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Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten. Friedrich GlauserЧитать онлайн книгу.

Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten - Friedrich  Glauser


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wunderbarer Garten. Es fehlt ein wenig an der Pflege, aber natürlich, das ist begreiflich…«

      »Sind Sie noch nie hier oben gewesen?« fragte Frau Witschi. Studer sah sie an. War die Frage eine Falle? Nein…wahrscheinlich nicht… Also hatte Sonja nichts von seinem Besuch erzählt. Übrigens wartete Frau Witschi gar nicht auf eine Antwort.

      – Wenn der Wachtmeister etwas zu fragen habe, so solle er nur eintreten… »Ich habe nichts zu verbergen«, sagte sie. »Nein, gewiß nicht. Unser Gewissen ist rein, was nicht alle Leute behaupten können.«

      Jetzt wurde Schreier blaß. Er zitterte. Merkwürdig, wie empfindlich diese anscheinend abgebrühten Burschen im Grunde waren!…

      »Ruhig, ruhig«, sagte Studer leise und legte die Hand auf die Schulter des Burschen. »Geh' wieder zurück. Ich dank' dir auch. Du hast mir viel geholfen. Leb' wohl«

      Schreier gab dem Wachtmeister schweigend die Hand. Die alte Frau grüßte er nicht.

      » Sie sind viel zu gut mit diesen Leuten, Herr Wachtmeister.« (Frau Witschi betonte das Sie, Studer sollte merken, daß sie nicht zu den kommunen Leuten gehöre, die alle Welt ihren.) »Treten Sie ein, wir wollen nicht vor der Tür stehenbleiben.«

      Die Küche war sauber. Kein schmutziges Geschirr stand mehr im Schüttstein. Der Strähl war verschwunden. Auch das Wohnzimmer war aufgeräumt.

      Die Vase unter Wendelin Witschis Bild fehlte.

      »Nehmen Sie Platz, Herr Studer. Ich hol' etwas zum Trinken. Sie werden sicher Durst haben.«

      Und Frau Witschi kam zurück mit einer Flasche Himbeersirup und zwei Gläsern. Studer mußte wohl oder übel mittrinken. Es schüttelte ihn gelinde.

      »Mein armer Mann«, sagte Frau Witschi und zog die Luft durch die Nase. Sie wischte sich die Augen mit ihrem Taschentuch. Aber die Augen waren trocken und blieben es.

      »Ja, ja«, meinte Studer und hielt die Hand über sein Glas, das Frau Witschi wieder mit der klebrigen Flüssigkeit füllen wollte. »Es ist traurig, daß er so hat ums Leben kommen müssen. Aber es war vielleicht doch ein Glück…«

      »Ein Glück? Wieso ein Glück? Was meinen Sie?«

      »Eh, wegen der Versicherung…« sagte Studer und zündete umständlich eine Brissago an. Eine Sturzflut von Worten ergoß sich über ihn. Und Studer ließ sie brausen…

      Es war merkwürdig, fast wie eine Vision.

      – Das Zimmer ist dunkel, ganz plötzlich. Die Lampe, von einem grünen Schirm verhangen, gibt ein düsteres Licht. Leere Teller stehen auf dem Tisch. Am oberen Ende sitzt der verstorbene Wendelin Witschi. Rechts neben ihm seine Frau, links Sonja, ihm gegenüber der Sohn.

      Witschi schweigt, Müdigkeitsfalten liegen um seinen Mund, auf seiner Stirn. Ununterbrochen schwatzt die Frau. Sie klagt. Er sei schuld, nur er allein. Er habe die Familie in Schulden gestürzt, nun sei es an ihm, das gestrandete Schiff wieder flott zu machen. Geld habe er aufgenommen, ohne jemanden zu fragen – und die Kreugeraktien, die habe doch er gekauft, oder? Witschi hebt die Hand, die weiße, dürre Hand, so, als wolle er Einspruch erheben. Aber die Frau lafert weiter. Nichts da, er habe zu schweigen, ganz zu schweigen. Und dann flüstert sie plötzlich: Die Versicherungen brächten Geld… Ein Unfall… Nichts Arges. Aber er müsse so ausgeführt werden, daß er wie ein Überfall aussehe… Es seien ja genug Vorbestrafte im Dorf, auf die man die Schuld schieben könne…

      Der Sohn mischt sich ein. Die Schwester habe ja ein Geschleipf mit so einem, sie müsse die Sache übernehmen. Den Burschen zu einem Rendezvous bestellen, damit er kein Alibi beibringen könne… Dann könne man ihn anklagen, und wenn der Vater ihn wiedererkenne, dann könne der Bursche gar nichts machen…

      Oben am Tisch hat der Witschi die Hände gefaltet, er schüttelt den Kopf, unaufhörlich, aber kein Mensch sieht auf ihn. Der Redestrom geht weiter. Der Sohn löst die Mutter ab, die Mutter den Sohn. Sonja sitzt still da, weint in ihr Taschentuch. Es nützt nichts, Sonja findet nirgends Schutz vor den Plänen der beiden andern…

      Wie oft hatte sich die Szene abgespielt, so wie Studer sie sah und hörte, jetzt, im Wohnzimmer der Familie Witschi, während die alte Anastasia auf ihn einredete und ihre Worte an seinen Ohren vorbeisausten wie ein saurer Biswind?

