Der Löwe von Flandern. Hendrik ConscienceЧитать онлайн книгу.
entgegenbrächtet! Wenn es mir beliebt, den alten Grafen von Flandern gnädig zu empfangen, so werde ich meinen Willen durchsetzen.“
„Im Gegenteil!“ rief Johanna rot vor Zorn, „das wird nicht geschehen. Ich dulde es nicht, versteht Ihr? Ich dulde es nicht! Wie! Die Meuterer, die meine Oheime enthauptet haben, sollen straflos bleiben. Sie sollten damit prahlen können, daß sie Blutsverwandte der Königin von Navarra ungestraft verhöhnen durften!“
„Der Zorn reißt Euch hin, Madame!“ antwortete der König, „überwägt es selbst in aller Ruhe und sagt mir dann, ob es recht und billig ist, daß man Philippa wieder zu ihrem Vater führt?“
Diese Worte steigerten die Wut Johannas bis zum Äußersten. –
„Ich sollte Philippa wieder hergeben!“ fiel sie ihm ins Wort. „Aber Majestät, überlegt Ihr denn nicht, was Ihr da sagt? Sie vermählt sich dann mit dem Sohne Eduards von England, und Euer eigenes Kind wird um diese Hoffnung betrogen. Nein, um keinen Preis! Ihr könnt Euch drauf verlassen; das wird niemals geschehen. Außerdem ist Philippa ja meine Gefangene, und es wird Euch nicht gelingen, sie mir zu entreißen!“
„Aber, Madame,“ rief Philipp aus, „da irrt Ihr Euch nun doch! Vergeßt auch nicht, daß mir Eure hochmütigen Worte sehr mißfallen, und daß ich Euch meinen Unwillen fühlen lassen kann, sobald es mir beliebt. Mein Wille ist zugleich der Wille Eures Fürsten.“
„Und Ihr wollt Flandern dem trotzigen Gwijde wiedergeben? Ihr wollt es ihm möglich machen, Euch nochmals den Krieg zu erklären? Diese Unklugheit soll Euch noch teuer zu stehen kommen! Ich werde mich, da ich jetzt gesehen habe, wie wenig Ihr mich achtet, mit Philippa in mein Königreich Navarra zurückziehen!“
Diese letzten Worte trafen den König hart. Navarra war der wertvollste Teil Frankreichs, und er hätte es nicht gern entbehrt. Da Johanna diese Drohung schon mehrmals ausgesprochen hatte, fürchtete er, sie könnte sie endlich verwirklichen. Nach einigem Bedenken sagte er:
„Ihr regt Euch unnütz auf, Madame. Wie könnt Ihr behaupten, daß ich Flandern zurückgeben wollte? Ich habe in dieser Angelegenheit noch gar keinen Entschluß gefaßt!“
„Eure Worte waren deutlich genug,“ antwortete Johanna. „Aber wie dem auch sei, ich erkläre Euch: verwerft Ihr meinen Rat, so verlasse ich Euch; denn ich mag die Folgen Eurer Unvorsichtigkeit nicht tragen. Der Krieg gegen Flandern hat des Reiches Schatzkammern erschöpft, und nun wollt Ihr die Meuterer in Gnaden aufnehmen, da Ihr doch in der Lage seid, Euch wieder alles Nötige zu beschaffen! Nie hat unsere Geldlage schlechter dagestanden! Das kann Euch Herr von Marigny beweisen.“
Bei diesen Worten trat Enguerrand von Marigny vor den König.
„Sire, es ist unmöglich, die Soldaten noch weiter zu löhnen,“ sagte er; „das Volk will die Lasten nicht mehr aufbringen. Der Obmann der Pariser Kaufleute hat den Zuschuß verweigert, und bald vermag ich die Ausgaben des königlichen Hauses nicht mehr zu bestreiten. Auch die Münzen dürfen nicht weiter entwertet werden. Flandern allein kann uns retten. Die Zollbeamten, die ich dahin geschickt habe, treiben die Gelder ein, die uns aus dieser Verlegenheit erretten sollen. Bedenket, Sire, welch großem Unheil Ihr Euch aussetzt.“
„Ist denn alles Geld bereits dahin, das dem dritten Stande auferlegt wurde?“ fragte der König mißgestimmt.
