Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte. Wilhelm HauffЧитать онлайн книгу.
veranstalten, verstand er aus dem Fundament.
Die Wagen hatten nach und nach alle ihre köstlichen Waren entladen; die Damen hatten sich aus den neidischen Hüllen der Pelzmäntel und Shawls herausgeschält und saßen jetzt in langen Reihen, alle in unchristlichem Wichs, an den Wänden hinauf. Es war der erste Ball in dieser Saison. Der Landadel hatte sich in die Stadt gezogen; Kranke und Gesunde waren aus den Bädern zurückgekehrt, es ließ sich also erwarten, daß das Neueste, was man überall an Haarputz und Kleidern bemerkt und in feinem aufmerksamem Herzen bewahrt hatte, an diesem Abend zur Schau gestellt werden würde. Daher füllte die erste halbe Stunde eine Musterung der Coiffüren und Girlanden, und das Bebbern und Wispern der rastlos gehenden Mäulchen schnurrte betäubend durch den Saal. Endlich aber hatte man sich satt geärgert und bewundert, und fragt überall, warum der Hofrat Berner das Zeichen zum Anfang noch nicht geben wolle.
Das hatte aber seine ganz eigenen Gründe; man sah ihm wohl die Unruhe an, aber niemand wußte, warum er, ganz gegen seine Gewohnheit, unruhig hin-und herlaufe, bald hinaus auf die Treppe, bald herein ans Fenster renne; sonst war er Punkt fünf Uhr mit seinem Arrangement fertig gewesen und hatte dann ruhig und besonnen den Ball eröffnet, aber heute schien ein sonderbarer Zappel das freundliche Männchen überfallen zu haben.
Nur er wußte, warum alles warten mußte; keinem Menschen, soviel man ihn auch mit Schmeichelwörtchen und schönen Redensarten bombardierte, vertraute er ein Sterbenswörtchen davon; er lächelte nur still und geheimnisvoll vor sich hin und ließ nur hie und da ein: »Werdet schon sehen« – »Man kann nicht wissen, was kommt« fallen.
Wir wissen es übrigens und können reinen Wein darüber einschenken: Präsidents Ida war vor wenigen Stunden aus der Pension zurückgekommen; er, der alte Hausfreund war zufällig dort, als sie ankam, er hatte nicht eher geruht, bis sie versprochen hatte, das ganze Haus in Alarm zu setzen, das Blondenkleid, in welchem sie bei Hofe war präsentiert worden, ausbiegeln zu lassen, und auf den Ball zu kommen. Wie spitzte er sich auf die langen Gesichter der Damen, auf die freundlichen Blicke der Herren, wenn er die wunderschöne Dame in den Saal führen würde; denn kennen konnte sie im ersten Augenblick niemand.
Wo hatte nur das Mädchen die Zeit hergenommen, so recht eigentlich bildhübsch zu werden? Als sie vor drei Jahren abreiste, wie besorglich schaute da der gute Hofrat dem Wagen nach; er hatte sie auf dem Arm gehabt, als sie kaum geboren war; bis zu ihrem vierzehnten Jahre hatte er sie alle Tage gesehen, hatte sie früher auf dem Knie reiten lassen, hatte sie nachher, trotz dem Schmollen der Präsidentin, zu allen tollen Streichen angeführt; er liebte sie wie sein eigenes Kind, aber er mußte sich vor drei Jahren doch gestehen, daß ihm angst und bange sei, was aus dem wilden Ding werden solle, das man da in die Residenz führe, um sie menschlich zu machen.
Denn wollte man ein Mädchen sehen, das zur Jungfrau und fürs Haus völlig verdorben schien, so war es Präsidents Wildfang; einen solchen Unband traf man auf zwanzig Meilen nicht.
Kein Graben war ihr zu breit, kein Baum zu hoch, kein Zaun zu spitzig; sie sprang, sie klimmte, sie schleuderte trotz dem wildesten Jungen; hatte sie doch selbst einmal heimlich ihren Damensattel auf den wilden Renner ihres Bruders, des Lieutenants, gebunden und war durch die Stadt gejagt, als sollte sie Feuerreiten! Dabei war sie mager und unscheinbar, scheute vor jeder weiblichen Arbeit, und der einzige Trost der gnädigen Mama war, daß sie Französisch plappere wie ein Stärchen, und daß, trotz ihrem Umherrennen in der Märzsonne, ihr Teint dennoch trefflich erhalten sei.
Aber jetzt –!
Nein! was war mit diesem Mädchen in den kurzen drei Jahren eine Veränderung vorgegangen! Wenigstens um einen Kopf war sie gewachsen, alles an ihr hatte eine Rundung, eine zarte Fülle bekommen, die man sonst nicht für möglich gehalten hätte; das Haar, das sonst, wie oft man es auch kämmte und an den Kopf hinsalbte, der wilden Hummel in unordentlichen Strängen und Locken um den Kopf flog, war jetzt der herrlichste Kopfputz, den man sich denken konnte. Die Augen waren glänzender, und doch fuhren sie nicht, wie ehemals, wie ein Feuerrädchen umher, alles anzuzünden drohend. Die Wangen bedeckte ein feines Rot, das bei jedem Atemzug in alle Schattierungen von zartem Rosa bis ins Purpurrote wechselte; das liebe Gesichtchen war oval und hatte eine Würde bekommen, über die der staunende Hofrat lächeln mußte, sosehr er sie bewunderte.
