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Im Hause des Kommerzienrates. Eugenie MarlittЧитать онлайн книгу.

Im Hause des Kommerzienrates - Eugenie  Marlitt


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Vorwurf zu machen; er hat seine ganze Kunst, sein ganzes Wissen aufgeboten —«

      »Lieber Moritz, darüber mußt du meinen alten Freund, den Medizinalrat von Bär, hören!« unterbrach ihn die Präsidentin und klopfte ihn leicht auf die Schulter. Sie winkte bedeutungsvoll mit den Augen nach Flora, die an ihren Schreibtisch getreten war.

      »O, geniere dich nur nicht, Großmama! Glaubst du denn, ich sei so blind und dumm, um mir nicht selbst zu sagen, wie Bär urteilt?« rief das schöne Mädchen bitter. Ihre Lippen zuckten wie im Krampf. »Uebrigens hat Bruck bereits sich selbst gerichtet; er hat nicht gewagt, mir heute abend noch unter die Augen zu treten.«

      Henriette hatte bis dahin mit dem Rücken gegen die anderen gestanden. Jetzt wandte sie sich um; eine hohe Röte schoß in ihr fahles Gesicht und erlosch ebenso rasch wieder. Das Mädchen hatte ein wunderschönes tiefes Auge, ein Auge voll leidenschaftlicher Empfindung. Diese großen flimmernden Sterne richteten sich mit einem Gemisch von scheuem Schrecken und jäh aufglühendem Haß auf das Gesicht der Schwester.

      »Nun, diesen Verdacht wird er widerlegen — er kommt noch, Flora,« sagte der Kommerzienrat sichtlich erleichtert. »Er wird dir selbst sagen, daß er den Tag über wie gehetzt gewesen ist. Du weißt ja, daß er mehrere Schwerkranke in der Stadt hat, darunter das arme, kleine Mädchen des Kaufmann Lenz, das heute nacht noch sterben wird.«

       Die junge Dame stieß ein leises, bitteres Lachen aus. »Wird es sterben? Wirklich, Moritz? ... Nun sieh, Bär war auch hier bei mir, ehe er zur Großmama ging; er sprach auch von dem Kinde, das er gestern gesehen hatte, und meinte, der Fall sei leicht — er fürchte nur, Bruck sei auf falscher Fährte! Bär ist eine Autorität —«

      »Ja, eine Autorität voll zitternden Neides,« sagte Henriette mit vibrierender Stimme. Sie war rasch hinzugetreten und legte ihre Hand auf den Arm ihres Schwagers. »Gib es auf, Moritz, Flora zu bekehren! Du siehst doch, sie will ihren Bräutigam schuldig finden.«

      »Ich will? ... Boshaftes Geschöpf! Ich gäbe sofort mein halbes Vermögen hin, wenn ich noch so denken könnte wie zu Anfang meiner Brautschaft, so stolz, so zuversichtlich zu Bruck aufsehend,« rief Flora leidenschaftlich. »Aber seit dem Tode der Gräfin Wallendorf trage ich stillschweigend die fortgesetzte Qual der Zweifel, des Mißtrauens mit mir herum — heute zweifle ich nicht mehr, denn ich bin überzeugt. Jene Schwäche des Weibes kenne ich freilich nicht, das nur liebt, ohne zu fragen: Ist der Geliebte der Hingebung auch würdig? ... Ich bin ehrgeizig, glühend ehrgeizig, das können alle wissen. Ohne diese Triebfeder würde ich auch mit dem großen Haufen der Schwachen und Indolenten meines Geschlechts auf der breiten Heerstraße der Alltäglichkeit ziehen — Gott soll mich behüten! Wie andere strebende und denkende Frauen es möglich machen, ruhig und gleichmütig mit einem unbedeutenden Mann durchs Leben zu gehen, ist mir stets unfaßlich gewesen — ich würde zeitlebens erröten unter den Blicken der Menschen.«

      »O — so verschämt würdest du sein? Sieh, sieh! — Allerdings, dazu gehört auch mehr Mut, als vor einem kecken Auditorium von Studenten über Aesthetik und dergleichen zu lesen,« rief Henriette jetzt in der That mit einem boshaften Lächeln.

      Flora ließ einen Blick voll Verachtung über die kleine Schwester hinstreifen. »Solch eine kleine Viper läßt man ruhig zischen. Was weißt du von einem Ideal?« sagte sie achselzuckend. »Aber recht hast du, wenn du glaubst, mein Platz sei weit eher auf dem Katheder, als an der Seite eines Mannes, der sich als Stümper in seiner Wissenschaft dokumentiert — eine solche Fessel ertrage ich nicht.«

      »Kind, das ist deine Sache,« erklärte die Präsidentin gelassen, während der Kommerzienrat in namenloser Bestürzung zurückfuhr. »Du wirst dich erinnern, daß dich niemand gezwungen noch überredet hat, deinen Kopf in diese Fessel zu stecken.«

      »Das weiß ich sehr genau, Großmama; ich weiß auch, daß du es weit lieber gesehen hättest, wenn ich die Frau des an Geld und Körper bankrotten Kammerherrn von Stetten geworden wäre. Ich gebe dir ebenso gern zu, daß ich mich nie von irgend einem Menschen beeinflussen oder gar leiten lasse, weil ich am besten wissen muß, was mir frommt.«