„Sire,“ antwortete Enguerrand, „die Gelder, welche die Zollpächter von Paris Eurer Majestät geliehen hatten, habe ich Etienne Barbette zurückerstattet. Im Reichsschatz blieb nichts oder doch nur sehr wenig.“
Die Königin merkte voll Freude, wie sehr diese Nachricht den König erschütterte. Ihr dünkte, nun würde das Urteil über Gwijde unschwer zu erlangen sein. Listig trat sie zu ihrem Gemahl und sprach:
„Ihr sehet wohl, Sire, wie vorteilhaft mein Rat für Euch ist. Wie könnt Ihr Frankreichs Heil aus den Augen lassen, um Aufrührer zu begünstigen? Sie haben Euch und mich verhöhnt, unsern Feinden geholfen und es gewagt, unsern Befehlen zu trotzen. Der Besitz des Goldes macht sie stolz und aufgeblasen. Nichts ist leichter, als sie dieses überflüssigen Geldes zu entledigen; sie sollten Eure königliche Hand küssen, die ihnen das Leben läßt, denn allesamt haben sie den Tod verdient.“
„Aber Herr von Marigny,“ fragte der König, „findet Ihr denn gar keine Möglichkeit, noch für einige Zeit die Ausgaben des Reiches aufzubringen? Denn ich glaube nicht, daß die Gelder aus Flandern so bald kommen werden. Dieser Zustand bringt mich in die größte Verlegenheit.“
„Keine, Sire, wir haben schon zu viel versucht.“ Johanna mischte sich ein:
„Wenn Ihr meinem Rate folgen und mit Gwijde verfahren wollt, wie ich's begehre, so werde ich eine außerordentliche Steuer in meinem Königreiche Navarra erheben, und für lange Zeit werden wir dann dieser lästigen Sorgen enthoben sein.“
Mochte nun Schwäche oder Geldgier den König bestimmen, jedenfalls gab er Johannas Drängen nach, und so ward ihr der alte Gwijde ausgeliefert. Das arglistige Weib beschloß, den Grafen von Flandern den Fußfall tun zu lassen; doch in sein Vaterland sollte er nicht mehr zurückkehren.
V.
Spät am Abend kam Johanna von Navarra zu Compiègne an. Während sie dem wankelmütigen König mit List und Drohungen die Verurteilung der Vlaemen entlockt hatte, saß Graf Gwijde mit seinen edlen Lehensmannen in einem Saale seines Hauses. In silbernen Schalen kreiste der Wein, und jeder ermunterte die andern mit frohen Hoffnungen und tröstlichen Aussichten.
So hatten sie fröhlich über dies und jenes gesprochen, als Dietrich der Fuchs in den Saal trat, der als Robrechts bester Freund in dem Hause des Grafen untergebracht war. Schweigend hemmte er den Schritt und blickte bald auf den alten Grafen, bald auf dessen beiden Söhne. Aus seinen Zügen sprach tiefer Schmerz und inniges Mitleid. Da er sonst immer fröhlich und offenherzig war, so erschraken die Ritter nicht wenig ob seines gramvollen Aussehens; sie ahnten, daß irgendeine schlimme Nachricht sein Antlitz verdüsterte.
Als erster verlieh Robrecht van Bethune seinen Gedanken Ausdruck: „Stockt Euch die Zunge, Dietrich? Sprecht! Und bringt Ihr traurige Kunde, so lasset, bitte, Eure Scherze ruhn.“
„Das will ich gern, Herr Robrecht,“ meinte Dietrich; „aber ich weiß nicht, wie ich Euch die Nachricht beibringen soll; es schmerzt mich, den Unglücksboten spielen zu müssen.“
Furcht malte sich auf den Gesichtern der Zuhörer; mit ängstlicher Neugier schauten sie auf Dietrich. Der füllte einen Becher mit Wein, trank und sprach dann:
„Das soll mir Mut machen. Hört denn und seht es dem Fuchs, eurem Diener, nach, daß sein Mund euch Schlimmes künden muß. Mit Recht habt ihr geglaubt, Philipp der Schöne würde euch in Gnaden empfangen; ist er doch ein edelmütiger Fürst. Noch vorgestern war er froh, euch seines Herzens Großmut zu erweisen; doch damals war er noch nicht von bösen Geistern besessen.“
„Wie denn?“ riefen die Ritter erstaunt, „ist er besessen?“
„Herr Dietrich,“ sprach Robrecht strenge, „laßt alle Umschweife; Ihr habt uns andres zu sagen, aber es scheint Euch nicht recht über die Lippen zu wollen.“
„Ganz recht, mein Herr van Bethune,“ entgegnete Dietrich. „Hört, was mich so tödlich betrübt: Johanna von Navarra und Enguerrand von Marigny sind in Compiègne.“
Diese Namen wirkten auf alle Ritter fürchterlich. Wie betäubt beugten alle schweigend das Haupt. Endlich reckte der junge Wilhelm die Hände gen Himmel und rief verzweifelt:
„O Himmel! die schlimme Johanna – Enguerrand von Marigny! Weh! meine arme Schwester! – Vater, wir sind verloren!“
„Das also sind die Teufel, von denen der gute Fürst besessen ist,“ sagte Dietrich. „Ihr sehet nun, durchlauchtigster