Edgar Wallace-Krimis: 78 Titel in einem Band. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.
Glas geschnitten.« Mr. Smith wies auf die zerbrochene Fensterscheibe. Dann schaute er hinaus.
Eine leichte Hakenleiter, wie sie bei amerikanischen Feuerwehren benützt wird, hing draußen an der Brüstung. Der Nebel war so dicht, daß man unmöglich erkennen konnte, wie lang sie war. Die beiden zogen sie mühelos nach oben. Sie bestand aus leichten Bambusstangen, an denen in gewissen Abständen kurze Eisenklammern angebracht waren.
»Auch hier sind Blutspuren«, bemerkte Ela. Dann wandte er sich schnell an den Beamten, der auf sein Klingelzeichen erschienen war, und gab seine Anordnungen in größter Eile. »Der Inspektor vom Dienst soll sofort mit allen verfügbaren Mannschaften das Polizeipräsidium umstellen – rufen Sie die Wache Cannon Row an, daß alle Leute an der Absperrung teilnehmen sollen. Ein Mann mit einer verletzten Hand soll verhaftet werden – geben Sie den Befehl an alle Reviere durch.«
»Wir haben nur wenig Aussicht, unseren Freund auf diese Weise zu fassen«, sagte Mr. Smith. Er nahm ein Vergrößerungsglas und betrachtete einen der Blutflecken.
»Wer mag das gewesen sein?« fragte Ela.
Mr. Smith zeigte auf den blutigen Fingerabdruck.
»Montague Fallock – und er weiß jetzt gerade das, was er unter keinen Umständen erfahren sollte.«
»Und was ist das?«
Mr. Smith antwortete nicht gleich. Er stand mitten im Zimmer und schaute sich um, ob er nicht irgendwelche Spuren oder Anhaltspunkte finden könnte, die der Einbrecher hinterlassen hatte.
»Er weiß genausoviel wie ich«, sagte er grimmig. »Aber vielleicht bildet er sich ein, daß ich noch mehr weiß – die Dinge werden sich ja entwickeln.«
4
Es war eine böse Nacht für London. Sie war nicht wild oder stürmisch, aber die ganze Stadt war – wie eine Mohammedanerin, die bis zu den Augen verschleiert ist – in Nebel gehüllt. Der weiche, graue Dunst hing über den engen Straßen der Stadt, durch die sich den ganzen Tag über der Verkehr gewälzt hatte, und machte die kleinen Seitenstraßen zu einem wahren Irrgarten. Fast noch schwerer war es, sich auf den großen Plätzen zurechtzufinden. Besonders unten am Boden war der graue Dunst so dicht, daß man nicht einen Meter weit sehen oder etwas erkennen konnte. Die Menschen gingen gespenstisch und abenteuerlich durch eine fremde, unbekannte Welt.
Gelegentlich zerrissen die Nebelschleier, um sich dann nur wieder fest zu schließen. Vor dem Jollity-Theater brannte eine große Anzahl starker Bogenlampen, deren zitterndes Licht den Platz erhellte. Eine ununterbrochene Reihe von Fahrzeugen strömte hierher. Die Wagen sahen wie ungeheuer große, glitzernde Käfer aus, die von irgendwoher auftauchten. Sie verschwanden wieder in dem ungewissen Nebel, nachdem die Fahrgäste ausgestiegen waren. Auch eine lange Prozession von Fußgängern wand sich über diesen erleuchteten Platz.
Inmitten der Menge bewegte sich ein junger Bursche mit scharfgeschnittenen Gesichtszügen, der offenbar Zeitungen verkaufte, aber alle ankommenden Wagen scharf beobachtete. Plötzlich stürzte er an den Rand des Gehsteigs, wo soeben ein Taxi hielt. Ein Herr stieg etwas schwerfällig aus und half dann einer jungen Dame heraus.
Nur einen Augenblick wurde die Aufmerksamkeit des Jungen von der glänzenden Erscheinung dieser Dame abgelenkt. Das in ein weites, elfenbeinfarbenes Cape gehüllte Mädchen hatte einen zarten Teint und war groß und schlank. Ihre Augen, die unter großen, schöngeschwungenen Wimpern hervorschauten, waren ausdrucksvoll und von wunderbar blauer Farbe. Sie lachte.
»Sei vorsichtig, Tante«, sagte sie vergnügt, als noch eine etwas untersetzte ältere Dame mit steifen Bewegungen aus dem Wagen stieg. »Dieser Londoner Nebel ist gefährlich.«
Der Zeitungsjunge war eine Sekunde lang in den Anblick des Mädchens versunken, aber dann erinnerte er sich plötzlich an seinen Auftrag. Seine Keckheit kam wieder zum Durchbruch, und er drängte sich vor.
