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Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten. Friedrich GlauserЧитать онлайн книгу.

Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten - Friedrich  Glauser


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Monaten…

      Dieser Witschi mußte es faustdick hinter den Ohren gehabt haben, er mußte ordentlich Geld verputzt haben. Wohin war das Geld gekommen? Spekulationen? Vielleicht. Münch schrieb, Witschi sei knapp vor dem Konkurs gestanden (und merkwürdigerweise stand auch der Gerzensteiner Bürger knapp vor dem Konkurs… ) Der Notar erzählte eine merkwürdige Geschichte. Er schrieb:

      »Außerdem muß ich Dir, lieber Wachtmeister, noch eine sonderbare Geschichte erzählen. Du erinnerst Dich doch noch, daß ich Dir damals, beim Billardspielen, als wir den alten Ellenberger sahen, erzählte, Ellenberger sei bei mir gewesen, um eine zweite Hypothek, die er auf dem Hause des Wendelin Witschi habe, zu kündigen. Nun stimmt das nicht ganz. Ellenberger war schon einmal bei mir gewesen, eine Woche vorher und hatte mir eine Schuldverschreibung in der Höhe von fünfzehntausend Franken gebracht, die Witschi ihm ausgestellt hatte. Als Pfand hatte er eine Lebensversicherung hinterlegt, die auf zwanzigtausend Franken lautete. Ellenberger hatte es übernommen, die Prämie zu zahlen. Nun weiß ich nicht, was ihn bewogen hat, aber Ellenberger wollte zurücktreten. Er verlangte die Rückzahlung der betreffenden Summe sowie die Vergütung der gezahlten Prämien und forderte mich auf, dies Witschi mitzuteilen. Ich telephonierte Montag nachmittag (also am 1. Mai) dem Witschi nach Gerzenstein, er möge mich in meinem Bureau aufsuchen. Er kam gegen siebzehn Uhr zu mir. Ich teilte ihm den Entschluß seines Gläubigers mit. Witschi regte sich sehr auf, sagte, er sei ein ruinierter Mann, es bleibe ihm nichts anderes übrig, als sich das Leben zu nehmen. Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß dies die Sache nicht ändern werde, sie werde dadurch nur schlimmer, denn die Versicherung würde sich alsdann weigern, die Summe auszuzahlen…«

      Es kamen einige technische Ausführungen und dann fuhr der Notar Münch fort:

      »Witschi begann zu jammern, er schimpfte auf seine Frau und auf seinen Sohn, die ihm das Leben zur Hölle machten, wie er sich ausdrückte. Ich versuchte ihn zu beruhigen. Aber er regte sich immer mehr auf, plötzlich zog er einen Revolver aus der Tasche und drohte mir, er werde sich in meinem Bureau erschießen, wenn ich ihm nicht zu Hilfe käme. Der Mann begann mir auf die Nerven zu fallen, ich wollte ihn los sein, er klagte und jammerte weiter: der Gemeindepräsident wolle ihn internieren lassen… Ich schnitt ihm das Wort ab: Das gehe mich gar nichts an, er solle machen, daß er aus meinem Bureau komme, ich könne solchen Lärm nicht brauchen. Da begann er wieder zu weinen, nein, er wolle nicht gehen, bis er nicht einen Rat erhalten habe. Ich konnte ihm aber keinen Rat geben und sagte ihm dies. Jetzt werde er sich also erschießen, sagte Witschi. Ich darauf: Aber nicht in meinem Bureau. Da habe er nicht die rechte Ruhe dazu, aber ich hätte eine leerstehende Kammer, wenn er sich dorthin bemühen wolle, so werde er dort die beste Gelegenheit haben, sich aus er Welt zu schaffen. Du wirst natürlich denken, lieber Wachtmeister, daß ich ein herzloser Mensch bin. Aber das bin ich gar nicht. Nur mußt du bedenken, daß ich in meiner Praxis schon viele derartige Fälle gehabt habe; Selbstmorddrohungen sind bequeme Erpressungsversuche. Die Leute wollen sich gar nicht umbringen, sie wollen nur Eindruck machen und versuchen, etwas herauszuschinden. Ich sage dir das vertraulich und du wirst mich verstehen.«

      Studer schüttelte den Kopf. War es bei Witschi nicht doch vielleicht eine echte Verzweiflung gewesen? Er sah den Wendelin vor sich, wie er auf dem Schragen lag im hellen, allzu weißen Raum des Gerichtsmedizinischen… Der ruhige, schier erlöste Ausdruck auf seinem Gesicht… Münch schrieb weiter, und was er schrieb, schien eigentlich dem Notar recht zu geben:

      »Ich führte den Wendelin in eine abgelegene Kammer und sagte zu ihm: ›Bitte!‹ Dann schloß ich die Türe. Ich war noch nicht fünf Schritte weit gegangen, als ich einen Schuß hörte. Nun wurde mir doch ungemütlich zumute. Ich kehrte zurück, öffnete die Türe: Witschi stand in der Mitte des Zimmers. Ein alter Spiegel, der an der Wand hing, hatte daran glauben müssen… Aber Witschi hatte sich geschont. Merkwürdig scheint mir nur, daß er dann zwei Tage später im Walde erschossen aufgefunden worden ist. Ich kann da keine Meinung äußern…«

      Die Tür ging auf. Zwei Frauen traten ein. Frau Murmann, groß, mütterlich, schützend, führte Sonja ins Zimmer.