      Studer nickte, nickte ununterbrochen zu den Worten der Frau. Es war ja alles gelogen, warum also zuhören?…

      Er sah den Schuppen vor sich, ganz deutlich.

      Die Frau hat eine Stallaterne in der Hand. Und Witschi probiert den Revolver aus. Er schießt auf das weißgehobelte Rechteck der Tür, immer aus einer Entfernung von zehn Zentimeter. Nicht mehr, nicht weniger. Er probiert es mit einem Zigarettenblättchen, dann mit dreien, dann mit fünfen. Bei welcher Zahl gibt es keine Deflagrationsspuren mehr?

      Fünfzehn Patronen, dachte Studer… Wo war wohl die Schachtel? Man sollte sie finden. Und immer das Bild, das sich dazwischenschob:

      Der Witschi, der beim Schein der Stallaterne Schießübungen veranstaltet… Die Frau hält sicher einen Sack, um den Schall abzudämpfen.

      War es sonst möglich, daß keiner der Nachbarn etwas gehört hatte?… Vielleicht hatten sie etwas gehört, das nächste Haus stand in etwa fünfzig Meter Entfernung… Sollte man dort fragen gehen?

      Und wie aus einem Traum heraus, mitten in den Redestrom der Frau Witschi, sagte Studer mit leiser Stimme:

      »Wie Ihr Mann auf die Tür im Schuppen geschossen hat, haben Sie da einen Sack gehabt, um den Schall abzudämpfen?«

      Das Glas zerschellte auf dem Boden. Frau Witschi hatte die Augen weit aufgerissen, das Häutchen, das über dem einen lag, war weiß.

      »Wie?… Was?…« stotterte Frau Witschi.

      »Nichts, nichts«, Studer winkte müde ab. »Es hat ja alles keinen Wert, der Schlumpf hat ja gestanden.« Aber unter den halbgesenkten Lidern beobachtete Studer neugierig die Frau.

      Ein Aufatmen. Frau Witschi stand auf, ging in die Küche, kam mit einer Küderschaufel zurück und wischte die Scherben zusammen.

      »Scherben bringen Glück«, sagte Studer leise.

      Ein giftiger Blick der Frau. Dann:

      »So! Hat der Mörder endlich gestanden! Ein Glück! Dann habt Ihr ja hier nichts mehr zu tun, Wachtmeister!« (›Ihr‹ statt ›Sie‹! Studer lächelte.)

      »Sie haben ganz recht, Frau Witschi, ich hab' nichts mehr zu tun…«

      Wie spät war es? Draußen war noch heller Tag. Der Schuppen stand am Ende des Gartens, man sah ihn gut durchs Fenster. Studer blickte lange hin. Er dachte: Diese Nacht sollte ich hier in der Nähe Posten stehen, die Mutter und der Sohn werden versuchen, die Tür zu verbrennen. Hätt' ich nichts sagen sollen? Doch, es war ganz gut. So ein Schreckschuß ist manchmal ganz gut. Obwohl der ganze Fall hoffnungslos ist. Düster, düster… Er hat recht, der Kommissär Madelin! Ein Mordfall auf dem Land!… Wollen wir den Witschi in Frieden lassen? Er hat sich geopfert für die Familie… Er hat sich erschossen, damit die Versicherung zahlt… Hat er wirklich geschossen?… Mit dem rechtwinklig abstehenden Arm?… Vielleicht steckt doch mehr hinter dem Fall… Aber wer hat dann geschossen?… Der Schlumpf?… Doch der Schlumpf?… Kann man einen Mord aus Liebe begehen?… Warum nicht? Gleichwohl, es ist unwahrscheinlich… Der Armin?… Der Maquereau?… Nein, nein, zu feig… Die Mutter?… Chabis!… Wer dann? Wenn man nur wüßte, wer den Revolver gekauft hat, vielleicht gäbe das einen Anhaltspunkt…

      »Wo schafft Ihre Tochter in Bern?« fragte Studer laut.

      »Beim Loeb«, die Stimme der alten Frau zitterte. Man sollte sie in Ruhe lassen, die Frau Anastasia, dachte Studer. Er streckte die Hand aus, um sich zu verabschieden. Aber Frau Witschi sah die Hand nicht. Sie ging mit winzigen Schritten zur Tür, öffnete sie. Auf ihrem Gesicht stand ein gefrorenes Lächeln.

      »Auf Wiedersehen, Herr Wachtmeister«, sagte sie.

      Studer neigte stumm


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