Das Tal der Lieder und andere Schilderungen. Löns HermannЧитать онлайн книгу.
und mit Klingklang und Singsang, mit grünen Zweigen besteckt, donnern sie abends wieder zurück.
Und hast du keinen Wagen bekommen, es schadet nichts. Drehe dich dreimal um deine Achse und gehe dahin, wo deine Nase dich hinweist; es ist völlig gleich, ob du diesen oder jenen Weg einschlägst, ob du zum Christianental oder nach der Steinernen Renne, zur Himmelspforte oder zur Sennhütte hingelangst: überall ist es schön, überall sind Blumen, ist Wald, sind blühende Abhänge, heimliche Schluchten, lachende Matten, und überall lustiges Volk, die Hände voll von Primeln, Wiesenröschen und Teufelskrallen. Aber suchst du Einsamkeit, nach hundert Schritten hast du sie. Willst du im lichten Laubwalde wandeln, gehe in den Schloßberg; liebst du das dämmrige Tannicht, es ist überall; ziehst du den sonnendurchglühten Kiefernwald vor, er ist nicht weit, und Aussicht kannst du haben, soviel du willst, und hungern und dürsten brauchst du nirgendwo, denn überall zeigen dir die Handweiser, wo eine gastliche Stätte Speise und Trank bietet.
Nimm dir nur nicht vor, planmäßig Wernigerode und seine Umgebung kennen zu lernen; es hat gar keinen Zweck, denn dafür reichen deine vier Wochen Ferien nicht. Bist du schon auf dem Hartenberge gewesen und in dem märchenhaften alten Marmorsteinbruche? Warst du an den Teichen, wo der Drosselrohrsänger singt? Hast du die Sauen bei der Körnung gesehen? Sahst du abends das Rotwild an den steilen Hängen umherziehen? Erspare es dir vorläufig, nach Ilsenburg oder dem Fallstein, nach Elbingerode oder Rübeland zu pilgern oder zu fahren, laß den Huy und den Elm winken und den Brocken brummen, und sieh dich erst in der Nähe um, aber ganz in der Nähe, in der nächsten Nähe.
Setz dich vor das Hotel da unter das Sonnensegel und sperre deine Augen auf, dann hast du vorläufig genug und übergenug. Da ist das Rathaus mit seinem Fachwerk und seinen stolzen Spitztürmen, die rechts und links neben der Treppe stehen wie Wacholder neben einem Heideweg, der bergan läuft. Ist es nicht fein, wie Thomas Hildeborg es verstanden hat, Holz- und Steinarchitektur zu wirkungsvollster Einheit zu verschmelzen? Das muß ein ganzer Kerl gewesen sein, sonst hätte er nicht über die Tür geschrieben: »Einer acht's, der andere verlacht's, der dritte betracht's; was macht's?« Und war es nicht ein reizender Zug vom Grafen Heinrich, dieses Haus, das ihm als Spielhaus gehörte, samt dem Weinkeller und allen Gerechtsamen der Stadt zu schenken? Überhaupt die Fürsten von Stolberg-Wernigerode, das ist wieder ein Vorzug der Stadt. Es sind keine regierenden Fürsten mehr, aber den großen Zug behielten sie von der Zeit bei. Mit Ausnahme des bißchen Park um das Schloß kannst du in allen ihren Anlagen und Wäldern, von hier bis zur Brockenkuppe, frei schweifen; kaum, daß dir ein Förster oder Wärter eine Warnung gibt, wenn du quer über den Rasen läufst oder gar zu große Sträuße von den blühenden Büschen schneidest. Sieh, du hast Glück, das Fürstenpaar fährt vorbei im funkelnden, flimmernden Viererzuge. Achte darauf, wie die Leute grüßen! So gar nicht unterwürfig, trotzdem der Hof ein guter Abnehmer für so viele Leute ist. Zuneigung liegt in den Augen, aber nicht Knechttum.
