Science-Fiction-Romane: 33 Titel in einem Buch. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
Die Terrasse wölbte sich im Bogen weit vor, und als ich im Schutz einiger Steine nach links spähte, hielt ich unwillkürlich den Atem an: Auf der benachbarten Kuppe lehnte an einer einzelnen dickstämmigen Buche Oberst Arthur Bluß und rauchte eine Zigarette und beobachtete das große Motorboot, auf dem sich vier Polizeibeamte befanden. Zu Füßen des schlanken Kolonels aber lag ein großer pechschwarzer Hund, ein Dobermann, den Kopf auf den Vorderpfoten, die spitzen Ohren spielten andauernd, und es machte ganz den Eindruck, als ob Bluß hin und wieder mit dem Hunde sprach.
Ich zog mich schleunigst in das Dickicht zurück. Hätte der Kolonel nur einmal den Kopf nach rechts gedreht, würde er mich gesehen haben. Mir lag vorläufig nichts daran. Wir würden uns wohl noch unter für mich günstigeren Umständen begegnen. Der Fußtritt zwischen uns war wettgemacht, und Ethel Murrays Befreiung sollte ihm beweisen, daß auch außerhalb Australiens die Romantik noch zu finden war.
Als ich die Höhle erreicht hatte, war Bell Dingo noch immer nicht zurückgekehrt. Was trieb er eigentlich da unten vor dem geheimen Eingang?! Die Berittenen hatten es doch offenbar aufgegeben, die Schlucht zu erobern. Sonst wäre Bluß wohl kaum so behaglich in den Anblick der Bucht und in den Genuß seiner Zigarette versenkt gewesen. – Ich schritt also tiefer in die Grotte hinein und den natürlichen Felsengang abwärts. Der Pfahl war noch fest gegen den riesigen Stein gestützt, aber mein schwarzer Ai Ai glänzte durch Abwesenheit. Das beunruhigte mich. Ich blickte durch die schmalen Spalten zwischen Felsloch und Verschlußloch in den Talkessel hinaus. Die beiden Leute, die dort am Feuer lagen, waren leider Polizisten. Die Schlucht war mithin doch schon vom Gegner besetzt.
Wo war Bell Dingo?!
Ich eilte nach oben vor die Hütte und rief seinen Namen.
Ich pochte gegen die Flechtwerktür, ich riß sie schließlich auf …
Die Hütte war leer.
Was bedeutete das?!
Ich trat ein, ich scherte mich den Teufel um den Kamu-Ausschlag, obwohl ich in Sydney Leute getroffen hatte, deren Gesichter dadurch grauenvoll entstellt waren.
Das Halbdunkel im Innern ließ mich die Gegenstände nur erraten. Da war ein Tisch, zwei Klappstühle, ein eisernes Klappbett mit blendend weißer Wäsche, – da waren ein Schränkchen, eine Hängelampe für Petroleum, ein zweites Schränkchen mit einem großen Stehspiegel und allerlei Toilettensachen, Bürsten, Kämmen, Zahnbürsten, Tuben, mit allerlei Kultursalben, Fläschchen mit Mundwasser, Parfüm, Haarwasser … Da lagen drei Taschenlampen mit frischen Batterien, Nagelfeilen, Puderdöschen – weiß Gott noch was alles.
Ich war starr. Dingos Mama schien doch außerordentlich anspruchsvoll zu sein. Die alte Dame mit der grauen Krimmermütze gab mir mehr Rätsel auf als Ethel, Dingo-Bell und der brutale Arthur Bluß, der so überlegen zwinkern konnte.
In einer Ecke lehnten sogar die beiden Karabiner, die Freund Ai Ai den schlafenden Hütern des Gesetzes abgeknöpft hatte.
Sehr merkwürdig war das alles.
Ich nahm den einen Karabiner mit mir. Der Patronenrahmen war gefüllt. Mit der Taschenlampe suchte ich nochmals die ganze Höhle ab.
Ich begriff nicht, wo Mutter und Sohn geblieben sein konnten. Wenn wenigstens noch die Alte vorhanden gewesen wäre! Dann hätte ich mir gesagt, Bell Dingo sei von ihr durch das Felsloch hinausgelassen worden und sie könnte den Pfahl wieder gegen den Stein gelehnt haben.
Behutsam wagte ich mich wieder durch das Dickicht auf die Terrasse hinaus, nachdem ich mir ein Bündel grüner Zweige abgeschnitten hatte, die ich am Rande des Abhangs vorsichtig festklemmte, um Deckung zu haben. Dann erst spähte ich zu der kahlen Kuppe mit der einzelnen Buche hinüber.
