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Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte. Wilhelm HauffЧитать онлайн книгу.

Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte - Wilhelm  Hauff


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die ihrer fröhlichen Laune zur Zielscheibe dienen mußten.

      Hinter den beiden Mädchen stand ein großer, bejahrter Mann; seine tiefen, strengen Züge, seine buschigen Augenbrauen, sein langer dünner, schon ins Graue spielender Bart, selbst sein ganz schwarzer Anzug, der wunderlich gegen die reichen, bunten Farben um ihn her abstach, gaben ihm ein ernstes, beinahe trauriges Aussehen, das kaum ein wenig milder wurde, wenn ein Schimmer von Freundlichkeit, hervorgelockt durch die glücklichen Einfälle der Blondine, wie ein Wetterleuchten durch das finstere Gesicht zog. Diese Gruppe, so verschieden in sich durch Farbe und Schattierung, wie durch Charakter und Jahre, zog hin und wieder die Aufmerksamkeit der Untenstehenden auf sich. Manches Auge hing an den schönen Mädchen, und sie beschäftigten eine Weile durch ihre überraschende Erscheinung jene müßige Menge, die schon ungeduldig zu werden anfing, daß das Schauspiel dessen sie harrte, sich noch immer nicht zeigen wollte.

      Es ging schon stark gegen Mittag. Die Menge wogte immer ungeduldiger, preßte sich stärker, und hin und wieder hatte sich schon einer oder der andere aus den Reihen der ehrsamen Zünfte auf den Boden gelagert, da tönten drei Schüsse von der Schanze auf dem Lug-ins-Land herüber, die Glocken des Münsters begannen tiefe, volle Akkorde über die Stadt hinzurollen, und im Augenblick hatten sich die verworrenen Reihen geordnet.

      "Sie kommen, Marie, sie kommen!" rief die Blonde im Erkerfenster und schlang ihren Arm um den Leib ihrer Nachbarin, indem sie sich weiter zum Fenster hinausbeugte. Das Haus des Herrn von Besserer bildete die Ecke der vorerwähnten Straße, von dem Erker konnte man hinab beinahe bis an das Donautor, und hinüber bis in die Fenster des Rathauses sehen, die Mädchen hatten also ihren Standpunkt trefflich gewählt, um das Schauspiel, dessen sie harrten, ganz zu genießen.

      Jetzt hörte man den dumpfen Schall der Pauken, vermischt mit den hohen Klängen der Zinken und Trompeten, und durch das Tor herein bewegte sich ein langer, glänzender Zug von Reitern. Die Stadtpauker und Trompeter, die berittene Schar der Ulmer Patriziersöhne war eine allzu tägliche Erscheinung, als daß das Auge lange darauf verweilt hätte. Als aber das schwarz und weiße Banner der Stadt, mit dem Reichsadler, als Fahnen und Standarten aller Größen und Farben, zum Tor hereinschwankten, da dachten die Zuschauer, daß jetzt der rechte Augenblick gekommen sei.

      Auch unsere Schönen im Erkerfenster schärften jetzt ihre Blicke, als man die Menge am unteren Teil der Straße ehrerbietig die Mützen abnehmen sah.

      Auf einem großen, starkknochigen Rosse nahte ein Mann, dessen kräftige Haltung, dessen heiteres, frisches Ansehen in sonderbarem Kontrast stand mit der tiefgefurchten Stirn und dem schon ins Graue spielenden Haar und Bart. Er trug einen zugespitzten Hut mit vielen Federn, einen Brustharnisch über ein eng anschließendes, rotes Wams, Beinkleider von Leder, mit Seide ausgeschlitzt, die wohl neu recht hübsch gewesen sein mochten, aber durch Regen und Strapazen eine einförmige, dunkelbraune Farbe erhalten hatten. Weite, schwere Reiterstiefel schlossen sich unter den Knien an. Seine einzige Waffe, ein ungewöhnlich großes Schwert mit langem Griff ohne Korb, vollendete das Bild eines gewaltigen, unter Gefahren früh ergrauten Kriegers. Der einzige Schmuck dieses Mannes war eine lange, goldene Kette von dicken Ringen, fünfmal um den Hals gelegt, an welcher ein Ehrenpfennig auf die Brust herabhing.

      "Sagt geschwind, Oheim, wer ist der stattliche Mann, der so jung und alt aussieht?" rief die Blonde, indem sie das Köpfchen ein wenig nach dem schwarzen Herrn, der hinter ihr stand, zurückbeugte.

      "Das kann ich dir sagen, Berta", antwortete dieser bedächtig. "Es ist Georg von Frondsberg, oberster Feldhauptmann des bündischen Fußvolks, ein wackerer Mann, wenn er einer besseren Sache diente!"

      "Behaltet Eure Bemerkungen für Euch, Herr Württemberger", entgegnete ihm die Kleine, indem sie lächelnd mit dem Finger drohte, "Ihr wißt, daß die Ulmer Mädchen gut bündisch sind!"

      Der Oheim aber, ohne sich irremachen zu lassen, fuhr fort: "Jener dort auf dem Schimmel ist Truchseß Waldburg, der Feldleutnant, dem auch etwas von unserem Württemberg wohl anstände. Dort hinter ihm kommen die Bundesobersten. Weiß Gott, sie sehen aus wie Wölfe, die nach Beute gehen."

