Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte. Wilhelm HauffЧитать онлайн книгу.
herzlichen Dank öffentlich sage, also sich ausspricht, was konnten die Kleinmeister und Jünger dagegen? Sie setzten sich auch in die schwarzgerauchte Kneipe, »verschlammten« sich recht tüchtig in dem »barbarischen Mittelalter«, und hatten kraft ihres inwohnenden Genies meine älteren Zöglinge bald überholt.
Siebentes Kapitel
Satan besucht die Kollegien, was er darin lernte
Indessen ich auf die beschriebene Weise praktisch lebte und leben machte, vergaß ich auch das »dic cur hic« nicht, und legte mich mit Ernst aufs Theoretische. Ich hörte die Philosophen und Theologen, und hospitierte nicht unfleißig bei den Juristen und Medizinern. Ich hatte, um zuerst über die Philosophen zu reden, von einem der hellsten Lichter jener Universität, wenn in der Ferne von ihm die Rede war, oft sagen hören, der Kerl hat den Teufel im Leib. Eine solche geheimnisvolle Tiefe, wollte man behaupten, solche überschwengliche Gedanken, solche Gedrungenheit des Stils, eine so hinreißende Beredsamkeit sei noch nicht gefunden worden in Israel. Ich habe ihn gehört und verwahre mich feierlich vor jenem Urteil, als ob ich in ihm gesessen wäre. Ich habe schon viel ausgestanden in der Welt, ich bin sogar Ev. Matthäi am VIII. 31 u. 32 in die Säue gefahren, aber in einen solchen Philosophen? – Nein, da wollte ich mich doch bedankt haben.
Was der gute Mann in seinem schläfrigen unangenehmen Ton vorbrachte, war für seine Zuhörer so gut als Französisch für einen Eskimo. Man mußte alles gehörig ins Deutsche übersetzen, ehe man darüber ins klare kam, daß er ebensowenig fliegen könne, wie ein anderer Mensch auch. Er aber machte sich groß, weil er aus seinen Schlüssen sich eine himmelhohe Jakobsleiter gezimmert und solche mit mystischem Firnis angepinselt hatte; auf dieser kletterte er nun zum blauen Äther hinan, versprach aus seiner Sonnenhöhe herabzurufen, was er geschaut habe, er stieg und stieg, bis er den Kopf durch die Wolken stieß, blickte hinein in das reine Blau des Himmels, das sich auf dem grünen Grasboden noch viel hübscher ausnimmt, als oben, und sah wie Sancho Pansa, als er auf dem hölzernen Pferd zur Sonne ritt, unter sich die Erde so groß wie ein Senfkorn und die Menschen wie Mücken, über sich – nichts.
Sie kommen mir vor, die guten Leute dieser Art wie die Männer von Babel, die einen großen Leuchtturm bauen wollten für alles Volk, damit sich keines verlaufe in der Wüste, und siehe da, der Herr verwirrte ihre Sprache, daß weder Meister noch Gesellen einander mehr verstanden.
Da lobe ich mir einen andern der dortigen Philosophen; er las über die Logik und deduzierte jahrein jahraus, daß zweimal zwei vier sei, und die Herren Studiosi schrieben ganze Stöße von Heften, daß zweimal zwei vier sei. Dieser Mann blieb doch ordentlich im Blachfeld und wanderte seinem Ziele mit größerer Gelassenheit zu, als seine illustren Kollegen, die, wenn ein anderer ihr Gewäsche nicht Evangelium nannte, Antikritiken und Metakritiken der Antikritiken in alle Welt aussandten.
Ich gestehe redlich, der Teufel amüsiert sich schlecht bei so bewandten Dingen. Ich schlug den Weg zu einem andern Hörsaal ein, wo man über die Seele des Menschen dozierte. Gerechter Himmel! wenn ich so viel Umstände machen müßte, um eine lüderliche Seele in mein Fegefeuer zu deduzieren! Der Mensch auf dem Katheder malte die Seele auf eine große schwarze Tafel, und sagte, »so ist sie, meine Herren«, damit war er aber nicht zufrieden, er behauptete, sie sitze oben in der Zirbeldrüse.
Ich quittierte die Philosophen und besuchte die Theologen. Um meine Leute näher kennenzulernen, beschloß ich, an einem Sonntag nach der Kirche einem oder dem andern meine Visite abzustatten. Ich kleidete mich ganz schwarz, daß ich ein ziemlich theologisches Air hatte, und trat meinen Marsch an; man hatte mir vorhergesagt, ich sollte keinen zu voreiligen Schluß auf den reinen und frommen Charakter dieser Männer machen; sie seien etwas nach dem alttestamentarischen Kostüm, vernachlässigen äußere Bildung, und fallen dadurch leicht ins Linkische.
