Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten. Friedrich GlauserЧитать онлайн книгу.
verbinden. Die Nummer des II. Arztes war ja rot und hatte somit Anschluß nach auswärts…
–… Studer solle nur ruhig in Randlingen bleiben, solange er es für nötig finde… Im Büro sei er doch nicht zu brauchen. Ja, er habe erfahren, daß der Direktor Borstli tot sei… So? Studer habe ihn gefunden?… Eine blinde Henne finde manchmal auch ein Korn… Das Signalement des Pieterlen? Ja, das habe er erhalten. Es sei schon telephonisch durchgegeben worden, und heute mittag komme es im Radio… Wiederluege…
Zwei kleine Belastungsproben
Der Entschluß, sich Zeit zu lassen, wurde an diesem Morgen zwei Belastungsproben unterworfen. Die dritte Belastungsprobe erfolgte erst am Nachmittag.
Nachdem das Summen des Staubsaugers verstummt war, kam Frau Laduner den Wachtmeister holen. Er könne jetzt ruhig in sein Zimmer gehen und etwas abliegen. Niemand werde ihn stören.
Als Studer den Sandsack aus seinem Koffer nehmen wollte, um ihn noch einmal zu untersuchen – denn im Laufe des Morgens hatte er gedacht, ein wenig zu mikroskopieren – war der Sandsack verschwunden. Er hatte sich nicht zwischen der Wäsche verborgen – er war fort, verschwunden…
Das konnte vorkommen. Studer machte gute Miene zu bösem Spiel, legte sorgfältig den Inhalt seines Koffers auf den Tisch, fand auf dem Boden der Handtasche etwas körnigen Sand, der von nichts anderem als vom Sandsack herrühren konnte, sammelte ihn in eine Enveloppe und zeichnete diese.
Dann trat er ans Fenster und blickte über den Hof.
Der Ebereschenbaum mit den gelben Blättern… Sonst war der Hof grau und leer.
Und da hatte er die zweite Belastungsprobe zu bestehen:
Er sah zwei Männer mit weißen Schürzen, die ganz am Ende des Hofes eine Bahre trugen mit einem Sarg darauf. Er wartete, sie kamen wieder, betraten das U 1. Nach einer Weile traten sie heraus mit einem zweiten Sarg. Im Gleichschritt, ein wenig wiegend, gingen sie auf ein Gebäude zu, das am Ende des Hofes lag, in der Nähe des großen Kamins, halb verdeckt vom Küchengebäude…
Letzte Nacht einen Toten… Diese Nacht zwei… Bohnenblust hatte recht behalten… Aber, war das nicht eine Sache, die das ärztliche Gewissen anging?… Schließlich, nicht jede chirurgische Operation gelingt… Warum sollte es bei seelischen Erkrankungen nicht auch einmal auf Leben und Tod gehen?… Dr. Laduner hatte recht, was ging das einen Laien an?
Am besten, man legte sich etwas hin und dachte nach… Sollte man vielleicht nach dem Gilgen schauen? Ihn trösten?…
Studer schnellte auf…
Das Mädchen machte gerade das Eßzimmer.
»Loset, Jungfer!« rief Studer sie leise an. Und ob sie heut morgen den Pfleger Gilgen direkt ins Arbeitszimmer geführt habe? – Nein. Er habe gesagt, er habe gestern nachmittag im Zimmer des Herrn Studer etwas vergessen, und sie habe ihn hingeführt… Ob der Herr Wachtmeister etwas vermisse?
– Nei, nei… Und es sei alles in Ordnung…
Dann lag Studer wieder auf dem Bett und überlegte sich, was zu tun sei… Den rothaarigen Gilgen ein wenig über Kreuzfragen rösten?… Eine unangenehme Beschäftigung!… Immerhin: Gilgen im Arbeitszimmer – und im Arbeitszimmer war die Brieftasche des Direktors hinter den Büchern versteckt… Gilgen im Zimmer des Wachtmeisters – und der Sandsack verschwand, und nur einem Zufall war es zu verdanken, daß die erste Enveloppe – die mit dem Haarstaub – unversehrt zurückgeblieben war…
Gilgen, der jeden Sonntag mit Pieterlen spazieren ging… Was hatten die beiden auf ihren Wanderungen b'rchtet?… Aber Gilgen hatte Sorgen, Gilgen hatte eine kranke Frau in Heiligenschwendi…
Es war merkwürdig, wie berufsunlustig man in der Atmosphäre einer Heilanstalt wurde…
Vielleicht konnte man doch mikroskopieren gehen?… Später! Vielleicht konnte man den Freund vom seligen Direktor besuchen, den Metzger und Wirt zum ›Bären‹, Fehlbaum mit Namen, der jeden Abend die Einsamkeit des alten Herrn mit einem Dreier Wein gemildert hatte?… Später, später…
Der Assistent Dr. Neuville war etwas erstaunt, als gegen elf Uhr vormittags der Wachtmeister Studer den Raum betrat, der als Apotheke diente, und sich bescheiden erkundigte, ob er nicht vielleicht ein Mikroskop benützen dürfe…
– Aber natürlich! Selbstverständlich! Bitte!… Entrez!… Und als Dr. Neuville mit dem schwarzen Haar und dem Wieselgesicht auch noch festgestellt hatte, daß der Wachtmeister Studer das Französische gerade so gut beherrschte wie ein Genfer, war er von seiner neuen Bekanntschaft begeistert. Er rieb das Okular mit einem weichen Lederstückchen sauber, richtete Plättchen, sah erstaunt zu, als Studer zwei Enveloppen aus der Tasche zog und vorsichtig zwei Präparate machte. Der Wachtmeister schien mit dem Resultat zufrieden, er pfiff vier Takte des Brienzer Buurli, zündete dann umständlich eine Brissago an und fragte den Assistenten Neuville, ob er Lust habe, einen Bummel ins Dorf zu machen. Ein Apéritif könne nichts schaden.
