alles um mich herum ist Leere und mein Gehirn ist ein weißes Blatt.« So vergingen die Wochen und die Monate und zuletzt gar die Jahre … 1893 … 1894 …

      Er hatte seit Langem berechnet, dass die »Fram« zwar wie erwartet nach Westen driftete, den Pol indes nicht streifen würde. Da entschloss er sich, in Begleitung von Hjalmar Johansen die leidlich sichere Behausung seines Schiffes zu verlassen und auf Brettern das Traumziel anzugehen. Als ob die Losung jetzt lauten würde: »Der Tod oder der Nordpol.«

      An Wahnwitz war das Vorhaben nicht zu übertreffen. Denn abgesehen von den Unwägbarkeiten, die den beiden bevorstehen mochten – wie wollten sie vom Rand der Packeiskappe in die Heimat übersetzen, wo die schiere Entfernung vom Nordpol – vorausgesetzt, sie würden ihn erreichen – nach Kristiania jener von hier nach Neapel entsprach? Eine Distanz, auf der man sich’s keinesfalls auf Fähren und in Wagon-Lits wohl sein lassen konnte, sondern die in Kajaks und auf Skiern Schritt für Schritt und Schlag für Schlag durchlitten werden musste. Und womit würde die Plackerei enden?

      Wieder brach Fridtjof Nansen alle Brücken hinter sich ab, als er am 14. März 1895 mit Hjalmar Johansen davonzog … Die Hunde vor den drei Schlitten mit vielerlei Gepäck waren der ambulante Proviant. Und schien dem »Unternehmen Nordpol« auch zuerst ein guter Stern zu leuchten, so erwies sich doch alsbald, dass es nicht zu meistern war: Im zähen Ringen gegen die Widerstände der Natur büßten die Männer ihren Wegmesser ein; sie vergaßen ihre Uhren aufzuziehen und konnten (weil man hierzu wissen muss, wann es zwölf Uhr mittags ist) ihre Position nicht mehr bestimmen; ja: nach fünfundzwanzig Tagen saßen sie in einem Feld von verkanteten Eisblöcken fest.

      Da befahl Fridtjof Nansen am 8. April 1895 den Rückzug.

      Sie wähnten auf einer nördlichen Breite von 86°14’ zu sein, hatten tatsächlich nur 86°04’ erreicht – auch dies immerhin eine Höhe, auf der noch nie ein Mensch gewesen war – und kehrten jetzt um. Aufs Geratewohl Richtung Süden. In abstracto schnitten sie irgendwo die Linie, auf der die »Fram« derweil entlanggedriftet war, und verloren sich zeitlos und ortlos.

      Das Zeugnis Fridtjof Nansens von der dritten Überwinterung in Nacht und Eis, vom neunmonatigen Dahinvegetieren in einem Erdstollen, von Eisbärattacken, von Stürzen ins Meer und der glücklichen Wiedervereinigung mit der Mannschaft der »Fram« – diese suspense story, der kein Vorwort je die Spannung rauben darf, besticht durch ihre Ehrlichkeit.

      Man kann seither, nachdem er das verwegene Abenteurertum aufgegeben hatte und als Politiker im In- und Ausland hoch geschätzt und 1920 für seine Verdienste um die Opfer des Ersten Weltkriegs mit dem Friedensnobelpreis geehrt worden war, davon lesen, dass der Realpolitiker Nansen im Grunde ein Fantast war. Wohl bedacht schließt sein Buch mit dem Satz: »Aber welchen Wert hätte das Leben ohne seine Träume?«

      Damals hatte er sich ausgemalt, den Nordpol zu erreichen. Später – und über Nansens Tod am 13. Mai


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