      Studer sah die beiden Frauen an. Er nickte.

      »Danke, Frau Murmann«, sagte er. »Ist's ohne Aufsehen gegangen?«

      »Wohl, wohl«, antwortete die Frau. »Ich hab' sie vor dem Bahnhof erwartet, und sie ist ganz willig mitgekommen.«

      »Wir fahren zusammen nach Thun, Meitschi, wir gehen den Schlumpf besuchen. Ist's dir so recht? Ich hab' nur nicht wollen, daß die Mutter etwas davon erfährt, drum hab' ich die Frau vom Landjäger geschickt, damit sie dir's sagt. Verstehst? Es ist weiter nicht gefährlich…«

      »Jawohl, Herr Wachtmeister.« Sonja nickte eifrig.

      »Aber die Leute hier brauchen uns nicht zu sehen«, fuhr Studer fort. »Murmann leiht mir sein Motorrad, er wird vorausfahren und auf uns warten. Du kannst auf dem Soziussitz hocken, um neun Uhr sind wir in Thun. Vorher hat's keinen Zweck. Geh' jetzt mit der Frau Murmann. Ich muß noch arbeiten. Ich sag' dir dann, wann wir gehen. Du gehst voraus, und wir treffen uns. Verstehst?«

      Sonja nickte schweigend.

      »Komm, Meitschi«, sagte Frau Murmann.

      Aber Sonja zögerte noch. Endlich stotterte sie (und Studer merkte, daß ihr das Schluchzen zuoberst in der Kehle saß):

      Ob der Wachtmeister nicht wisse, wo der Armin hin sei?

      »So? Ist er nicht daheim?«

      – Nein, er sei verschwunden, seit… ja seit er damals vom Tisch aufgestanden sei; aber die Mutter habe gar keine Sorge gezeigt, sie sei heut' morgen wieder zum Kiosk… Was der Wachtmeister meine?

      Der Wachtmeister schien gar nichts zu meinen, denn er schwieg. Er hatte etwas Derartiges erwartet. Die ganze Nacht hatte er in Witschis Garten verbracht, versteckt hinter einem großen Haselbusch und hatte den Schuppen nicht aus den Augen gelassen. Bevor er die Wache angetreten hatte, war er noch in den Schuppen gegangen. Die Tür mit den Spuren von Witschis Schießversuchen (eigentlich, hatte er gedacht, ist es noch gar nicht bewiesen, daß Witschi sich geübt hat) stand noch an der gleichen Stelle, und während der ganzen Nacht hatte niemand versucht, sie zu holen. Witschis Haus blieb still und dunkel, die alte Frau Anastasia war um zehn Uhr heimgekommen. Eine Stunde lang hatte Licht in der Küche gebrannt. Dann war das Haus dunkel geblieben bis zum Morgen. Studer war sicher, daß Frau Witschi wußte, wohin ihr Sohn gegangen war. Er tauchte sicher auf, wenn die Luft wieder rein war.

      Aber was hatte ihn vertrieben, den Armin Witschi, den Maquereau? Etwa Schreiers, des Handharfenspielers, laut gesprochene Worte: »So, so, hat das Schlumpfli gestanden?«

      War etwa das Geständnis Schlumpfs nicht im Programm vorgesehen gewesen?

      Wie leicht hätte Studer den Aufenthaltsort des Armin erfahren können! Aber er wollte ihn vorläufig gar nicht wissen. Heut' am Morgen, beim Frühstück, hatte die Bertha, die Saaltochter, verweinte Augen gehabt. Sie hatte hin und wieder trocken aufgeschnupft und Studer hatte sich treuherzig erkundigt, was denn los sei?

      – Gar nüd sei los, hatte die Bertha gemeint.

      Da hatte Studer sich nicht beherrschen können und im gleichen treuherzigen Ton weitergefragt:

      – Wieviel Geld sie denn dem Armin habe geben müssen?

      – Fünfhundert Franken, ihr ganzes Erspartes! Aber der Wachtmeister müsse das für sich behalten, ja nicht weiter sagen! Sobald die Versicherungen ausbezahlt seien, werde der Armin sie heiraten, das habe er ihr versprochen, ja, geschworen habe er es ihr. Sie wisse nicht, warum sie das jetzt dem Wachtmeister erzählt habe, sie hätte nichts sagen sollen, der Armin habe ihr das Versprechen abgenommen… und weiter in dem Ton. Studer hatte dem Mädchen beruhigend die Hand getätschelt. Diese Saaltochter! Sie war nicht mehr jung, immer mußte sie freundlich sein mit den Gästen, mußte klobige Witze anhören, sich handgreifliche Zärtlichkeiten gefallen lassen… Und dann kam einer, wie der Armin Witschi… Er war freundlich, rücksichtsvoll, unglücklich, er war ein Studierter… Was Wunder, daß das Mädchen sich in ihn verliebte? Vielleicht war der Armin gar kein schlechter Kerl. Man müßte mit dem Burschen einmal reden, hatte Studer gedacht und


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