Mein Herz mit Geduld gewaffnet, trat ich in das Zimmer des ersten Theologen. Aus einer bläulichen Rauchwolke erhob sich ein dicker ältlicher Mann in einem großgeblümten Schlafrock, eine ganz schwarze Meerschaumpfeife in der Hand. Er machte einen kurzen Knicks mit dem Kopf und sah mich dann ungeduldig und fragend an. Ich setzte ihm auseinander, wie mich die Philosophie gar nicht befriedige, und daß ich gesonnen sei, einige theologische Kollegien zu besuchen. Er murmelte einige unverständliche, aber wie es schien, gelehrte Bemerkungen, verzog beifällig lächelnd den Mund und schritt im Zimmer auf und ab.
Ich setzte die Einladung, ihn auf seinem Spaziergang zu begleiten, voraus, und schritt in ebenso gravitätischen Schritten neben ihm her, indem ich aufmerksam lauschte, was sein gelehrter Mund weiter vorbringen werde. Vergebens! Er grinzte hie und da noch etwas weniges, sprach aber kein Wort weiter, wenigstens verstand ich nichts als die Worte: »Pfeife rauchen?« ich merkte, daß er mir höflich eine Pfeife anbiete, konnte aber keinen Gebrauch davon machen, denn er rauchte wahrhaftig eine gar zu schlechte Nummer.
Ich habe mir schon lange abgewöhnt, über irgend etwas in Verlegenheit zu geraten, sonst hätte dieses absurde Schweigen des Professors mich gänzlich außer Fassung gebracht. So aber ging ich gemächlich neben ihm her, kehrte um, wenn er umkehrte, und zählte die Schritte, die sein Zimmer in der Länge maß. Nachdem ich das alte Ameublement, die verschiedenen Kleider-und Wäscherudera, die auf den Stühlen umherlagen, das wunderliche Chaos seines Arbeitstisches gemustert hatte, wagte ich meine prüfenden Blicke an den Professor selbst. Sein Aussehen war höchst sonderbar. Die Haare hingen ihm dünn und lang um die Glatze, die gestrickte Schlafmütze hielt er unter dem Arm. Der Schlafrock war an den Ellbogen zerrissen, und hatte verschiedene Löcher, die durch Unvorsichtigkeit hineingebrannt schienen. Das eine Bein war mit einem schwarzseidenen Strumpf und der Fuß mit einem Schnallenschuh bekleidet, der andere stak in einem weiten, abgelaufenen Filzpantoffel, und um das halbentblößte Bein hing ein gelblicher Socken. Ehe ich noch während dem unbegreiflichen Stillschweigen des Theologen meine Bemerkungen weiter fortsetzen konnte, wurde die Türe aufgerissen, eine große dürre Frau mit der Röte des Zornes auf den schmalen Wangen, stürzte herein.
»Nein, das ist doch zu arg, Blasius!« schrie sie, »der Küster ist da und sucht dich zum Abendmahl; der Dekan steht schon vor dem Altar und du steckst noch im Schlafrock?«
»Weiß Gott, meine Liebe«, antwortete der Doktor gelassen, »das habe ich häßlich vergessen! doch sieh, einen Fuß hatte ich schon zum Dienste des Herrn gerüstet, als mir ein Gedanke einfiel, der den Doktor Paulus weidlich schlagen muß.«
Ohne darauf zu achten, daß er sich beinahe der letzten Hülle beraube, wollte er eilfertig den Schlafrock herunterreißen, um auch seinen übrigen Kadaver zum Dienst des Herrn zu schmücken; sein Eheweib aber stellte sich mit einer schnellen Wendung vor ihn hin, und zog die weiten Falten ihrer Kleider auseinander, daß vom Professor nichts mehr sichtbar war.
»Sie verzeihen Herr Kandidat«, sprach sie, ihre Wut kaum unterdrückend; »er ist so im Amtseifer, daß Sie ihn entschuldigen werden. Schenken Sie uns ein andermal das Vergnügen. Er muß jetzt in die Kirche.«
Ich ging schweigend nach meinem Hut, und ließ den Ehemann unter den Händen seiner liebenswürdigen Xanthippe. »Ein schöner Anfang in der Theologie!« dachte ich, und die Lust, die übrigen geistlichen Männer zu besuchen, war mir gänzlich vergangen; doch beschloß ich, einige Vorlesungen mit anzuhören, was ich auch den Tag nachher ausführte.
Man denke sich einen weiten, niedrigen Saal, vollgepropft mit jungen Leuten in den abenteuerlichsten Gestalten; Mützen von allen Farben und Formen, lange herabwallende, kurze emporsteigende Haare, Barte, an welchen sich ein Sappeur der alten Garde nicht hätte schämen dürfen, und kleine zierliche Stutzbärtchen, galante Fracks und hohe Krawatten, neben deutschen Röcken und ellenbreiten Hemdkrägen; so saßen die jungen geistlichen Herren im Kollegium; vor sich hatte jeder seine Mappe, einen Stoß Papier, Dinte und Feder, um die Worte der Weisheit gleich ad notam zu nehmen. O Platon und Sokrates, dachte ich, hätten eure Studiosen und Akademiker nachgeschrieben, wie manches Wort tiefer, heiliger Weisheit wäre nicht umsonst verrauscht; wie majestätisch müßten sich die Folianten von Socratis opera in mancher Bibliothek ausnehmen! –
Jetzt wurden