Lächeln gegen die Kälte. Rudolf Alexander MayrЧитать онлайн книгу.
sie gemeinsam nach links ab und steuerten die Sherpa Coop Lodge an. Das verhieß nichts Gutes. Ich ließ in meiner Unterkunft noch etwa eine halbe Stunde alle möglichen Drohungen inklusive Regressforderungen über mich ergehen, wartete das vertraute und überaus tröstliche „Meine Mission ist erfüllt!“ ab und suchte dann umgehend mein Zimmer auf. Hier halfen nur mehr drastische Maßnahmen.
Ich entnahm der Deckeltasche meines Rucksacks ein handliches Päckchen Dollarscheine. Dies waren ungefähr zwei Monatslöhne eines Captains. Was die Italiener konnten, das sollte ich doch auch können. Entschlossen machte ich mich zur Sherpa Coop Lodge auf.
Inzwischen war etwa eine Stunde vergangen.
Das Innere der Sherpa Coop Lodge bestand in der Hauptsache aus einem großen Raum mit einem offenen Kamin. Draußen war es noch nicht dunkel, aber man hatte schon ein Feuer entzündet, und davor saßen nun meine Eisheiligen und wärmten sich die Hände. Eine zusätzliche Wärmequelle war der Whisky, der auf dem kleinen Tischchen stand. Freudig musste sich der Captain davon genehmigt haben, denn die Flasche Johnnie Walker Red Label war schon halb leer. Nur der Co-Pilot saß bescheiden daneben und nippte an seinem Tee.
Ich bat den Captain höflich vor die Tür. Etwas schwankend folgte er mir.
„Hören Sie“, sagte ich, „die Nebel lichten sich gerade etwas. Wir haben noch eine Stunde Zeit bis zum Dunkelwerden. Könnte nicht Ihr Co-Pilot …?“
Ich hielt ihm das Päckchen Dollarscheine unter die Nase. Für einen kurzen Moment betrachtete er es, musste sich dann aber seines eigenen Schwankens allzu sehr bewusst geworden sein.
„Der Co-Pilot schafft das nicht“, sagte er dann und hielt sich am Türstock.
„Aber ich bitte Sie“, versuchte ich ihn zu ermuntern, „mit Ihrer Anleitung!“ Ich wedelte verführerisch mit dem Päckchen Dollarscheine unter seiner Nase. Wieder blickte er angestrengt hin.
„Nein, nicht möglich“, lallte er dann und schwankte zurück zu seinem Tisch. Ich steckte das Päckchen mit den Dollars wieder ein und zog ein anderes heraus, das mit den Beschwerdebriefen von den etwa fünfunddreißig Gruppen, die sich hier in Lukla inzwischen angesammelt hatten.
„Bist du nicht willig …“, so murmelte ich und baute mich vor dem Captain auf. Inzwischen hatte man ihm nachgeschenkt, und er tat einen tüchtigen Schluck. Sein Zustand drohte sich besorgniserregend zu verschlimmern, aber ich baute noch immer auf den Co-Piloten.
Ich zog das Paket mit den Beschwerdebriefen aus dem Anorak.
„Ich habe hier“, sagte ich und machte eine kurze dramaturgische Pause, bevor ich fortfuhr: „fünfunddreißig Beschwerdebriefe mit fünfhundert Unterschriften verschiedener Nationen. Die werde ich dem Tourismusminister vorlegen, wenn Sie es, verdammt noch einmal, nicht schaffen, Ihren Flieger klarzumachen und uns nach Kathmandu zu bringen.“
Der Captain war aufgestanden und gerade dabei, die fünfunddreißig Zentimeter Mindestabstand zu meinem Gesicht, die für die Wahrung der Intimsphäre nun einmal notwendig sind, zu unterschreiten.
„Dem Tourismusminister?“, fragte er. Seine Augen waren schon etwas blutunterlaufen.
„Dem Tourismusminister“, bekräftigte ich.
Da ließ er das halbvolle Whiskyglas demonstrativ fallen.
„Das können Sie ruhig“, sagte er. „Aber es wird Ihnen nichts bringen. Der Tourismusminister ist nämlich mein Onkel!“
Sagte es und ließ sich wieder in den Stuhl fallen, während ihm der Wirt ein frisches Glas brachte.
Ich ging entlang der Rollbahn zurück zu meiner Lodge. Es hatte wieder stärker zu regnen begonnen. Der abendliche Reis mit Linsen wollte uns gar nicht recht schmecken. Morgen hätten wir vom Tagesanbruch bis zum Anschlussflug in Kathmandu allerhöchstens zweieinhalb Stunden, denn der Abflug nach Bangkok war um viertel nach elf angesetzt.