Nun aber wird es dir zu laut und zu voll hier. Brockenfahrer kommen in hellen Haufen an und von allen Sorten, in Rindsleder und Chevreaux, in Loden und Tennisflanell, ganze Bündel Brockenblumen in den Händen. Es ist verboten, sie abzureißen, und doch pflückt jeder Brockenfahrer sie; denn die Beamten sagen nicht gern etwas. Man ist fast zu liebenswürdig auf stolberg-wernigerödischem Gebiet; etwas mehr Strenge könnte nicht schaden, denn allzu viel Pöbel fährt Sonntags durch den Harz und verschandelt das Land mit Papier und Flaschenscherben. Aber du willst weiter. Geh, wo es dir paßt. Sieh dir das gotische Haus an und freue dich über das reiche Schnitzwerk und die hübschen jungen Mädchen in Weiß, Rosa und Vergißmeinnichtblau, die an den Tischen zwischen den Lorbeerbäumen sitzen, oder geh durch die Anlagen am Bahnhofe und lache den bunten Blumen zu, und vergiß das Schlachthaus nicht, dieses wunderschöne Schlachthaus, das ganz gut ein Ferienheim oder so etwas ähnliches sein könnte, und sieh zu, daß du die alten Türme findest, den stolzen, patrizierhaften am Westentore und den andern, der da irgendwo herumsteht und mit der Luke in seinem Bauche so unglaublich lustig aussieht, als müsse er darüber lachen, daß in seinem Erdgeschosse jetzt Borstentiere schlachtreif gemacht werden. Mensch, du glaubst gar nicht, was es hier alles zu sehen gibt!
Das Wasser zum Beispiel! Überall ist Wasser, breit und schmal und noch schmäler, fadendünn aus einer Röhre über die Böschung in die Gosse rieselnd, aber alles so blank, daß man es trinken kann. Und das viele Wasser, das gibt Brücken und Stege und Geländer und Böschungen und Winkel aller Art, ein Stück Klein-Venedig neben dem andern. Hier besonders, wo die Jungen barbeinig herumwaten, ist es besonders nett; darum heißt die Straße auch die schöne Ecke. Aber sieh dich hier vor, Verehrtester, hier wohnen scheußlich viel hübsche Mädchen, und leicht holst du dir einen hoffnungslosen Knacks unter der Weste; denn sie sind alle schon versagt, längst versagt. In einer so hübschen Stadt mit so viel Blumen und Vogelsang warten die Mädchen nicht lange auf den einen. Dieses Völkchen hier geht schnell und arbeitet schnell, und es lacht und liebt auch schnell, und küssen tut es schrecklich gern. Heute abend, wenn es schummert, geh einmal über die Straße: überall steht eine mit einem, vor jeder Haustür.
Doch du bist ein ernster Mann mit einer Glatze und mangelhaften Aussichten in Punkto Liebe; also mache lieber ernsthafte Studien. Die Straßennamen sind zu diesem Behufe sehr zu empfehlen: da ist eine Pinte und eine Freiheit; und auch die Flur- und Forstnamen, die haben Saft und Kraft: Pulvergarten, Galgenberg, Flutrenne, Armeleuteberg, Kalte Tal, Fenstermacherberg, Verbranntes Eichental, Zwölfmorgental, Auerhahn- und Hasenwinkel und Papenanneken. Da aber mußt du nicht hingehen, sonst wird dir betrübt um die Rippen. Da sitzen sie, jung und alt, und haben Körbe voll Kuchen und Kannen und Tassen, und da wird Kaffee gekocht und gelacht und gesungen, und Pfänderspiele werden gemacht, mit Küssen natürlich. Doch sind hierzu Pfänderspiele nicht immer nötig; es geht auch so. Da platzt du auch schon auf so ein Pärchen und ziehst dich wehmutsvoll zurück. Aber du siehst ja noch nicht ganz baufällig aus, alter Freund, und so wundere dich nicht, wenn dich alle Naselang ein paar hübsche Fräulein nach der Uhr oder nach dem Wege fragen: das sind Ferienkolonistinnen aus irgendwelchen Großstädten, denen das einschichtige Leben hier langweilig ist und die so'n bißchen Sonntagnachmittagsanschluß suchen; denn was der Mensch gewohnt ist, das entbehrt er ungern.
Wenn du klug bist, so sträube dich nicht; man kann hier nicht gut allein sein. Die Bäume blühen, die Vögel singen, blauweiß grüßt der Brocken über den Wald, von unten her lacht das bunte Land herauf, Automobile sausen, braune Kühe kommen mit Klingklang und frohem Gebrumm heim, jedes Kind hat die Faust voll Blumen; es ist wahrhaftig ein Tag, um eine kleine Dummheit zu wagen.
Sei kein Frosch, alter Junge, steige mit den Mädeln zur Harburg hinauf, lasse dir eine dicke Flasche kalt stellen und ein niedliches Abendessen nebst Sonnenuntergang servieren, und freue dich, daß du noch drei Wochen weilen darfst in der bunten Stadt am Harz.
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