Butler Parker Jubiläumsbox 6 – Kriminalroman. Günter DöngesЧитать онлайн книгу.
sein Mörder bereits hinter ihm war …
*
Josuah Parker durchsuchte die Taschen des Toten.
Das Detektivbüro im ›Jackson‹ wußte bereits, was passiert war. Es hatte die Mordkommission verständigt. Parker war neben der Leiche des Erhängten zurückgeblieben und nutzte die Gelegenheit, aus erster Hand ein paar Privatinformationen zu sammeln.
Ihm fiel sofort auf, daß die Brieftasche des Toten fehlte. Er wußte natürlich nicht mit letzter Sicherheit, daß dieser Mann eine besessen hatte. Doch dem ganzen Typ nach zu urteilen, mußte der Tote eine Brieftasche gehabt haben.
War er umgebracht worden, um sie zu stehlen? Oder hatte der Mörder sie mitgenommen, um die Identifizierung der Leiche zu erschweren?
Parker ging schnell, aber methodisch vor.
In der linken Hosentasche des Toten fand er einen Schlüsselbund, ein Taschentuch und einige Tickets von der Cable-Car.
In der rechten Hosentasche entdeckte Parker einen einzelnen Schlüssel, an dem ein Plastikanhänger befestigt war. ›Central-Garagen‹ stand darauf. Der Schlüssel gehörte wahrscheinlich zu einer abschließbaren Autobox dieser Garage.
Die Innentasche des Jacketts, wo sich gewöhnlich die Brieftasche befindet, war leer.
In der rechten Innentasche stießen Parkers Finger auf einige Papiere. Er zog sie hervor. Sie waren eine Wäscherechnung, zwei Tage alt, und ein Telegrammformular.
Schnell überflog er den Text.
Der Absender war ein gewisser Ted Surtees. Er teilte einem Frank Carpenter mit, Treffpunkt sei das ›Jackson‹ und zwar um 12.30 Uhr in der dritten Etage. Herrenabteilung.
Parker sah zur elektrischen Uhr hoch, die an der Trennwand anmontiert war. Sie zeigte bereits 13.00 Uhr.
War Frank Carpenter, wie der Erhängte wohl hieß, von diesem Ted Surtees erhängt worden? Motiv des Mordes mußte die Brieftasche gewesen sein. Nur sie allein. Sonst hätte der Mörder alle sonstigen Hinweise auf die Identität seines Opfers verschwinden lassen.
Josuah Parker merkte sich die Adressen von Frank Carpenter und Ted Surtees. Mehr war im Moment nicht zu tun, zumal die Mitglieder der Mordkommission erschienen …
*
Die Tür des Lifts glitt ins Schloß.
Der Taschendieb, der Mörder und Hausdetektiv Lesley Porch waren allein in der engen Kabine.
Der Mörder lehnte sich mit dem Rücken gegen die Kabinenwand. Er lächelte den Hausdetektiv freundlich an. Die Mordgedanken hinter seiner Stirn waren nicht zu erraten.
Der junge Taschendieb seufzte auf. Er fühlte sich sehr unbehaglich. Er kam nicht auf den Gedanken, den Detektiv anzufallen. Dazu fühlte er sich viel zu schwach.
»In ein paar Minuten werden Sie Ihre Brieftasche haben«, meinte Porch zu dem Mörder.
»Kommt jetzt nicht mehr darauf an«, gab der Mörder lächelnd zurück. »Ich war eben vielleicht etwas zu nervös.«
»Verständlich, wenn einem der Anzug aufgeschlitzt worden ist«, erwiderte Porch. »Ich denke, der Schaden läßt sich mit der Direktion regeln.«
»Warten wir’s ab«, gab der Mörder zurück. Er wies auf die Druckknöpfe, die den Fahrstuhl in Bewegung setzten. »Warum fahren wir nicht?«
»Ich nehme dort den Kollegen noch mit«, meinte Lesley Porch. Er wies durch die Glasscheibe. Der Mörder sah einen Mann, der auf den Lift zueilte.
Betrat dieser Mann die Kabine, dann standen die Chancen schlecht, sofort an die Brieftasche heranzukommen. Der Mörder wußte es. Eine Sekunde lang war er versucht, den Startknopf auf der Signaltafel zu drücken und dann sofort zu schießen. Er mußte auf jeden Fall verhindern, daß die Brieftasche geöffnet und durchsucht wurde. Solch ein Risiko konnte er unmöglich eingehen.
Der Mörder beobachtete den näherkommenden Mann.
