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Im Hause des Kommerzienrates. Eugenie MarlittЧитать онлайн книгу.

Im Hause des Kommerzienrates - Eugenie  Marlitt


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Pastellbild, das den alten Herrn in seiner Amtstracht vorstellte. Ein köstlicher Schmuck aber waren die Pflanzengruppen an den zwei hohen und breiten Fenstern, die Azaleen- und Palmenarten, die prachtvollen Gummibäume, warm und kräftig vergoldet von dem die klaren Filetgardinen durchbrechenden Sonnenlicht. Die Goldfische in der Glasschale und der Singvogel im Messingkäfig, diese Pfleglinge einsamer Frauen, fehlten auch hier nicht; auf den Fenstersimsen blühten Frühlingsblumen, buntfarbige Hyazinthen und die träumerisch gesenkten Häupter der weißen Narzisse — das Nähtischchen aber stand in einer förmlichen Nische von Lorbeerlaub.

      »Meine Zöglinge — ich hab' sie fast vom Samenkorn an erzogen,« sagte die Tante, dem bewundernden Blick des jungen Mädchens folgend. »Die schönsten und liebsten habe ich selbstverständlich dem Doktor ins Zimmer gestellt.« Sie schob die angelehnte Thür des Nebenzimmers zurück und führte Käthe hinüber.

      »Selbstverständlich!« wie das klang! So weiblich demütig, so mütterlich liebend und — verziehend ... Sie hatte ihm »selbstverständlich« auch das schönste Zimmer im Hause ausgesucht, das Eckzimmer, an dessen östlich gelegenen Fenstern der Fluß vorbeirauschte. Ueber den breiten Wasserstreifen hinaus that sich eine der hübschesten Parkpartien auf, und fern, hinter Lindenwipfeln, glänzte bläulich das Schieferdach der Villa ... Zwischen diesen Fenstern, an der sehr schmalen Spiegelwand, stand der Schreibtisch; wenn der Doktor die Augen vom Papier hob, dann sah er dort die Fahnenstangen in den Himmel hineinragen — in den Himmel! Käthe fühlte plötzlich ihre Wangen in heißer Scham brennen; hier bot zärtliche Fürsorge alles auf, dem Mann verstohlen das Süßeste, das Geliebteste nahe zu rücken, und dort drüben sann ihre treulose Schwester Tag und Nacht darauf, ihn aus seinem Himmel zu stoßen. Mit dem frivolen »Beglücke du ihn doch!« hatte sie vorhin ihre Anrechte verächtlich ausgeboten.

      Ob die warmherzige, zartempfindende Frau, die da neben ihr stand, es wohl ahnte, oder vielleicht auch nur instinktmäßig fühlte, daß über kurz oder lang ein unabwendbares Leid, wie es ihn schwerer nicht treffen konnte, über ihren Liebling hereinbrechen werde? Sie hatte Käthe nicht aufgenommen wie eine kaum in die Heimat Zurückgekehrte, den Familienverhältnissen Entfremdete, sondern als Brucks jüngste Schwägerin, die notwendig mit allen Beziehungen so vertraut sein müsse, daß sie sich gar nicht erst als Tante vorzustellen brauche — demnach mußte ihr Verkehr in der Villa Baumgarten kein intimer sein, und es war in diesem Moment, als wolle sie die Annahme bestätigen, denn sie zeigte nach der leeren Spiegelwand über dem Schreibtisch und sagte unbefangen: »Ich bin noch nicht fertig mit der Einrichtung — da fehlt noch die Photographie der Braut und das Oelbild seiner Mutter, meiner lieben, verstorbenen Schwester.«

      Sonst fehlte nichts mehr in dem unbeschreiblich anheimelnden Zimmer. Der Doktor, der heute mit dem Abendzuge zurückkehren sollte, hatte keine Ahnung, daß er die Tante nicht mehr in der Stadt finden werde. Sie hatte ihm den Umzugstrubel ersparen wollen, und der Kommerzienrat war, wie sie dankbar sagte, so sehr zuvorkommend gewesen, ihr zu dem Zwecke das Haus sofort zu übergeben.

