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Nichts ist wahr, alles ist erlaubt. Friedrich NietzscheЧитать онлайн книгу.

Nichts ist wahr, alles ist erlaubt - Friedrich Nietzsche


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       Bildung und Erziehung

      Was ein elitärer und ideologiekritischer Denker wie Nietzsche vom Universitäts- und Schulsystem seiner Zeit hielt, lässt sich leicht ausrechnen. Er war der Meinung, dass in diesen Institutionen Menschen vor allem für die Einpassung in spezielle Berufe und als staatstreue Bürger herangezogen werden, da die Struktur des Denkens sich der Struktur der Bildungseinrichtung anpasst. So gilt Nietzsche die Universität als »Wurmfortsatz der Gymnasialtendenz«. Allgemein(ste) Bildung ist in seinen Augen »Barbarei«. Er hingegen verlangt nach wahrer Bildung, also Bildung, die den verengten Horizont sogenannter Fachwissenschaftler sprengt und das ganze Leben umfasst. Doch das erfordert nicht nur Zeit und Selbstständigkeit, sondern auch Ernsthaftigkeit und ein Vorbild, also einen wahrhaften Gelehrten. Obwohl manche seiner Aphorismen sich atavistisch bzw. irrational interpretieren lassen, ist es nicht so, dass Nietzsche prinzipiell ein Feind von Bildung gewesen wäre. Der Mensch muss erst Bildung genossen haben, um sie auf dem Weg zu neuer Instinktsicherheit wieder abzustreifen. Gerade wenn man an die europaweiten Bildunsgsreformen denkt, an »unfähige Lehrer in harmonischem Verhältnis zu unfähigen Schülern stehend«, ist Nietzsche hier immer noch brandaktuell.

      Erziehung. – Die Erziehung ist eine Fortsetzung der Zeugung und oft eine Art nachträglicher Beschönigung derselben.

      Unterschätzte Wirkung des gymnasialen Unterrichts. – Man sucht den Wert des Gymnasiums selten in den Dingen, welche wirklich dort gelernt und von ihm unverlierbar heimgebracht werden, sondern in denen, welche man lehrt, welche der Schüler sich aber nur mit Widerwillen aneignet, um sie, so schnell er darf, von sich abzuschütteln. Das Lesen der Klassiker – das gibt jeder Gebildete zu – ist so, wie es überall getrieben wird, eine monströse Prozedur: Vor jungen Menschen, welche in keiner Beziehung dazu reif sind, von Lehrern, welche durch jedes Wort, oft durch ihr Erscheinen schon einen Mehltau über einen guten Autor legen. Aber darin liegt der Wert, der gewöhnlich verkannt wird, – dass diese Lehrer die abstrakte Sprache der höheren Kultur reden, schwerfällig und schwer zum Verstehen, wie sie ist, aber eine hohe Gymnastik des Kopfes; dass Begriffe, Kunstausdrücke, Methoden, Anspielungen in ihrer Sprache fortwährend vorkommen, welche die jungen Leute im Gespräche ihrer Angehörigen und auf der Gasse fast nie hören. Wenn die Schüler nur hören, so wird ihr Intellekt zu einer wissenschaftlichen Betrachtungsweise unwillkürlich präformiert. Es ist nicht möglich, aus dieser Zucht völlig unberührt von der Abstraktion als reines Naturkind herauszukommen.

      Lebensalter der Anmaßung. – Zwischen dem sechsundzwanzigsten und dreißigsten Jahre liegt bei begabten Menschen die eigentliche Periode der Anmaßung; es ist die Zeit der ersten Reife, mit einem starken Rest von Säuerlichkeit. Man fordert auf Grund dessen, was man in sich fühlt, von Mensen, welche nichts oder wenig davon sehen, Ehre und Demütigung, und rächt sich, weil diese zunächst ausbleiben, durch jenen Blick, jene Gebärde der Anmaßung, jenen Ton der Stimme, die ein feines Ohr und Auge an allen Produktionen jenes Alters, seien es Gedichte, Philosophien, oder Bilder und Musik, wiedererkennt. Ältere erfahrene Männer lächeln dazu und mit Rührung gedenken sie dieses schönen Lebensalters, in dem man böse über das Geschick ist, so viel zu sein und so wenig zu scheinen. Später scheint man wirklich mehr, – aber man hat den guten Glauben verloren, viel zu sein: man bleibe denn zeitlebens ein unverbesserlicher Narr der Eitelkeit.

      Die Natur korrigieren. – Wenn man keinen guten Vater hat, so soll man sich einen anschaffen.

      Väter und Söhne. – Väter haben viel zu tun, um es wieder gut zu machen, dass sie Söhne haben.

      Einsamkeit lernen. – Oh, ihr armen Schelme in den großen Städten der Weltpolitik, ihr jungen, begabten, vom Ehrgeiz gemarterten Männer, welche es für ihre Pflicht halten, zu allen Begebenheiten – es begibt sich immer etwas – ihr Wort zu sagen! Welche, wenn sie auf diese Art Staub und Lärm machen, glauben, der Wagen der Geschichte zu sein! Welche, weil sie immer horchen, immer auf den Augenblick passen, wo sie ihr Wort hineinwerfen können, jede echte Produktivität verlieren! Mögen sie auch noch so begehrlich nach großen Werken sein: Die tiefe Schweigsamkeit der Schwangerschaft kommt nie zu ihnen! Das Ereignis des Tages jagt sie wie Spreu vor sich her, während sie meinen, das Ereignis zu jagen, – die armen Schelme! – Wenn man einen Helden auf der Bühne abgeben will, darf man nicht daran denken, Chorus zu machen, ja, man darf nicht einmal wissen, wie man Chorus macht.

