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Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte. Wilhelm HauffЧитать онлайн книгу.

Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte - Wilhelm  Hauff


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stand ich auf dem Sprung, ihm einmal im Kostüm des Mephistopheles nächtlicherweile zu erscheinen, und ihm einigen Schrecken in die Glieder zu jagen; aber eine gewisse Gutmütigkeit, die man zuweilen an mir gefunden hat, hielt mich immer wieder ab, dem alten Mann eine schlaflose Nacht zu machen.

      Ich entschloß mich daher, als Doctor legens, ein ehrsamer Titel auf Reisen, ihn zu besuchen, und als solcher kam ich in Weimar an. Es ist mit berühmten Leuten wie mit einem fremden Tiere; kömmt ein ehrlicher Pächter mit seiner Familie in die Stadt auf den Jahrmarkt, so ist sein erstes, daß er in der Schenke den Hausknecht fragt: »Wann kann man den Löwen sehen, Bursche?« »Mein Herr«, antwortet der Gefragte, »die Affen und der Seehund sind den ganzen Tag zu haben, der Löwe aber ist am besten aufgelegt, wenn er das Futter im Leib hat, daher rate ich, um jene Zeit hinzugehen.«

      Geradeso erging es mir in Weimar; ich fuhr von Jena aus mit einem jungen Amerikaner hinüber. Auch in sein Vaterland war des Dichters Ruhm schon längst gedrungen, und er machte auf der großen Tour durch Europa dem berühmten Mann zu Ehren schon einen Umweg von zwanzig Meilen. In dem Gasthof, wo wir abgestiegen waren, fragten wir sogleich, um welche Zeit wir bei Herrn von Goethe vorkommen könnten? Wir waren in Reisekleidern, die besonders bei meinem Gefährten etwas unscheinbar geworden waren; der Wirt musterte uns daher mit mißtrauischen Blicken und fragte, ehe er noch unsere Frage beantwortete, ob wir auch Fracks bei uns hätten?

      Wir waren glücklicherweise beide damit versehen, und unser Wirt versprach, uns sogleich anmelden zu lassen. »Sie werden wahrscheinlich nach dem Diner, um fünf Uhr angenommen werden, um diese Zeit sind Seine Exzellenz am besten zu sprechen. Zweifle auch gar nicht, daß Sie angenommen werden, denn wenn man, wie der Herr hier, eigens deswegen aus Amerika nach Weimar kömmt, wäre es doch unbarmherzig, einen ungesehen wieder fortzuschicken.«

      Dieser Patriotismus ging doch wahrhaftig sehr weit; doch wir ließen den guten Mann auf dem Glauben, der junge Philadelphier komme recta nach Weimar, und gehe von da wieder heim; übrigens hatte er richtig prophezeit: Doctor legens Supfer, wie ich mich nannte, und Forthill aus Amerika, waren auf fünf Uhr bestellt.

      Endlich schlug die Stunde, wir machten uns auf den Weg. Der Dichter wohnt sehr schön. Eine sanfte, geschmackvolle, mit Statuen dekorierte Treppe führt zu ihm; eine tiefe, geheimnisvolle Stille lag auf dem Hausgang, den wir betraten; schweigend führte uns der Diener in das Besuchzimmer. Behagliche Eleganz, Zierlichkeit und Feinheit, verbunden mit Würde, zeichneten dieses Zimmer aus. Mein junger Gefährte betrachtete staunend diese Wände, diese Bilder, diese Meubles. So hatte er sich wohl das » Stübchen des Dichters« nicht vorgestellt. Mit der Bewunderung dieser Umgebungen schien auch die Angst vor der Größe des Erwarteten zu steigen. Alle Nuancen von Rot wechselten auf seinem angenehmen Gesicht; sein Herz pochte hörbar, sein Auge war starr an die Türe geheftet, durch welche der Gefeierte eintreten mußte.

      Ich hatte indes Muße genug, über den großen Mann nachzudenken. Wieviel weiter, sagte ich mir, wie unendlich weiter helfen dem Sterblichen Gaben des Geistes als der zufällige Glanz der Geburt.

      Der Sohn eines unscheinbaren Bürgers von Frankfurt hat hier die höchste Stufe erreicht, die dem Menschen, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge, offensteht. Es hat schon mancher diese Stufe erstiegen. Geschäftsmänner vom Fach haben vom bescheidenen Plätzchen an der Türe alle Sitze ihrer Kollegien durchlaufen, bis endlich der Stuhl, der zunächst am Throne steht, sie in seine Arme aufnahm. Mancher hat sich auf dem Schlachtfeld das Portefeuille erkämpft. – Goethe hat sich seine eigene Bahn gebrochen, auf welcher ihm noch keiner voranging, noch keiner gefolgt ist; er hat bewiesen, daß der Mensch kann, was er will; denn man sage mir nichts von einem das All umfassenden Genie, von einem Geist, der sein Zeitalter gebildet, es stufenweise zu dem Höheren geführt habe – das Zeitalter hat ihn gebildet.

