Kindheit, Jugend und Krieg. Theodor FontaneЧитать онлайн книгу.
schlug seine Stunde, und das irrtümlich angewandte Wort »Triumph« wurde zum Triumph für seine Gegner. Er ließ nämlich einen Wohltätigkeitsaufruf drucken, darin in klug berechneter Huldigung gegen die drei reichsten und angesehensten Familien Swinemündes von dem »Triumphirate der Stadt« gesprochen wurde. Da hatten sie ihn, er war entdeckt. An dem unglücklichen »ph« war seine Macht gescheitert. Ähnliche Menschlichkeiten folgten, und das eine Zeitlang um sein Ansehen besorgt gewesene Honoratiorentum führte nun das bis dahin so stolze Roß ruhig und sicher am Zügel. Man ließ ihm seine Rodomontaden und war zufrieden, ihn in seinen eigenen Augen einigermaßen entgöttert zu haben. Bauer – der übrigens zwanzig Jahre später (1848) als demokratischer Krotoschiner Bürgermeister noch einmal eine kurze Weile geglänzt haben soll – war einfach Mensch geworden, und der alte Swinemünder Ton konnte wie vordem unbehindert weiterherrschen.
Unter denen, die diesen alten Ton in seiner kräftigsten Urgestalt repräsentierten, stand Konsul Thompson obenan. Er bewohnte ein großes Haus am Markt, ein Haus mit drei Fronten, an deren einer sein kleiner Kaufladen lag, denn, wie bei allen Konsuln, so durfte auch bei ihm der Laden nicht fehlen. Warum alle so sehr darauf hielten, weiß ich nicht, da, wie mir scheinen will, der Ertrag dieser Läden nur unbedeutend sein konnte. Thompson, damals ein Mann von Mitte Vierzig, glich für gewöhnlich dem »deutschen Herrn«, dem Tiefenbach in den Piccolominis, verstand es aber, wenn es paßte, den gemütlichen Tiefenbach in den rücksichtslosesten Illo zu verkehren. Klug, humoristisch, voll Schlagfertigkeit, war er immer noch sehr beliebt und einflußreich, trotzdem er den unter dem Ansehen einer anderen und geschulteren Familie seit etwa fünfzehn Jahren immer maßvoller gewordenen Stadtton nicht mehr ausschließlich bestimmte. Nur im Bowlebrauen war er unbestrittener Herrscher geblieben.
In einer Art Gegensatz zu ihm stand Kaufmann Schultze, der, was Thompson in steifem Grog leistete, seinerseits in matter Limonade war. Aber eben deshalb war er wie geschaffen zum Ballarrangeur und Vergnügungsdirektor, und der sentimentalere Teil der Damenwelt verzog ihn ganz ungebührlich, besonders weil er nebenher auch noch des Vorzugs genoß, der einzige Tenor der Stadt zu sein. Um seinen etwas müde dreinschauenden Kopf lag immer ein Ausdruck höherer Weihe. Dabei hielt er sich für die Swinemünder für zu schade. Wenn ich mir jetzt sein Bild zurückrufe, kommt es mir vor, als hätt ich zu bestimmten Epochen meines Lebens eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm gehabt. – Tenor oder Lyrik macht wenig Unterschied.
Die Schönebergs und die Scherenbergs
Unter den im vorigen Kapitel kurz skizzierten Familien, wie angesehen die eine oder andere derselben auch sein mochte, befand sich keine, die gesellschaftlich den Ton angegeben hätte. Näher dieser Aufgabe kamen die zwei Familien, beide Kaufmannsfamilien, die uns in diesem Kapitel beschäftigen sollen: die Schönebergs und die Scherenbergs.
Zunächst die Schönebergs. In Swinemünde selbst ist gegenwärtig der Name erloschen, aber während jener Jahre, von denen ich hier zu erzählen habe, war der alte Schöneberg zwar nicht der hervorragendste, klügste und vornehmste, wohl aber der reichste Mann der Stadt. Und zwar der wirklich reichste. Denn sein Besitz war solide, was man dem Reste der Swinemünder Honoratiorenschaft nicht nachrühmen konnte. Sie wollten es auch nicht sein; alles Solidesein war langweilig und philiströs. Natürlich schlug oft die Stunde, wo diese beständig vom glücklichen Zufall abhängigen Hazardeure bei der Schönebergschen Solidität Hilfe suchten, und diese Stunde des Hilfesuchens hätte wohl noch öfter geschlagen, wenn nicht der vorsichtige alte Handelsherr, so gern er sonst half, den gewohnheitsmäßigen Vabanquespielern gegenüber eine weise Zurückhaltung beobachtet hätte. Diese Tugend klug erwägender Zurückhaltung war wohl im Zusammenhang damit, daß die Schönebergs keine baltischen Pommern, sondern echte Kinder unserer Mark waren, was sich mir aus ausgangs des vorigen Jahrhunderts von einem Mitgliede der Familie gemachten Tagebuchaufzeichnungen ergibt.