      Jugend. – Die Jugend ist unangenehm; denn in ihr ist es nicht möglich oder nicht vernünftig, produktiv zu sein, in irgendeinem Sinne.

      Die persönlichsten Fragen der Wahrheit. – »Was ist das eigentlich, was ich tue? Und was will gerade ich damit?« – das ist die Frage der Wahrheit, welche bei unserer jetzigen Art Bildung nicht gelehrt und folglich nicht gefragt wird, für sie gibt es keine Zeit. Dagegen mit Kindern von Possen zu reden und nicht von der Wahrheit, mit Frauen, die später Mütter werden sollen, Artigkeiten zu reden und nicht von der Wahrheit, mit Jünglingen von ihrer Zukunft und ihrem Vergnügen zu reden und nicht von der Wahrheit, – dafür ist immer Zeit und Lust da! – Aber was sind auch siebzig Jahre! – Das läuft hin und ist bald zu Ende; es liegt so wenig daran, dass die Welle wisse, wie und wohin sie laufe! Ja, es könnte Klugheit sein, es nicht zu wissen. – »Zugegeben: Aber stolz ist es nicht, auch nicht einmal danach zu fragen; unsere Bildung macht die Menschen nicht stolz.« – Umso besser! – »Wirklich?«

      Fortleben der Eltern. – Die unaufgelösten Dissonanzen im Verhältnis von Charakter und Gesinnung der Eltern klingen in dem Wesen des Kindes fort und machen seine innere Leidensgeschichte aus.

      Tragödie der Kindheit. – Es kommt vielleicht nicht selten vor, dass edel- und hochstrebende Menschen ihren härtesten Kampf in der Kindheit zu bestehen haben: Etwa dadurch, dass sie ihre Gesinnung gegen einen niedrig denkenden, dem Schein und der Lügnerei ergebenen Vater durchsetzen müssen, oder fortwährend, wie Lord Byron, im Kampfe mit einer kindischen und zornwütigen Mutter leben. Hat man so etwas erlebt, so wird man sein Leben lang es nicht verschmerzen, zu wissen, wer einem eigentlich der größte, der gefährlichste Feind gewesen ist.

      Gedanke des Unmutes. – Es ist mit den Menschen wie mit den Kohlenmeilern im Walde. Erst wenn die jungen Menschen ausgeglüht haben und verkohlt sind, gleich jenen, dann werden sie nützlich. Solange sie dampfen und rauchen, sind sie vielleicht interessanter, aber unnütz und gar zu häufig unbequem. – Die Menschheit verwendet schonungslos jeden Einzelnen als Material zum Heizen ihrer großen Maschinen: Aber wozu dann die Maschinen, wenn alle Einzelnen (das heißt die Menschheit) nur dazu nützen, sie zu unterhalten? Maschinen, die sich selbst Zweck sind, – ist das die umana commedia?

      Vernünftige Unvernunft. – In der Reife des Lebens und des Verstandes überkommt den Menschen das Gefühl, dass sein Vater Unrecht hatte, ihn zu zeugen.

      Trügerisch und doch haltbar. – Wie man, um an einem Abgrund vorbeizugehen oder einen tiefen Bach auf einem Balken zu überschreiten, eines Geländers bedarf, nicht um sich daran festzuhalten, – denn es würde sofort mit einem zusammenbrechen, sondern um die Vorstellung der Sicherheit für das Auge zu erwecken, – so bedarf man als Jüngling solcher Personen, welche uns unbewusst den Dienst jenes Geländers erweisen; es ist wahr, sie würden uns nicht helfen, wenn wir uns wirklich, in großer Gefahr, auf sie stützen wollten, aber sie geben die beruhigende Empfindung des Schutzes in der Nähe (zum Beispiel Väter, Lehrer, Freunde, wie sie, alle drei, gewöhnlich sind).

      Mädchen als Gymnasiasten. – Um alles in der Welt nicht noch unsere Gymnasialbildung auf die Mädchen übertragen! Sie, die häufig aus geistreichen, wissbegierigen, feurigen jungen Abbilder ihrer Lehrer macht!

      Die Vernunft in der Schule. – Die Schule hat keine wichtigere Aufgabe, als strenges Denken, vorsichtiges Urteilen, konsequentes Schließen zu lehren: Deshalb hat sie von allen Dingen abzusehen, die nicht für diese Operationen tauglich sind, zum Beispiel von der Religion. Sie kann ja darauf rechnen, dass menschliche Unklarheit, Gewöhnung und Bedürfnis später doch wieder den Bogen des allzu straffen Denkens abspannen. Aber solange ihr Einfluss reicht, soll sie das erzwingen, was das Wesentliche und Auszeichnende am Menschen ist- »Vernunft und Wissenschaft


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