Butler Parker 116 – Kriminalroman. Günter DöngesЧитать онлайн книгу.
Agatha Simpson glaubte sich seit geraumer Zeit verfolgt. Erstaunlicherweise fühlte sich die Dame aber nicht belästigt, sondern hatte das sichere Gefühl, um ihrer selbst willen beobachtet zu werden.
Sie war sechzig, ein wenig füllig und hätte als Walküre auf einer Bühne ausgezeichnet gewirkt.
Die passionierte Detektivin trug ein teures Chanel-Kostüm, das leider recht faltenreich und zerbeult aussah. Sie konnte sich solche Nachlässigkeiten leisten, denn sie war reich und legte auf Äußeres keinen Wert. In ihrer Hand hielt sie einen mit Perlen bestickten Pompadour. Er erinnerte an einen Mini-Seesack und barg wichtige Kleinigkeiten, derer sich Lady Simpson bei Bedarf gern bediente.
Der Verfolger mochte ihr Alter haben. Er wirkte straff und trug einen Stadtmantel. Sein gebräuntes Gesicht deutete darauf hin, daß er ein Leben in freier Natur bevorzugte. Die Haarfarbe unter dem Bowler war nicht auszumachen.
Es war Mylady schon seit langem nicht mehr passiert, auf solche Art beschattet zu werden.
Agatha Simpson fühlte sich animiert und geschmeichelt. Als sie an einem Spiegel vorüberkam, konnte sie dem Verlangen nicht widerstehen, sich zu betrachten. Doch sie fand sich wirklich nicht sehr ansehnlich. Die Eitelkeit stieg in ihr hoch, und sie ärgerte sich, dieses alte und unmögliche Kostüm für ihren kleinen Stadtbummel gewählt zu haben. Agathas Kleiderschränke waren schließlich wohl gefüllt, und sie nahm sich vor, in Zukunft etwas mehr auf ihr Aussehen zu achten.
Mylady rückte sich den Hut zurecht, der verzweifelte Ähnlichkeit mit einem Blumentopf besaß. Spontan nahm sie sich vor, umgehend einen neuen Hut zu kaufen. Sie befand sich immerhin in einem der besten Warenhäuser Londons und brauchte nur zu wählen. Sie hatte sich bereits jetzt schon für ein Modell entschieden, das von einer weitläufigen Verwandten getragen wurde, nämlich der Queen. Was sich für die Königin schickte, war gerade recht für sie!
Der Gentleman mußte mitbekommen haben, daß sein Interesse bemerkt worden war.
Er griff nach seinem Bowler, grüßte zurückhaltend und schritt dann weiter. Ja, dieser Mann besaß wirklich Lebensart und war nicht aufdringlich oder vulgär zu nennen. Lady Agatha errötete sanft wie eine Primanerin und war so frei, andeutungsweise den Gruß zu erwidern.
Sie hatte nicht die geringste Ahnung, daß sie damit ungewollt ihrem Mörder freie Bahn einräumte. Der Gentleman wartete nur auf eine günstige Gelegenheit, um Lady Agatha Simpson ins Jenseits zu befördern, diskret und ohne jedes Aufsehen. Ein Warenhaus dieser Art war wie geschaffen dazu.
*
Im Gegensatz zu Agatha Simpson wußte der Mörder nicht, daß auch er beobachtet und verfolgt wurde.
Der Mann war ahnungslos.
Er hatte sich ausschließlich auf sein Opfer konzentriert, das ihm von seinen Auftraggebern genau beschrieben worden war. Er hatte das Foto immer wieder genau betrachtet und sich alle Details eingeprägt. Das Bild war ihm zugespielt worden und eine Verwechslung ausgeschlossen. Diese große und stattliche Frau dort in der Hutabteilung war zehntausend Pfund wert! Dieser Betrag war bereits überwiesen worden und lag auf dem Konto einer Schweizer Bank.
Der seriös aussehende Gentleman war Berufskiller, der sein Inkognito bisher geschickt gewahrt hatte. Zu erreichen war er nur über eine Deckadresse in Kanada. Er besaß dort ein kleines Apartment in einem riesigen Wohnsilo, wo die Anonymität eine Selbstverständlichkeit war. Diese Wohnung suchte er so gut wie nie auf, doch er hatte sich eine Möglichkeit verschafft, die dort eintreffenden Anfragen abzurufen. Er war ohnehin nur telefonisch zu erreichen.
Der Berufsmörder hieß Norman Lower, benutzte aber ganz nach Fall und Laune Fremdnamen. Er arbeitete geschickt und präzis. Für gutes Geld lieferte er erstklassige Arbeit. Spuren hatte er bisher noch nie hinterlassen. Er erledigte seine Opfer keineswegs auf die herkömmliche Art und Weise. Schußwaffen schätzte er überhaupt nicht. Norman Lower arbeitete raffinierter. Seine Opfer starben jeweils eines natürlichen Todes.