Danach stammten die Schönebergs aus Berlin, wo zu Zeiten des ersten Königs und unter dessen Nachfolger der Ahnherr des nach Pommern hin verschlagenen Zweiges der Familie wohnte. Derselbe war Servicerendant und Kirchenvorsteher an der Marienkirche. Sein Sohn trat dem Kirchlichen noch näher und wurde Prediger zu Biesdorf, wenige Meilen von Berlin, wo ihm von seiner Frau, geb. Meerkatz, fünfzehn Kinder geboren wurden. Einer der Söhne, Kaufmann geworden, ging als solcher erst nach Stargard, dann nach Swinemünde, woselbst er Ende des vorigen Jahrhunderts ein schon in gutem Ansehen stehendes Geschäft erwarb. Es gelang ihm, dies Ansehn zu steigern, aber die volle Blüte stellte sich doch erst unter seinem ältesten Sohn, Heinrich August, ein, geboren 1776, gestorben 1855.
Dieser Heinrich August hieß, als wir 1827 nach Swinemünde kamen, bereits der »alte Schöneberg«, was insoweit ganz in der Ordnung war, als ihm, dem freilich erst Einundfünfzigjährigen, bereits ein junger Schöneberg im Geschäft zur Seite stand. Dies Schönebergsche Geschäftshaus war ein großes Eckhaus am Marktplatz, und meine Mutter, wenn es sich um Einkäufe handelte, dahin begleiten zu dürfen, gewährte mir jedesmal eine große Freude. Was ich da sah, war mir eine fremde Welt. In Ruppin gab es natürlich auch Kaufläden, in denen man in dem einen allerlei Kolonialwaren, in dem anderen Tuch oder Leinwand und in einem dritten irdenes Geschirr kaufen konnte. Diese Läden aber hatten samt und sonders etwas Kleines und Spießbürgerliches, das der Phantasie nirgends Nahrung gab, und wenn es gar Winter war, so konnten einem die armen halberfrorenen Lehrlinge mit ihren braunen Pulswärmern und den Handschuhen ohne Finger vollends die Freude verderben. Von all diesem Unschönen war hier in Swinemünde keine Rede. Der Schönebergsche Laden – der sehr im Pluralis auftrat, denn es war eine ganze Reihe von Läden – barg eine Welt der verschiedensten Dinge, was wohl in dem regen Seeverkehr der Stadt seinen Grund hatte. Wenn ein Schiffskapitän hier eintrat, der seine Brigg zu einer Fahrt um Kap Hoorn herum ausrüsten wollte, so fand er hier alles, was er brauchte: Kompaß und Barometer für sein Schiff, Frieshemden und wollene Mützen für seine Matrosen, vor allem aber auch allerhand feine Dinge für sich selbst; dazu Geschirr für Küche und Kajüte. Das Geschirr buntester und mannigfachster Art bildete, so jung ich war, doch schon damals einen Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit für mich, teils um seiner geschmackvollen Formen und Ornamente, teils um seines Materials willen. In unserem Binnenlande, trotz vereinzelter Bemühungen, es zu bessern, lagen alle diese Dinge noch sehr im argen, und braunes »Bunzlau« beherrschte vorwiegend den Markt, was sich hier in dem Schönebergschen Laden aber meinem Auge bot, war ausschließlich englisches Geschirr, vieles in Fayence (sog. Wedgwood), andres in Britannia-Metall. Ich war immer helles Staunen und Bewunderung, und nicht bloß dem zu Kauf Stehenden, sondern auch den die Honneurs des Hauses machenden Verkäufern gegenüber, Vater und Sohn. Der Vater, noch ein schöner Mann, exzellierte gleichmäßig in Umgangsformen und weißester Wäsche, während sein Sohn, auf den sich von der Mutter her eine das Kränkliche streifende Zartheit vererbt hatte, diese Zartheit durch etwas sehr Bestimmtes in seinem Wesen wieder wettzumachen wußte. Dezidiert und verbindlich zugleich, diese Charaktermischung war es denn auch, die ihn, mehr noch als sein Reichtum, das schönste Mädchen der Stadt heimführen ließ, eine leuchtende, echt germanische Blondine, einzige Tochter des im übrigen mit Söhnen beinah allzureich gesegneten Scherenbergschen Hauses.
Die Scherenbergs, denen ich mich nun zuwende, stammten ursprünglich aus Westfalen, wo sie, mehrere Jahrhunderte zurück, den noch jetzt bei einem Zweige der Familie verbliebenen Sieger-Hof besaßen. Andere Zweige verließen ihre heimatliche Provinz und übersiedelten teils westlich ins Jülich-Clevesche, teils östlich bis an die Oder hin, wo sie sich in Stettin und später in Swinemünde niederließen.
Das Haupt dieses Stettin-Swinemünder Familienzweiges war zu der Zeit, von der ich hier berichte, Johann Theodor Scherenberg, ein Sechziger, dessen ältester Sohn, Christian Friedrich, damals schon über dreißig Jahre zählte, während der noch unter uns lebende Maler Hermann Scherenberg eben erst das Licht der Welt erblickt hatte. Diese starken Jahresunterschiede waren darin begründet, daß der alte Scherenberg zweimal verheiratet war, in erster Ehe mit einem Fräulein Courian, in zweiter Ehe mit einem Fräulein Villaret, beide der Stettiner französischen Kolonie entstammend. Aus diesen Eheschließungen mit Damen von durchaus französischer Eigenart erklärt es sich