      Während dieser Mitteilungen glitt die Frau Diakonus immer noch ordnend, aber so geräuschlosen, behutsamen Trittes umher, als säße der Doktor bereits dort am Schreibtisch über seinem neuen Werke, zu dessen ungestörter Vollendung er sich eben »das Zimmer im Grünen« vorbehalten hatte. Und dann schloß sie ein Wandschränkchen neben dem Büchergestell auf und nahm einen Teller mit Prophetenkuchen heraus. Mit einer anmutigen Gebärde hielt sie dem jungen Mädchen das einfache Gebäck hin. »Es ist ganz frisch — ich hab' es heute, trotz aller Umzugsarbeit, gebacken. Der Doktor braucht immer dergleichen für kleine widerhaarige Patienten ... Wein aber kann ich Ihnen nicht anbieten; die wenigen Flaschen, auf die wir halten, habe ich in der Stadt gelassen; sie gehören den Schwerkranken.«

      Käthe dachte an die vielen Papiere in ihrem Geldschrank, die »bienenfleißig arbeiten«, um immer neue Geldströme aus der Welt herbeizuziehen, an den reichausgestatteten Weinkeller im Turm, an ihre übermütige cigarrenrauchende Schwester zwischen den purpurfarbenen Polstern des Ruhebettes — welch ein ungeheurer Kontrast zu diesem einfachen Genügen und Entsagen! Das Herz ging ihr auf; sie erzählte von ihrer Pflegemutter und der weisen, festen und doch so wohlthuenden Art, wie sie wirke und andere beeinflusse, wie sie die fleißigen Hände rege und von der Pflegetochter dasselbe verlange.

      »Was aber sagt die Frau Präsidentin zu diesem Erziehungssystem?« fragte die Tante fein lächelnd, während ihr Blick im geheimen Wohlgefallen an der blühenden Jugendgestalt hing.

      »Ich weiß es nicht,« versetzte Käthe achselzuckend, mit mutwillig aufblitzenden Augen, »aber ich glaube, meine Bewegungen sind ihr zu rasch, meine Stimme klingt ihr zu laut, ich bin ihr zu robust und nicht blaß genug. Gott mag wissen, wie viel Not man mit mir hat! — Ist dies das Portrait Ihrer Frau Schwester?« fragte sie plötzlich ablenkend und zeigte nach dem Oelbild einer hübschen Frau, das an der Wand lehnte.

      Die alte Dame bejahte die Frage. »Es macht mir angst, bis ich es wieder an seinem sicheren Platz sehe; der Rahmen ist ein wenig hinfällig,« sagte sie. »Aber ich leide an Schwindel und darf mich nicht auf die Leiter wagen ... Vor einigen Wochen habe ich das Dienstmädchen abgeschafft,« — eine zarte Röte stieg ihr in das Gesicht — »und nun muß ich warten, bis die Aufwärterin kommt und mir die letzten Bilder und meine Bettgardine aufhängt.«

      Schon bei den ersten Worten dieser Auseinandersetzung war Käthe an den Schreibtisch getreten; sie legte den Sonnenschirm auf die Platte desselben und steckte unbedenklich den kleinen Strauß von Weidenkätzchen und Leberblümchen in ein zierliches milchweißes Trinkglas, das neben dem Schreibzeuge stand. Dann zog sie mit einem kräftigen Rucke den Arbeitstisch tiefer in das Zimmer und stellte einen Rohrstuhl an die Wand. »Darf ich?« fragte sie zutraulich und griff nach Hammer und Nägeln, die auf dem Fenstersimse bereit lagen.

      Dankbar lächelnd brachte die Tante das Bild herbei, und nach wenigen Augenblicken hing es an der Wand. Käthe bebte unwillkürlich zurück, als ihr die Dame nun auch Floras Photographie hinhielt. Sie sollte mit eigener Hand dem verratenen Manne das Bild vor die Augen führen, das schon nicht mehr sein Eigentum war — binnen kurzem wurde es zurückgefordert, so gut wie der Ring, den er noch am Finger trug. Welche peinvolle Lage! Und jetzt ließ die Tante auch noch liebkosend die Hand über das Portrait hingleiten. »Sie ist so wunderschön,« sagte sie zärtlich. »Ich kenne sie im Grunde wenig; sie besucht mich sehr selten; wie könnte ich alte Frau denn auch verlangen, daß sie sich bei mir langweilen soll, aber ich habe sie doch von Herzen lieb; sie liebt ihn ja und wird ihn glücklich machen.«

      Diese unbegreifliche Ahnungslosigkeit! Dem jungen Mädchen war es, als brenne der Stuhl unter ihren Füßen — sie hatte zu kopflos gehandelt. Nach allem, was sie eben noch drüben im Turme mit angehört, durfte sie hier nicht eintreten. Sie kam sich falsch und heuchlerisch vor, weil sie nicht der Frau sofort das Bild aus der Hand stieß und ihr die Schlange enthüllte, die nach ihrem Herzen zischte. Und doch durfte ihr kein Wort entschlüpfen. Sie schlug so heftig auf den Nagel, daß die Wand dröhnte, dann hing sie mit spitzen Fingern die Photographie hin und sprang vom Stuhle. Wie ein schöner, böser, triumphierender Dämon lächelte das verführerische Gesicht der Schwester auf den Schreibtisch nieder.

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