Genau diese Methode war es, die diesen Mann kennzeichneten. Er sicherte damit nicht nur seine Kunden ab, sondern vermied es auch, daß die Polizei sich einschaltete. Er plante seine Morde mit Verzögerung. Erst viele Stunden nach einem Kontakt mit den jeweiligen Opfern kam es zu den normal erklärbaren Sterbefällen. Norman Lower besaß chemische Präparate, die ihm in jedem Fall einen zeitlichen Vorsprung von vielen Stunden garantierten.
Er amüsierte sich im Moment über die schrullige Alte, wie er sein Opfer insgeheim nannte. Sie schien so etwas wie einen Nachholbedarf zu haben und war nur zu gern und schnell auf seinen gekonnten Flirt eingegangen. Norman Lower hatte seine Maske nicht umsonst so geschickt gewählt. Ein Gentleman mit möglichem militärischen Hintergrund mußte für eine Dame ihres Schlages ansprechend sein.
Er hatte sich mit seinem Opfer genau auseinandergesetzt und es seit einigen Tagen bis ins Detail genau studiert. Ihm war inzwischen bekannt, daß sie eine Art Amateurdetektivin war. In dieser Marotte wurde sie unterstützt von einem Butler, der Josuah Parker hieß, und dann noch von einer Art Gesellschafterin namens Kathy Porter.
Es konnte sich natürlich nur um Laien handeln, doch er nahm sie keineswegs auf die leichte Schulter. Nach seinen jüngsten Informationen befanden sich die beiden Personen zur Zeit aber nicht in Agatha Simpsons Nähe. Sie hatten die resolute Dame nur vor dem Warenhaus abgesetzt und waren in einem schrecklich altertümlichen Wagen weitergefahren. Nein, diese schrullige Alte dort in der Hutabteilung gehörte ihm ganz allein! Es war nur noch eine Frage von vielleicht dreißig Minuten, bis er sie nach seiner altbewährten Methode »impfen« konnte. Diese zehntausend Pfund waren ihm sicher, wenngleich sie schon überwiesen waren. Norman Lower hatte saubere Geschäftsprinzipien. Bisher war es ihm noch nie passiert, daß er im voraus kassiertes Geld wieder rücküberweisen mußte.
Er pirschte sich noch näher an die seiner Meinung nach schrullige Alte heran, die gerade einen neuen, unmöglichen Hut probierte. Er lächelte in sich hinein. Die Käuferin beschäftigte sich da mit Dingen, die sie nicht mehr brauchen würde. Ihr Tod war bereits vorprogrammiert.
*
Kathy Porter war zwar zusammen mit Butler Parker weitergefahren, doch es hatte sich nur um ein taktisches Manöver gehandelt. Nach einer kleinen Schleife um den Geschäftsblock war sie ausgestiegen, nachdem sie ihr Aussehen noch im Wagen verändert hatte.
Kathy Porter, Lady Agathas Gesellschafterin, glich jetzt einer etwas streng aussehenden Sekretärin, trug eine große Brille und einen leichten, nicht gerade modisch aussehenden Hänger. Sie hatte Lady Agatha schnell aufgespürt und ließ sie nicht aus den Augen. Sie und auch Butler Parker kannten ihr exzentrisches Wesen nur zu gut. Ihr Temperament entzündete sich leicht an Kleinigkeiten. In solchen Fällen neigte Lady Simpson dazu, nachdrücklich zu reagieren. Sie war eine Frau, die sich nichts gefallen ließ.
Das war aber nicht der einzige Grund, um Agatha Simpson vorsichtig zu beschatten. Auf verschlungenen und geheimen Umwegen war Josuah Parker zu Ohren gekommen, daß gewisse Kreise etwas gegen die ältere Dame im Schild führten. Lady Agatha hatte sich unbeliebt gemacht. Vor einigen Wochen war es ihr praktisch im Alleingang gelungen, den »Import« von gut und gern drei Zentnern Marihuana auffliegen zu lassen. Es war reiner Zufall gewesen, doch das ließen die Rauschgifthändler bestimmt nicht gelten. Sie waren um ein kleines Vermögen gebracht worden und würden sich dafür bestimmt rächen.
Kathy Porter wandelte also nicht von ungefähr auf den Spuren der unternehmungslustigen Detektivin. Ihre Tarnung galt vor allen Dingen Lady Agatha. Sie durfte einfach nicht wissen, daß man sich um sie sorgte. Sie hätte sich solch eine Absicherung energisch verbeten.
Die streng aussehende Sekretärin war auf den seriösen Herrn aufmerksam geworden, der inzwischen sogar mit dem Gegenstand ihrer Sorge ins Gespräch gekommen war. Der Mann gab sich sehr höflich, zeigte erstklassige Manieren und ging zusammen mit Lady Simpson hinüber zum Lift.
Damit war Kathy Porter nun gar nicht einverstanden. In solch einem Lift konnte viel passieren, zumal dann, wenn keine anderen Mitfahrer vorhanden waren.
Schien Agatha Simpson das zu ahnen?
Sie hatte auf jeden Fall etwas in einer Vitrine entdeckt und blieb stehen. Sie ließ sich von der Verkäuferin Modeschmuck