      »Das wird dir auch stets unbenommen sein,« versetzte die Großmama mit vornehmer Kälte. »Nur eines gebe ich dir zu bedenken: du wirst eine entschiedene Gegnerin an mir haben, wenn die Sache auf einen Eklat hinausläuft. Darin kennst du mich hoffentlich. Ich ertrage weit eher inneren Unfrieden als einen Familienskandal nach außen. Ich lebe mit euch zusammen und habe gern die Repräsentation dieses Hauses übernommen; dafür verlange ich aber auch die unbedingteste Rücksicht für meine Stellung und meinen Namen. Ich will nicht, daß man in der Gesellschaft über uns flüstert und zischelt.«

      Der Kommerzienrat wandte sich rasch ab. Er trat an das eine unverhüllte Fenster und starrte in die Nacht hinaus. Der Wind, der sich allmählich zum Sturme steigerte, fauchte rüttelnd an den Scheiben hin, und in dem feurig roten Streifen, den die Lampe des anderen Fensters stet und unbeirrt über die windgeschüttelten Büsche warf, fuhren die blutig gefärbten Schneeflocken im rasenden Wirbel durcheinander wie die marternden Gedanken in seinem Kopfe. Er hatte vorhin mit sich gekämpft, ob er nicht Flora wenigstens den Vorfall wahrheitsgetreu mitteilen solle — jetzt wußte er, daß gerade ihr gegenüber kein Laut über seine Lippen kommen durfte, wenn er nicht wollte, daß die Präsidentin um des »Zischelns und Flüsterns in der Gesellschaft« willen sich von ihm lossagte; er mußte sich eingestehen, daß das ehrgeizige schöne Mädchen sofort sein Geständnis in die Welt hinausschreien würde, weniger aus Liebe, als um den Schein von sich zu wenden, daß sie sich hinsichtlich der Wahl ihres Herzens oder eigentlich ihres Verstandes geirrt habe.

      Währenddem stand Henriette, das kleine, mißgestaltete Mädchen, mit Augen voll Grimm und Spott vor der Großmutter. »Also nur in Rücksicht auf das Gerede der Leute wünschest du, daß sich meine Schwester tadellos aus der Affaire ziehe? Damit kommt sie ja sehr wohlfeil weg. Du sprichst sie ohne Bedenken frei, wenn sie nur dem Treubruche ein seidenes Mäntelchen umzuhängen versteht. Uebrigens brauchst du wegen des Eklats wirklich nicht so entsetzlich penibel zu sein, Großmama — man muß im Salon leben wie wir, um zu wissen, daß die Gesellschaft es mit so manchen vornehmen Sündern hält wie mit dem alten Meißener Porzellan: je öfter gekittet, desto begehrter!«

      »Ich werde dich wohl ersuchen müssen, den Rest des Abends auf deinem Zimmer zu verbringen, Henriette,« zürnte die Präsidentin jetzt ernstlich. »Mit dieser verbitterten Stimmung kann ich dir die Rückkehr in den Salon nicht gestatten.«

      »Wie du befiehlst, Großmama! Gelt, Hans, wir gehen mit tausend Freuden,« sagte sie lächelnd und drückte die Wangen auf das Gefieder des Vögelchens, das noch auf ihrer Rechten saß. »Du kannst auch die alten Hofdamen nicht leiden, und die große medizinische Autorität, den Herrn von Bär, zwickst du regelmäßig in den Finger, wenn er dich mit Zucker kirren will, braver Bursche ... Gute Nacht, Großmama — gute Nacht, Moritz!« Sie hemmte noch einmal ihre hastigen Schritte und wandte sich zurück. »Die Charaktervolle dort,« sagte sie mit schneidender Ironie, »wird hoffentlich den Weg innehalten, den ihr der selige Papa unerbittlich vorgeschrieben haben würde — mit ihrer Renommage bezüglich des eigenen Willens hat sie sich zu seinen Lebzeiten niemals hervorwagen dürfen. Er würde ihr nie gestattet haben, einem Ehrenmanne das gegebene Wort zu brechen.«

      Mit trotzig zurückgeworfenem Kopfe ging sie hinaus, aber schon auf der Schwelle stürzten ihr die heißen Thränen, die bereits in ihren letzten Worten mitgeklungen hatten, unaufhaltsam über die Wangen.

      »Gott sei Dank, daß sie geht!« rief Flora. »Man braucht wirklich das höchste Maß der Selbstbeherrschung, um nicht ihr gegenüber die Geduld zu verlieren.«

      »Ich vergesse nie, daß sie eine Kranke ist,« bemerkte die Präsidentin trocken zurechtweisend.

      »Und in einer Art hatte sie doch auch recht, Flora,« wagte der Kommerzienrat trocken einzuwerfen.

      »Denke darüber, wie du willst, Moritz!« entgegnete die junge Dame kalt. »Ich habe dich nur dringend zu bitten, mir durch deine Einmischung die inneren Kämpfe nicht zu erschweren. Wie bereits gesagt, bin ich gewohnt, mit mir und anderen allein fertig zu werden, und so will ich's auch in diesem Falle gehalten


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