Der Assistent Neuville war begeistert und sprach auf dem ganzen Wege. In seiner Eintönigkeit klang der Redefluß exakt wie das ewig gleiche Rauschen des Wasserfalls von Pisse-vache, obwohl dieser berühmte Wasserfall im Wallis strömte – aber Dr. Neuville ganz sicher aus Genf stammte…
Es war nicht weiter interessant, was der Assistent zu erzählen hatte. Denn daß er von einer Sonntagsvisite berichtete, die er als jüngster Assistent mit dem Direktor hatte unternehmen müssen, und daß der Direktor auf der ganzen Strecke, vom Mittelbau bis zum U 1, auf dem Hof… – Doch nein, es ließ sich wirklich nur mit den französischen Worten des Assistenten Neuville umschreiben: »Il a, comment vous dire, il a… oui… il a… eh bien, il a pété tout le temps… Figurez-vous ça?…« Nun, das war humoristisch, es gab dem Bilde des alten Herrn einen etwas grellen Farbentupf, nichts weiter…
Nichts weiter… Doch, einige Skandalgeschichten. Der jüngste Assistent schien über alle zarten und derben Beziehungen in der Anstalt auf dem laufenden zu sein. Mit wem dieser Pfleger ›ging‹ (und wenn er ›ging‹ sagte, so… ) und daß diese Pflegerin ›facile‹ sei, während bei andern ›rien à faire‹ war… Die Irma Wasem hatte früher nach Angaben des Assistenten zu den ›facile‹ gehört, zu den ›leichten Tüchern‹, aber ihre Bekanntschaft mit dem Direktor habe sie in die zweite Kategorie versetzt… Begreiflicherweise…
Aus dem Geschwätz ging eines klar hervor: Unter der Oberfläche ging allerlei vor, was in offiziellen Ansprachen besser unerwähnt blieb, in jenen festlichen Ansprachen, in denen sicher allein gedacht wurde: ›der Aufopferung, mit der unser verdientes Pflegepersonal der leidenden Menschheit diente…‹ Schwer zu rekonstruieren war solch eine Rede nicht. Bei ähnlichen Anlässen wurde den Fahndern auch erzählt, sie seien ›die Hüter der Ordnung, die Beschützer des Staates und der Gesellschaft gegen die Übergriffe des Verbrechens und der Anarchie…‹ und eine Stunde später fluchte der Redner schon wieder über die verdammten Schroter… Das war der Welt Lauf… Übrigens, ging vielleicht in Polizeikreisen nicht auch allerhand vor, von dem die Öffentlichkeit sich nichts träumen ließ?… Die Öffentlichkeit brauchte sich gar nichts träumen zu lassen, das war unnütz und schädlich…
Studer ertappte sich auf nichtsnutzigen Gedanken. Das kam davon, wenn man von einer psychiatrischen Autorität schonungsvoll und mit viel Umschweifen aufgeklärt wurde, man sei nur deshalb zur Polizei gegangen, weil man verbrecherische Instinkte abreagieren müsse… Aber, bitte! Warum war dann Dr. Laduner Psychiater geworden? Um der leidenden Menschheit zu helfen oder auch um abzureagieren? Was hatte Dr. Laduner abzureagieren? Hä?…
Gut, daß man zum Metzger und Wirt Fehlbaum kam und bei ihm in einer mit weißem Holz getäfelten Stube, gemütlich hockend hinter glattgescheuertem Tisch, einen Wermut trinken konnte.
Er war gar nicht so dick, wie er eigentlich als Metzger und Wirt hätte sein sollen, der Herr Fehlbaum. Es stellte