Dieses Götterkind, diesen Ausbund von Liebenswürdigkeit erwartete der Hofrat; dem guten alten Junggesellen pochte das Herz beinahe hörbar, wenn er an sein Gold-Idchen dachte. Wie mußte sie erst im Ballkleide aussehen, wenn sie ihn in dem Reiseüberröckchen und in der Haube à la jolie femme beinahe närrisch machte; wie mußte sie erst strahlen, wenn sie, wie sie ihm versprochen, die Haare nach dem aller-nagel-funkel-neuesten Geschmack, die schöne Stirne und den schlanken Hals, die wie aus Wachs geformten Partien, welche die handbreiten Brüßler Kanten umziehen werden, mit dem Amethystschmuck schmückte, den sie von ihrer Pate, der Fürstin Romanow geschenkt bekommen hatte. Ihm, ihm hatte sie mit all jener Herzlichkeit, mit der sie früher versprochen, einen Spaziergang mit ihm zu machen, oder ihn, den Einsamen, zu besuchen, wenn er krank war, jetzt, als Königin des Festes die erste Polonaise zugesagt. –
Immer verdrießlicher wurden die Damen, immer ungestümer mahnten die Herren den alten Maître de plaisir, schon seit einer halben Stunde stimmten die Musikanten, daß man vor dem Quieken der Klarinette, vor dem Brummen der Bässe sein eigenes Wort nicht hörte – er gab nicht nach. Da rasselte ein Wagen über den Marktplatz her und hielt vor dem Flügeltor des Museums.
»Das sind sie«, murmelte der Hofrat und stürzte zum Saal hinaus; bald darauf öffneten sich die Flügeltüren und der kleine freundliche Alte schritt am Arm einer jungen Dame in den Saal.
Ida
Aller Augen waffneten sich mit Lorgnetten und Brillen; wer konnte das wunderschöne Mädchen sein, so hoch und schlank, mit dem königlichen Anstand, mit dem siegenden Blick, mit der kräftigen Frische des jugendlichen Körpers? Sie nickte so bekannt nach allen Seiten, als käme sie alle Tage auf Freilinger Bälle und Assembleen; und doch kannte sie niemand. Doch ja! da kommt ja auch der alte Präsident, wahrhaftig! es kann niemand anders sein, als Präsidents Ida.
Aber wie herrlich war dieses Knöspchen aufgegangen, »Welcher Anstand!« bemerkten die Herren, »Welche Figur, welcher Nacken, wahrhaftig! man möchte ein Mückchen oder noch etwas Wenigeres sein, nur um darauf spazierenzugehen.« »Welcher Schmuck, welche Spitzen, welche Stickerei an dem Kleid«, bemerkten die Damen und wünschten sich weit weg, denn wie sollten sie ihre Fähnchen, die sie doch ihr gutes Geld gekostet, ihre Blumen, die sie selbst gemacht und für wundervoll gehalten hatten, neben diesen italienischen Rosen und Astern, die eben erst aus den Gärten der Hesperiden gepflückt zu sein schienen, neben diesen Kanten sehen lassen, von welchen die Elle vielleicht mehr wert war, als eines ihrer Ballkleider nebst Schneiderskonto und Façon! Nein, Berner, der arge Berner hätte ihnen keinen schlimmern Streich spielen können, als diese Ida gerade heute einzuführen. Aber man mußte sich Gewalt antun; der Präsident machte das erste Haus in der Stadt, war der gewaltige Herrscher der Provinz, eine glänzende Aussicht auf Thés dansants, Soupers, Hausbälle und dergleichen eröffnete sich vor den schnell berechnenden Blicken der Damen; wehe der, die dann nicht mit Ida bekannt war, oder sie sogar kalt empfangen hatte. Man wußte, daß dies die Frau Mama Präsidentin nie verzeihen würde; man nahm sich zusammen, und in kurzem war die Gefeierte von allen jungen und alten Damen umringt, welche Glück wünschten, alte Bekanntschaft erneuerten und nebenbei dies und jenes von dem hoffähigen Anzug spickten. Alle redeten zumal, keine wurde verstanden, und die Herren fluchten und schimpften ein Donnerwetter über das andere, daß sich eine so dichte Wolke vor dieser kaum aufgegangenen Sonne gedrängt und sie ihrem Anblick entzogen habe.
Jetzt zog Hofrat Berner das weiße Sacktuch, schwenkte es in der Luft und gab dem Kapellmeister und Stabstrompeter der Dragoner das Zeichen, und eine herrliche Polonaise begann. Im Nu stoben die Glückwünschenden auseinander und machten Raum für die Assessoren, Lieutenants, Sekretärs, jungen Kaufherrn, Jagdjunkern, die glücklicherweise noch nicht versagt waren und sich jetzt um einen Walzer, Ekossaise oder gar Kotillon mit Ida die Hälse brechen wollten. Sie aber lachte, daß die Schneeperlen der Zähne durch die Purpurlippen heraussahen, behauptete, sich immer nur auf eine Tour zu versagen, hüpfte dem