Mir fiel fast der Karabiner aus der Hand. Die Szene dort drüben hatte sich peinlich verändert. Kolonel Bluß und sein Hund waren nicht mehr allein. Vier der Leute in Englischleder standen abseits und hielten einen Strick in den Händen, und am anderen Ende dieses Strickes, der über einem Ast lag, befand sich eine Schlinge, in der zu meinem Entsetzen Bell Dingos Hals steckte. Arthur Bluß aber lehnte noch immer an dem Baume, rauchte noch immer Zigaretten, unterhielt sich jedoch nicht mit seinem Dobermann, sondern mit dem gefesselten Ai Ai, der ihm das von der Abendsonne vergoldete Gesicht zugekehrt hatte.
Diese Vorbereitungen, meinem armen Bell die Luft für immer abzuschnüren, mußten unbedingt Vorbereitungen bleiben. Viel Zeit zum Überlegen hatte ich nicht. Ob der Karabiner etwas taugte, wußte ich nicht. Der erste Schuß würde das ja zeigen. Die Entfernung schätzte ich auf zweihundert Meter, ich brauchte also das Klappvisier nicht zu benutzen.
Ich schob die Büchse vor, zielte mit aller Sorgfalt auf den ruhig vom Ast herabhängenden hellen Strick und drückte ab, lud sofort wieder und feuerte diesmal – der Strick war unversehrt – auf den Unterschenkel des vordersten der Galgenknechte. Da die vier ziemlich in einer Reihe standen, schien diese Kugel mehrfach getroffen zu haben.
Die Kuppe war urplötzlich wie leer gefegt, nur Bell Dingo stand noch wie eine Statue, gegen den rötlichen Himmel scharf umrissen gleich einem Kinobilde.
Dritter – vierter Schuß, – nun war der Strick drei Handbreit über Dingos Kopf zerfetzt, und der schlaue Ai Ai tat das unter diesen Umständen einzig Richtige: Er warf sich zu Boden und rollte sich mit erstaunlicher Fixigkeit den Abhang hinab, tauchte in der Tiefe in den Büschen unter und war vorläufig geborgen. Ob seinem weißen Anzug diese neuartige Flucht sonderlich bekommen war, blieb fraglich.
Kolonel Bluß war zweifellos übelster Laune. Die ungeheure Verschwendung an Patronen, die er jetzt inszenierte, schadete ausschließlich dem Gestein ringsum. Die Queensländer schossen miserabel. Mochten sie. Wenn nur Dingo mit ein paar blauen Flecken davonkäme. Er war nur an den Armen gefesselt gewesen, und ein Kerl wie er, würde sich dort unten im Busch schon weiterhelfen.
Allmählich flaute der Kugelregen ab. Der Kolonel stand hinter der Buche, ich sah hin und wieder den Hutrand und den Stummelschwanz seines Hundes. Allmählich wurde es auch dunkler, und als ich mich nun gerade rückwärts verflüchtigen will, spüre ich eine Berührung.
„Mussu, sehr schönen Dank …“ sagt Bell Dingo und schiebt sich neben mich.
Ich stiere ihn sprachlos an. Der Strick hängt noch um seinen Hals, aber die Hände hat er frei.
„Ai ai, du dich wundern, Mussu,“ fügt er beneidenswert richtig hinzu.
„Allerdings, mein lieber Ai Ai, ich wundere mich beträchtlich … Wie bist du denn in diese scheußliche Lage geraten? Wie hast du die Höhle verlassen, und wo ist deine Frau Mama?!“
Aber er hat lediglich Augen und Ohr für die Kuppe drüben.
„Dumme Kerle das, Mussu,“ meint er wegwerfend. „Wollten mich gar nicht hängen, wollten nur Ethel Murray haben …Wollten mich machen in Angst, Mussu … Ich sagen zu Kolonel Bluß: „Mr. Kolonel, Frau sind entflohen, ich nicht wissen, wo sein.“ Und dann er fragen, wo Mr. Abelsen. Ich sagen: Mussu sein in Sicherheit. – Ich nie lügen. Und dann Mussu schießen, Kerle hüpften wie Känguruh und werfen sich hin, und das sein alles.“
„Also hast du keine Ahnung, wo Frau Murray ist?“
„Sein entflohen, – gut so,“ erklärt er hundeschnäuzig. „Ihr schon finden, Mussu, ai ai, und jetzt ich haben Hunger. Mutter schon kochen zwei Büchsen …“
Er kriecht davon, und ich muß wohl oder übel folgen. Ich werfe noch einen letzten Blick auf die Buche und des Dobermanns Stummelschwanz, und in der Höhle empfängt mich appetitlicher Duft …
Bell Dingo füllt mir einen Blechteller, holt den zweiten Klappstuhl aus der Hütte, und nun höre ich ihn dort drinnen mit seiner Mutter in seinem Heimatidiom schnattern … Ich kann genau alles hören, aber ich verstehe kein Wort, ich bin nur erstaunt, daß diese Niggersprache so zahlreiche helle Kehllaute hat, – und dann sitzt der schöne Dingo neben mir und ißt mit fast gezierten Bewegungen und lobt die dicke Suppe, ein unergründliches Gemisch von Fleisch, Pflaumen und Speckstücken.
„Wo also war deine Mutter,“ beginne ich wieder, „und wie verließest du die