Zu seiner Überraschung und Erleichterung winkte der Mann ab. Er wollte nicht mit hinauffahren. Er schüttelte zusätzlich den Kopf und bog dann nach rechts ab. Sekunden später verschwand er hinter einer hochgetürmten Stoffauslage.
»Dann eben nicht«, meinte Lesley Porch. Er war nach wie vor ahnungslos. Der Mörder lächelte freundlich. Nun konnte sein Plan nicht mehr schiefgehen. Er blieb gelassen, sah zu, als der Hausdetektiv den Startknopf des Lifts eindrückte.
Der Lift hob sofort ab und schwebte nach oben.
Der Mörder umklammerte seine automatische Waffe. Er wollte durch den Anzugstoff schießen. Der junge Taschendieb war überhaupt kein Problem. Wahrscheinlich würde er sich vor Schreck nicht rühren, wenn der Schuß erst einmal gefallen war.
Er schob den Sicherungsbügel herum. Sein Zeigefinger krümmte sich. Er nahm Druckpunkt …
*
Josuah Parker stand vor der Glastür des Lifts im dritten Geschoß. An der außen angebrachten Signaltafel erkannte er, daß der Lift in Bewegung war und nach oben fuhr. Um sich die Treppen hinauf in die vierte Etage zu sparen, blieb der Butler stehen. Er wollte zusteigen.
Die Kabine schwebte heran. Die dicken Drahtseile zitterten, die Kabelschlange rutschte in sich zusammen.
Dann schwebte der Lift auf die Glastür zu.
In diesem Moment hörte der Butler einen peitschenartigen Knall, als sei irgendwo eine Sicherung zersprungen.
Butler Parker trat sofort zur Seite, um von der Kabine aus nicht gesehen zu werden. Er wußte aus langer Erfahrung, welches Gerät diesen eigenartigen Knall verursacht hatte. Im Lift mußte geschossen worden sein!
Die Kabine erreichte den Türausschnitt und hielt an.
Josuah Parker hakte den Universal-Regenschirm von seinem linken Unterarm los und ging in Ausfallstellung. Er war sich sicher, daß er und sein Regenschirm Arbeit bekamen.
Die Tür öffnete sich.
Ein junger Mann torkelte aus der Kabine heraus, raffte sich auf und rannte dann in langen Sprüngen davon.
Parker rührte sich nicht von der Stelle. Er haßte unnötige Bewegungen. Er nahm dafür den Universal-Regenschirm hoch und zweckentfremdete ihn in einen behelfsmäßigen Speer. Mit dem Bambusgriff voran schoß dieser Behelfsspeer durch die Luft. Er landete zwischen den Schulterblättern des jungen Mannes und riß ihn mit seinem Schwung von den Beinen. Der junge Mann stolperte, verlor das Gleichgewicht und fiel gegen das Fußgestell eines Kleiderständers. Es gab einen dumpfen Laut, als sein Kopf aufprallte. Der junge Mann rollte auf die Seite und blieb dann regungslos liegen.
Parker wandte sich dem Lift zu. Verständlicherweise hatte er erst jetzt dafür Zeit. Als er in die Kabine hineinblicken wollte, peitschte ein Schuß auf.
Das Geschoß pfiff haarscharf an seinem Kopf vorbei, sirrte durch die Luft und schlug gegen eine Wasserdüse unter der Decke. Die Druckleitung brach auseinander. Ein daumendicker Wasserstrahl zwängte sich durch diese Öffnung.
Der Lift war in Bewegung gesetzt worden. Er schwebte bereits nach oben.
Parker kam zu spät, um diesen Schuß mit seiner eigenen Waffe zu beantworten. Er hielt zwar den vorsintflutlichen Colt in der Hand, doch er drückte nicht ab. Er hätte doch nicht getroffen.
Um den Fahrstuhl einzuholen, mußte Parker sich nun sehr beeilen. Auf der anderen Seite bestand die Gefahr, daß der junge Mann, der aus der Kabine geflüchtet war, erwachte und sich davonmachte.
Weit und breit war keine Hilfe zu sehen …
Der Schuß aus dem Lift hatte alle Kunden und Verkäufer in Deckung gehen lassen. Keiner traute sich hervor.
Parker konnte nicht wissen, daß sich in dem Lift eine Tragödie abgespielt hatte. Er wußte nichts von Hausdetektiv Lesley Porch. Deshalb kümmerte er sich erst mal um den jungen Mann. Von ihm erhoffte er zu erfahren, wer der Schütze im Lift war.