Es regnete bis halb sechs Uhr früh. Um sechs blickte ich durch das Fenster der Lodge auf das Rollfeld. Drei Personen stapften darin mit gesenkten Köpfen auf und ab. Sie sanken bis zu den Knöcheln im Morast ein. Es waren der Oberkapo, unser Captain und ein weiterer Bediensteter. Ich putzte mir provisorisch mit Mineralwasser die Zähne und fuhr in die Hosen. Vor der Lodge prüfte ich die Bewölkung. Acht Achtel bedeckt, doch mit einer Schichtbewölkung. Der Thaksindo-Pass, die Einflugschneise für den Flugverkehr, war frei zu sehen. Hoffnungsfroh schlenderte ich den drei Eisheiligen entgegen.
„Guten Morgen“, sagte ich.
„Guten Morgen“, sagten sie.
„Schaut nicht schlecht aus!“
Der Captain wackelte traurig mit dem Kopf, um den ich ihn heute nicht beneidete. Lama Drum nennen die Sherpas solche Zustände postalkoholischer Natur, weil er sie mit seinem Trommeln an dasjenige der Lamas bei ihren Gesängen erinnert.
„Werden wir jetzt endlich fliegen?“
„Das ist nicht möglich!“ Ich fiel aus allen Wolken.
„Wie das?“
„Das Flugzeug ist kaputt!“
„Kaputt?“ Wie konnte ein Flugzeug über Nacht kaputtgehen?
„The hinge of the door“, sagte er.
„Das möchte ich sehen!“ Auf dem Weg zum Flugzeug fiel mir wieder ein, was hinge hieß: Scharnier.
Und tatsächlich: Die Einstiegstür des Flugzeuges hing schief in den Angeln, denn ein Scharnier war gebrochen.
„Wer was das?“, fragte ich, doch etwas fassungslos.
Der Captain zuckte mit den Schultern: „Materialermüdung, wahrscheinlich.“
„Über Nacht?“
„Das passiert.“
„Sie warten hier!“ Und setzte ein höfliches Bitte! nach. Ich eilte in die Lodge und scheuchte meine Mannschaft auf, die gerade beim morgendlichen Reis mit Linsen saß. Ich berichtete in kurzen Worten das Geschehene, und wir eilten gemeinsam zum Flugzeug.
„Die Ratte hat das Scharnier zerbrochen!“, stieß Herr X scharfsinnig zwischen den Zähnen hervor.
„Was sollen wir jetzt tun?“
„Wisst ihr was?“ Mir war eine blendende Idee gekommen. Ich ließ meinen Blick über die Flugzeugwracks am Rande der Piste schweifen. „Es hat doch ein jeder von euch ein Schweizermesser?“ Alle nickten. „Dort unten, die Flugzeuge. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht ein unversehrtes Scharnier finden!“
Wir schwärmten aus, während die drei Eisheiligen wieder dem Tower zustrebten. Eine halbe Stunde lang durchsuchten wir die Wracks der fünf oder sechs Flugzeuge und konnten keine einzige Schraube, geschweige denn ein Scharnier darin finden. Enttäuscht machten wir uns wieder mit unseren Schweizermessern davon und versammelten uns vor unserem Flugzeug.
„Wisst ihr was?“, sagte auf einmal einer aus der Gruppe. „Wir verkleben die Tür mit einem unserer breiten Klebestreifen und steigen dann durch die Tür des Cockpits ein.“
„Und von innen sichern wir die Tür mit einem Kletterseil!“, setzte ich hinzu. Zwei von uns machten sich umgehend auf den Weg, den Klebestreifen und das Seil aus der Lodge zu holen, während sich der Rest von uns zum Tower begab. Dort unterbreitete ich dem Captain meinen Lösungsvorschlag. Doch hatte ich nicht mit seiner geradezu Nestroy’schen Beamtenmentalität gerechnet.
„Das ist nicht möglich“, sagte er. „Denn eine solche schwierige Reparatur darf nur ein lizenzierter Fachmann durchführen.“ (Das gebrochene Scharnier hatte auf jedem seiner zwei Flügel jeweils drei Kreuzschrauben. Ein schwer zurückgebliebener Zehnjähriger hätte diese Reparatur durchführen können.)
„Und wann kommt ein solcher?“, fragte ich.
„Der müsste mit dem Hubschrauber aus Kathmandu kommen. In den nächsten Tagen!“
Von