      Ich kann mir noch wohl denken, welch heilloses Leben »Werther« in das liebe Deutschland machte. Die Lotten schienen wie durch einen Zauberschlag aus dem Boden zu wachsen; die Zahl der Werther war Legion. Aber was war hierin Goethes Verdienst? Hatte es wirklich nur daran gefehlt, daß er das Hörnchen an den Mund setzte, und bei dem ersten Ton, den er angab, mußte Pfaffe und Laie, Nönnchen und Dämchen in wunderlichen Kapriolen ihren Sankt-Veits-Tanz beginnen? Wie heißt dieses große schöpferische Geheimnis? Alles zu rechter Zeit. Der »Siegwart« hatte die harten Herzen aufgetaut und sie für allen möglichen Jammer, für Mondschein und Gräber empfänglich gemacht, da kommt Goethe.

      Die Türe ging auf – er kam.

      Dreimal bückten wir uns tief, und wagten es dann an ihm hinauf zu blinzeln. Ein schöner, stattlicher Greis! Augen so klar und helle, wie die eines Jünglings, die Stirne voll Hoheit, der Mund voll Würde und Anmut; er war angetan mit einem feinen schwarzen Kleid, und auf seiner Brust glänzte ein schöner Stern. – Doch er ließ uns nicht lange Zeit zu solchen Betrachtungen; mit der feinen Wendung eines Weltmannes, der täglich so viele Bewunderer bei sich sieht, lud er uns zum Sitzen ein.

      Was war ich doch für ein Esel gewesen, in dieser so gewöhnlichen Maske zu ihm zu gehen. Doctores legentes mochte er schon viele Hunderte gesehen haben. Amerikaner, die, wie unser Wirt meinte, ihm zulieb auf die See gingen, gewiß wenige; daher kam es auch, daß er sich meist mit meinem Gefährten unterhielt. Hätte ich mich doch für einen gelehrten Irokesen oder einen schönen Geist vom Mississippi ausgegeben. Hätte ich ihm nicht Wunderdinge erzählen können, wie sein Ruhm bis jenseits des Ohio gedrungen, wie man in den Kapanen von Louisiana über ihn und seinen »Wilhelm Meister« sich unterhalte? – So wurden mir einige unbedeutende Floskeln zuteil, und mein glücklicherer Gefährte durfte den großen Mann unterhalten.

      Wie falsch sind aber oft die Begriffe, die man sich von der Unterhaltung mit einem großen Manne macht! Ist er als witziger Kopf bekannt, so wähnt man, wenn man ihn zum erstenmal besucht, einer Art von Elektrisiermaschine zu nahen. Man schmeichelt ihm, man glaubt, er müsse dann Witzfunken von sich strahlen, wie die schwarzen Katzen, wenn man ihnen bei Nacht den Rücken streichelt; ist er ein Romandichter, so spitzt man sich auf eine interessante Novelle, die der Berühmte zur Unterhaltung nur geschwind aus dem Ärmel schütteln werde; ist er gar ein Dramatiker, so teilt er uns vielleicht freundschaftlich den Plan zu einem neuen Trauerspiel mit, den wir dann ganz warm unseren Bekannten wieder vorsetzen können. Ist er nun gar ein umfassender Kopf wie Goethe, einer der, sozusagen, in allen Sätteln gerecht ist – wie interessant, wie belehrend muß die Unterhaltung werden; wie sehr muß man sich aber auch zusammennehmen, um ihm zu genügen.

      Der Amerikaner dachte auch so, ehe er neben Goethe saß; sein Ich fuhr, wie das des guten Walt, als er zum Flitte kam, ängstlich oben in allen vier Gehirnkammern, und darauf unten in beiden Herzkammern wie eine Maus umher, um darin ein schmackhaftes Ideenkörnchen aufzutreiben, das er ihm zutragen, und vorlegen könnte zum Imbiß. Er blickte angstvoll auf die Lippen des Dichters, damit ihm kein Wörtchen entfalle, wie der Kandidat auf den strengen Examinator, er knickte seinen Hut zusammen, und zerpflückte einen glacierten Handschuh in kleine Stücke. Aber welcher Zentnerstein mochte ihm vom Herz fallen, als der Dichter aus seinen Höhen zu ihm herabstieg, und mit ihm sprach, wie Hans und Kunz in der Kneipe. Er sprach nämlich mit ihm vom guten Wetter in Amerika, und indem er über das Verhältnis der Winde zu der Luft, der Dünste des wasserreichen Amerika zu denen in unserem alten Europa sich verbreitete, zeigte er uns, daß das All der Wissenschaft in ihm aufgegangen sei, denn er war nicht nur lyrischer und epischer Dichter, Romanist und Novellist, Lustspiel-und Trauerspieldichter, Biograph (sein eigener) und Übersetzer – nein, er war auch sogar Meteorolog!

      Wer darf sich rühmen, so tief in das geheimnisvolle Reich des Wissens eingedrungen zu sein? Wer kann von sich sagen, daß er mit jedem seine Sprache, d. h. nicht seinen vaterländischen Dialekt, sondern das, was ihm gerade geläufig und wert sein möchte, sprechen könne. Ich glaube, wenn ich mich als reisender Koch bei ihm aufgeführt hätte, er hätte sich mit mir in gelehrte Diskussionen über die geheimnisvolle Komposition einer Gänseleberpastete eingelassen, oder nach einer Sekundenuhr berechnet, wie lange man ein Beefsteak auf jeder Seite schmoren müsse.

      Also über das schöne Wetter in Amerika sprachen wir, und siehe – das Armesündergesicht des Amerikaners hellte sich auf, die Schleusen seiner Beredsamkeit öffneten sich – er beschrieb den feinen weichen Regen von Kanada, er ließ die Frühlingsstürme von New York brausen, und pries die Regenschirmfabrik


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