      "Pfui! Verwitterte Gestalten!" bemerkte Berta. "Ob es wohl auch der Mühe wert war, Bäschen Marie, daß wir uns so putzten? Aber siehe da, wer ist der junge, schwarze Reiter auf dem Braunen? Sieh nur das bleiche Gesicht und die feurigen, schwarzen Augen! Auf seinem Schild steht: 'Ich hab's gewagt'."

      "Das ist der Ritter Ulrich von Hutten", erwiderte der Alte, "dem Gott seine Schmähworte gegen unsern Herzog verzeihen wolle. Kinder, das ist ein gelehrter, frommer Herr. Er ist zwar des Herzogs bitterster Feind, aber ich sage so. Denn was wahr ist, muß wahr bleiben!"

      "Und siehe, da sind Sickingens Farben, wahrhaftig, da ist er selbst. Schaut hin, Mädchen, das ist Franz von Sickingen Sie sagen, er führe tausend Reiter ins Feld. Der ist's mit dem blanken Harnisch und der roten Feder."

      "Aber sagt mir, Oheim", fragte Berta weiter, "welches ist denn Götz von Berlichingen, von dem uns Vetter Kraft so viel erzählt. Er ist ein gewaltiger Mann und hat eine Faust von Eisen. Reitet er nicht mit den Städten?"

      "Götz und die Städter nenne nie in einem Atem", sprach der Alte mit

       Ernst. "Er hält zu Württemberg."

      Ein großer Teil des Zuges war während dieses Gespräches am Fenster vorübergezogen, und mit Verwunderung hatte Berta bemerkt, wie gleichgültig und teilnahmslos ihre Base Marie hinabschaute. Es war zwar sonst des Mädchens Art, sinnend, zuweilen wohl auch träumerisch auszusehen, aber heute, bei einem so glänzenden Aufzug, so ganz ohne Teilnahme zu sein, deuchte ihr ein großes Unrecht. Sie wollte sie eben zur Rede stellen, als ein Geräusch von der Straße her ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Ein mächtiges Roß bäumte sich in der Mitte der Straße unter ihrem Fenster, wahrscheinlich scheu gemacht durch die flatternden Fahnen der Zünfte. Sein hoch zurückgeworfener Kopf verdeckte den Reiter, so daß nur die wehenden Federn des Baretts sichtbar waren; aber die Gewandtheit und Kraft, mit welcher er das Pferd herunterriß und zum Stehen brachte, ließ einen jungen mutigen Reiter ahnen. Das lange hellbraune Haar war ihm von der Anstrengung über das Gesicht herabgefallen. Als er es zurückschlug, traf sein Blick das Erkerfenster.

      "Nun, dies ist doch einmal ein hübscher Herr", flüsterte die Blonde ihrer Nachbarin zu, so heimlich, so leise, als fürchte sie, von dem schönen Reiter gehört zu werden, "und wie er artig und höflich ist! Sieh nur, er hat uns gegrüßt, ohne uns zu kennen."

      Aber das stille Bäschen Marie schien der Kleinen nicht viel Aufmerksamkeit zu schenken. Ein glühendes Rot zog über die zarten Wangen. Ja, wer die ernste Jungfrau gesehen hätte, wie sie so kalt auf den Zug hinabsah, hätte wohl nie geahnt, daß so viel holde Freundlichkeit um diesen Mund, so viel Liebe in diesem sinnenden Auge wohnen könnte, als in jenem Augenblick sichtbar wurde, wo sie durch ein leichtes Neigen des Hauptes den Gruß des jungen Ritters erwiderte.

      Der kleinen Schwätzerin war unsere flüchtige, aber wahre Bemerkung über den Anblick des schönen Mannes völlig entgangen. "Nur schnell, Oheim!" rief sie und zog den alten Herrn am Mantel. "Wer ist dieser in der hellblauen Binde mit Silber? Nun?"

      "Liebes Kind!" antwortete der Oheim. "Den habe ich in meinem Leben nicht gesehen Seinen Farben nach steht er in keinem besonderen Dienst, sondern reitet wohl auf seine eigene Faust gegen meinen Herzog und Herrn, wie so viele Hungerleider, die sich an unseren Töpfen laben wollen."

      "Mit Euch ist doch nichts anzufangen", sagte die Kleine und wandte sich unmutig ab. "Die alten und gelehrten Herren kennt Ihr alle auf hundert Schritte und weiter. Wenn man aber einmal nach einem hübschen, höflichen Junker fragt, wißt Ihr nichts. Du bist auch so, Marie, machtest Augen auf den Zug hinunter, als ob es eine Prozession an Fronleichnam wäre; ich wette, Du hast das Schönste von allem nicht gesehen und hattest noch den alten Frondsberg im Kopf, als ganz andere Leute vorbeiritten!"

      Der Zug hatte sich während dieser Strafrede Bertas vor dem Rathaus aufgestellt; die bündische Reiterei, die noch vorüberzog, hatte wenig Interesse mehr für die beiden Mädchen. Als daher die Herren abgesessen und zum Imbiß ins Rathaus gezogen waren, als die Zünfte ihre Glieder auflösten und das Volk sich zu verlaufen begann, zogen auch sie sich vom Fenster zurück.

      Berta


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