»Zeitung gefällig, mein Herr?«
Der Angesprochene schien ihn zuerst abweisen zu wollen, aber die Haltung des Jungen ließ ihn seine Absicht ändern.
Während er in seiner Westentasche nach Kleingeld suchte, betrachtete ihn der Zeitungsjunge genau. Unter dem großen Hut war ein Gesicht mit kraftvollen Zügen zu sehen, aber es zeigte eine ungesunde, graublasse Farbe. Die Lippen waren dünn und zusammengekniffen, und tiefe Furchen liefen von den Nasenflügeln zum Kinn. Die Augen standen dicht beisammen und hatten eine trübdunkle Färbung.
Das ist er, sagte der Junge zu sich selbst.
Die junge Dame lachte, als sie sah, daß sich ihr Begleiter in dieser ungemütlichen Umgebung so sehr für Zeitungen interessierte, und wandte sich an einen jungen Mann in Gesellschaftskleidung, der eben aus einem zweiten Auto gestiegen war und auf sie zutrat.
Diesen Augenblick, in dem die anderen abgelenkt wurden, benutzte der kleine Bursche und trat noch etwas näher an den älteren Herrn heran.
»T.B.S.«, sagte er leise, aber klar verständlich.
Der Mann erbleichte plötzlich, und das Geldstück, das in seiner großen, weißbehandschuhten Hand lag, fiel klirrend zu Boden.
Der Zeitungsjunge bückte sich schnell und hob es geschickt auf.
»T.B.S.«, flüsterte er noch einmal und noch eindringlicher.
»Hier?« Die Lippen des alten Herrn zitterten.
»Er beobachtet das Theater – eine Menge Detektive sind hier«, erwiderte der Junge rasch und war froh, daß er seine Botschaft angebracht hatte. Während er das Geldstück zurückgab, schob er ein Stück Papier in die Hand des Mannes.
Dann drehte er sich mit einem vergnügten Blick zu der jungen Dame um, sah sie prahlerisch an, streifte auch ihren Begleiter mit den Augen und verschwand wieder in der Menge.
Der ganze Vorfall hatte kaum länger als eine Minute gedauert. Gleich darauf saß die kleine Gesellschaft in einer Loge, zu der die prickelnden Melodien der Ouvertüre des »Strand Girl« hinaufschallten.
»Ich wünschte, ich wäre ein kleiner Londoner Straßenjunge«, sagte das junge Mädchen nachdenklich und rückte den Veilchenstrauß an ihrem Ausschnitt zurecht. »Denken Sie nicht auch an Abenteuer, Frank?«
Frank Doughton schaute mit einem bedeutungsvollen Lächeln zu ihr hinüber, und sie errötete unter seinem Blick.
»Nein, das tue ich nicht«, erwiderte er liebenswürdig.
Doris lachte ihn an und zuckte dann ihre schönen, zarten Schultern.
»Für einen jungen Journalisten sind Sie viel zu offen und zu vertrauensselig, Frank. Ich möchte fast sagen: zu unerfahren. Sie müßten sich daran gewöhnen, diplomatischer zu sein und mit größerem Scharfsinn zu arbeiten – sehen Sie sich doch einmal unseren gemeinsamen Freund, den Grafen Poltavo, an!«
Ihre Stimme klang mutwillig, und er fühlte sich verletzt. Als der Name des Polen genannt wurde, verfinsterten sich seine Züge.
»Der kommt doch nicht etwa heute abend auch?« fragte er unangenehm berührt.
Doris nickte mit lachenden Augen.
»Ich weiß nicht, was Sie an diesem Mann finden«, sagte er ein wenig vorwurfsvoll. »Ich will jede Wette mit Ihnen eingehen, daß der Kerl ein Spitzbube ist! Er ist aalglatt und gewandt, aber er hat einen schlechten Charakter. Lady Dinsmore«, wandte er sich an die ältere Dame, »gefällt er Ihnen denn auch so gut?«
»Fragen Sie nur Tante Patricia nicht«, entgegnete die junge Dame. »Sie hält ihn für den liebenswürdigsten und faszinierendsten jungen Mann in London – streite es nicht ab, Tante!«
»Das fällt mir gar nicht ein, denn es stimmt. Graf Poltavo –« Lady Dinsmore unterbrach sich, um einige Leute durch ihr Lorgnon zu betrachten, die