Die Entdeckung des Nordpols. Robert E. PearyЧитать онлайн книгу.
zum Pol
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Robert Edwin Peary – als Erster in Utopia?
HOMO LUDENS
Es gibt viele Gründe für Entdeckungsreisen ...
Um sich die Gewalt über sein Reich am Fuße des Olymps zu sichern, ging der Fürstensohn Iason einst auf die Mutprobe ein, das Goldene Vlies heimzuholen. Er ließ daher ein Schiff bauen, »Argo, die allbesungne«, und segelte mit erlauchter Besatzung – darunter Heraides, Orpheus und Theseus – zu den schaurigen Stätten der Barbaren: nach Lemnos, wo die Frauen in radikaler Emanzipation ihre Männer totgeschlagen hatten; nach Phrygien, wo sechsarmige Riesen tobten; und schließlich nach Kolchis, vor dessen Hafen zwei felsige Inseln bisher jeden Ankömmling zwischen sich zerschmettert hatten.
Was im antiken Mythos dem Erhalt von Macht diente, kehrte im wirklichen Leben – nur geringfügig verändert – als deren Erweiterung wieder: Das Ausfindig-Machen geriet in den Sog des Eroberns. Und so begab sich Alexander der Große von 327 bis 325 vor der Zeitenwende auf eine Kampagne nach Indien. Er wollte die Grenzen der griechischen Einflusssphäre um ein überschaubares Maß von Parasangen an den Rand der Oikumene vorschieben. Hatte nicht bereits sein Lehrer Aristoteles in den Meteorologika (um 341 v. Chr.) erklärt, der Okeanos sei vom Hindukusch aus mit bloßem Auge erkennbar? Dass dem nicht so ist, gehörte zu den ersten erdkundlichen Befunden jenes Feldzugs; zu den letzten zählte die Überzeugung, tatsächlich ans Ende der bewohnten Welt gelangt zu sein: Als Alexander im Delta des Indus in See stach, um zu prüfen, »ob« – wie es im Alexanderzug (2. Jh. n. Chr.) des Flavius Arrianus heißt – »irgendein Land in der Nähe auftauchte«, sah er lediglich die Fläche des Wassers und das Gewölbe des Himmels.
Während Belehrung über die Fremde bei den Operationen des Makedonenherrschers nur eine nebensächliche Kriegsbeute war, hatte sie nach Auffassung von Mohammed zur Wanderschaft ins Unbekannte der eigentliche Antrieb zu sein. »Suchet Wissen und Wissenschaft«, lehrte der Prophet, »und wenn es in China wäre.« Diese Maxime erzog die Karawanenführer – unter ihnen Ibn Chordadhbeh, al-Biru-ni, al-Idrisi und Ibn Battuta – zu Augenzeugen par excellence. Fridtjof Nansen, einer der gelehrtesten Abenteurer überhaupt, rühmte in seinem Handbuch über die Erforschung des Nordens, Nebelheim (1911), neidlos: »Die arabischen Geografen haben besonders Sinn für das Sammeln konkreter Aufklärungen über Länder und Verhältnisse und über die Sitten und Gebräuche der Völker, und sie können darin als Muster gelten.«
Ein Pionier ganz anderer Art war Christoph Kolumbus. Ihm ging es nicht um Wissen-, sondern um Wirtschaftlichkeit. Da er es wie Alexander der Große für wahr hielt, dass Indien den Abschluss des eurasischen Kontinents gen Morgen bildete, und da er es – wie sogar der französische Bischof Pierre d’Ailly in seiner Ymago Mundi (1410) – als gegeben annahm, dass unser Planet kugelförmig sei, folgerte der Genueser, dass zwischen Europa und Indien nur mehr der Atlantik liege – wobei zu »las Indias« seit Marco Polos Il Milione (1298/99) auch »Cathay« gezählt wurde, China, und das diesem vorgelagerte »Zipangu«, Japan. So verfiel der Admiral darauf, »den Osten vom Westen her zu suchen«, sprich: eine Route zu eröffnen, über die der Handel mit jenen pittoresken Provenienzen von Gewürzen und Geweben bequemer zu treiben wäre als über die Seidenstraße.
Addiert man zum Aspekt der Gewinnsucht die These diverser Biografen des Kolumbus, er habe ursprünglich den Großkhan christianisieren wollen, im Grunde einen späten Kreuzzug zu den Wilden geplant, gar hinterm Horizont ein neues Jerusalem gewittert, dann hat man summa summarum eine gute Hand voll einleuchtender Anlässe zum Aufbruch »in terram incognitam«: mancherlei Heilsbringerei, überdies Besitzgier, Wissensdurst und Machthunger sowie auch einen Befähigungsnachweis.
Freilich, welches dieser Motive wurde an Absonderlichkeit überboten von jenem, das in nichts anderem bestand als im Gang durchs bisher nie Betretene ... im Vorstoß dorthin, wo kein Ort ist ... in der Erstürmung des Nordpols?
Dieser Reckentat rühmte sich ein Mann, der in Utopia biwakiert haben wollte. Damit wäre er auf einer Position gewesen, die es nur als Abstraktum gibt: als mathematische Hypothese. Denn der obere Schnittpunkt aller Meridiane des Globus befindet sich auf einer Kappe aus schwimmendem Eis, das von einem Tiefdruckwirbel über der Arktis unaufhörlich in Bewegung gehalten wird und demzufolge jedwedes Da-Sein relativiert.
Das Rennen mit einem oder mehreren Konkurrenten zu einem solchen Ziel war das Nutzlose schlechthin, ein Egotrip und Zeitvertreib – einzig aufs Siegen erpicht. Der holländische Kulturhistoriker Johan Huizinga schrieb diesbezüglich in seiner Monografie Homo Ludens (1938): »Die Hauptsache ist, ›gewonnen zu haben‹.« Und dann fügte er zur Bekräftigung des Gesagten hinzu: »Das reinste Beispiel für einen Triumph, der sich in nichts Sichtbares oder Genießbares umsetzt und nur im Gewinnen selbst besteht, bietet das Schachspiel.«
Wen wundert’s deshalb, dass der Bericht über Die Eroberung des Nordpols mit den Sätzen anfängt: »Man könnte wohl die Erreichung des Nordpols mit dem Gewinnen eines Schachspiels vergleichen, in dem alle die verschiedenen Züge, welche zu dem günstigen Schluss führten, lange, ehe das gegenwärtige Spiel begann, im Voraus überlegt worden waren. Es war für mich ein altes Spiel, ein Spiel, das ich dreiundzwanzig Jahre mit wechselndem Glück gespielt hatte.« Der Name des ausdauernden Teilnehmers: Robert Edwin Peary.
TRAUMWANDRER*